WikiLeaks-Gründer Julian Assange kann an Schweden ausgeliefert werden

WikiLeaks-Gründer Julian Assange kann an Schweden ausgeliefert werden, wo er wegen Vergewaltigung vor Gericht gestellt werden soll. Das entschied Richter Howard Riddle am Amtsgericht von Belmarsh in London am Donnerstag.

Das Urteil markiert ein neues Stadium in dem Bemühen, Assange und WikiLeaks zum Schweigen zu bringen und weitere Enthüllungen der heuchlerischen und kriminellen Aktivitäten der Vereinigten Staaten und andere Regierungen in aller Welt zu verhindern.

Assange wird gegen das Urteil Berufung einlegen. Er hat dazu nur sieben Tage Zeit. Sollte die Berufung zurückgewiesen werden, könnte er innerhalb von zehn Tagen ausgeliefert werden.

Gegen Assange ist bisher noch nicht einmal Anklage erhoben worden und es gibt zahlreiche Hinweise, dass er das Opfer politisch motivierter und konstruierter Beschuldigungen ist.

Der WikiLeaks-Chef war am 7. Dezember aufgrund eines europäischen Haftbefehls festgenommen worden, den die schwedischen Behörden ausgestellt hatten, worin sie ihm sexuelles Fehlverhalten vorwarfen. Zwei Frauen geben zu, im August letzten Jahres getrennt voneinander einvernehmlichen Sex mit ihm gehabt zu haben. Aber eine behauptet, Assange habe bei einer Gelegenheit kein Kondom benutzt. Die andere behauptet, Assange habe Sex mit ihr gehabt, während sie im Halbschlaf war. Assange bestreitet nicht, einvernehmlichen Sex mit den beiden Frauen gehabt zu haben, leugnet aber jegliches Fehlverhalten.

Im August stellte die schwedische Chefanklägerin Eva Finne die Untersuchung gegen Assange ein, weil es keine „Anhaltspunkte dafür gibt, dass er eine Vergewaltigung begangen hat“.

Inzwischen waren die Beschuldigungen allerdings zu den Medien durchgesickert. Die Vergewaltigungsuntersuchung wurde dann auf Betreiben von Claes Borgström im Namen der Frauen wieder eröffnet. Borgström ist ein prominenter Sozialdemokrat, der von 2000 bis 2007 der schwedischen Regierung angehörte. Eine der Frauen, die die Anschuldigungen erheben, steht dem christlichen Flügel der schwedischen Sozialdemokratie nahe.

Nach der gestrigen Entscheidung nannte Assange die Vorgänge im Gericht „eine Farce“ und das „Ergebnis eines abwegigen europäischen Haftbefehlssystems“.

Die Entscheidung sei zwar “keine Überraschung”, aber „nichtsdestoweniger falsch“. Der Tatsachengehalt der gegen ihn erhobenen Vorwürfe sei in keiner Weise berücksichtigt worden, fügte er hinzu. „Es fand keine Hinterfragung oder Prüfung der in Schweden gegen mich erhobenen Vorwürfe statt.“

„Wie kann es sein, dass ich – ein nicht profitorientierter Aktivist für die Meinungsfreiheit – 360.000 Dollar Kaution hinterlegen musste, dass ich unter Hausarrest gestellt wurde, obwohl ich noch in keinem Land jemals unter Anklage stand?“ fragte Assange. Der Europäische Haftbefehl (EAW) müsse umgehend „überprüft werden“, sagte er.

Der EAW wurde 2003 als Teil des “Kriegs gegen den Terror eingeführt mit dem Ziel, Personen in die 26 Länder der Europäischen Union auszuliefern, ohne die sachliche Berechtigung des Falls zu prüfen. Allein Großbritannien liefert jeden Tag drei Personen aufgrund eines EAW aus.

Assange sagte, dass allein das bürokratische Abhaken von Abfragekästchen auf dem Formular des EAW dazu geführt habe, dass sich der Richter „gedrängt fühlte, sich für nichts zu interessieren“, als was auf dem zweiseitigen Dokument anzuhaken war. Er musste nicht einmal den Blick von dem Formular heben.“

Assanges Anwalt Geoffrey Robertson hatte mehrere Einsprüche gegen die Auslieferung erhoben.

Die Verteidigung argumentierte, dass der EAW nicht legal, unverhältnismäßig und bösartig, arglistig sei. Die schwedische Staatsanwältin Marianne Ny sei gar nicht befugt, einen EAW auszustellen und habe erklärt, er diene nur dazu, Assange vernehmen zu können. Eine Auslieferung könne nicht aufgrund „eines reinen Verdachts“ betrieben werden, argumentierte er. Die Staatsanwaltschaft habe unter Verletzung schwedischen Rechts Assanges Namen im Zusammenhang mit einer Vergewaltigungsuntersuchung an die Presse lanciert und „so seinen Namen in aller Welt verleumdet.“

Die Verteidigung vertrat die Ansicht, dass die Beschuldigungen gegen Assange keine Vergehen seien, die eine Auslieferung rechtfertigen. Unter Hinweis auf die voreingenommenen Äußerungen des schwedischen Ministerpräsidenten Frederic Reinfeldt argumentierte sie, dass Assange in Schweden kein faires Verfahren erwarten könne. Reinfeldt hatte sich in einer außergewöhnlichen öffentlichen Intervention für Assanges Auslieferung ausgesprochen. Er hatte der Nachrichtenagentur TT gesagt: „Es ist bedauerlich, dass die Rechte und Standpunkte von Frauen so wenig gelten, wenn es um solcherlei Dinge geht, im Vergleich zu anderen Theorien.“

Die Verteidiger argumentierten auch, dass Assanges Menschenrechte dadurch verletzt würden, dass Vergewaltigungsfälle in Schweden in nicht öffentlichen Verfahren verhandelt werden und dass die Angeklagten kein Anrecht auf Kaution haben.

Richter Riddle wies jeden einzelnen Punkt der Verteidigung zurück. Er entschied, dass Ny das Recht habe einen EAW auszustellen und dass der Haftbefehl gültig sei. Er sagte, dass die Anklagepunkte „sexueller Übergriff“ und „Vergewaltigung“, die die Anwendung von Gewalt unterstellen, unter englischem Recht anerkannt würden.

Riddle gestand zwar zu, dass es in Schweden „erhebliche schlechte Publicity gegen Assange gegeben“ habe, aber er wies die Unterstellung unziemlicher politischer Einmischung zurück. Und obwohl er zugab, dass das Weiterreichen von Assanges Namen an die Presse „ein Bruch der Vertraulichkeit“ gewesen sei, sagte er, das sei „in Schweden anscheinend nicht gerichtsfähig“. Allerdings sei es eventuell möglich, dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof vorzugehen.

Weiter sagte Richter Riddle: “Der vielleicht stärkste Punkt zu den Menschenrechten ist der Einwand, dass Vergewaltigungsprozesse in Schweden hinter verschlossenen Türen verhandelt werden”. Dies ist dem britischen Recht zweifellos fremd, sagte er. „Aber wenn es im schwedischen System Unkorrektheiten gibt, dann ist der richtige Ort, um dagegen vorzugehen und sie zu beseitigen sicher das schwedische Verfahrensrecht.“

In seiner Zusammenfassung nannte der Richter Assanges schwedischen Anwalt Bjorn Hurtig einen „unzuverlässigen Zeugen“ und beschuldigte ihn, „bewusst versucht zu haben, das Gericht zu täuschen“.

Damit bezog er sich auf Hurtigs Einlassung bei der vorherigen Anhörung, dass Ny nicht versucht habe, ihn wegen einer Aussage Assanges zu kontaktieren, bevor dieser am 27. September Schweden verließ. Bei der letzten Anhörung gab Hurtig zu, dass das unrichtig sei, und dass er vor jenem Datum mehre Nachrichten mit dem Wunsch zu einer Vernehmung am 28. September erhalten hatte.

“Ausgehend von diesen Fakten ist die Annahme nicht vernünftig, dass Assange einer Befragung absichtlich aus dem Weg ging, bevor er Schweden verließ“, behauptete Richter Riddle.

Weiter ging der Richter in seiner Zusammenfassung auf die Behauptung der Verteidigung ein, dass Assange eine spätere Auslieferung in die USA wegen Spionage drohe, wenn er nach Schweden ausgeliefert werde und dies eine reale Gefahr von Folter und sogar Todesstrafe beinhalte.

Der Gefreite der US-Armee Bradley Manning, der unter dem Verdacht verhaftet wurde, Dokumente an WikiLeaks weitergereicht zu haben, wird seit sieben Monaten auf der Marinebasis Quantico unter unmenschlichen Bedingungen in Isolationshaft gehalten. Mehrere prominente amerikanische Politiker und Kommentatoren haben offen dazu aufgerufen Assange zu ermorden.

Aber Richter Riddle sagte, dafür, dass Assange von Schweden eine Auslieferung an die USA drohe, seien keine Beweise vorgelegt worden. Sollte dies so sein, so wäre „die Zustimmung des Außenministers von diesem Land erforderlich“, sagte er und Assange hätte dann „außerdem den Schutz der englischen Gerichte.“

Wenn man in Betracht zieht, dass die englischen Gerichte derart willfährig den EAW gegen Assange vollzogen und finanzierten, ihn zunächst sogar zu neun Tagen Einzelhaft im Gefängnis von Wandsworth verurteilten und ihm anschließend schwerwiegende Bedingungen für seine Freilassung auf Kaution auferlegten, dann ist dies kaum glaubhaft.

In seiner Erklärung nach dem Urteil des Richters Riddle wies Assange auf das Gespräch zwischen dem US-Botschafter in Großbritannien Louis Susman und dem BBC Redakteur Andrew Marr am 20. Februar hin.

Marr fragte Susman, ob er Assange gern in den USA vor Gericht gestellt sähe, weil dieser Tausende von geheimen Depeschen von US-Botschaften an die Öffentlichkeit gebracht habe. Der Botschafter antwortete, dass Assange jemand sei, „der gestohlenes Material erhalten und es auf eine Weise genutzt hat, die schädlich für unser Land sein könnte,“ und dass gegenwärtig ein Gesetz in Vorbereitung sei, das sich mit solchen Aktionen befasse. Er fügte dann hinzu: „Aber zu diesem Zeitpunkt haben wir gegen Mr. Assange noch nichts unternommen und warten ab, was die britischen Gerichte entscheiden.“

“Was haben die Vereinigten Staaten mit einem schwedischen Auslieferungsprozess zu tun?“ fragte Assange.

Im Dezember enthüllte die Zeitung Independent, dass es „informelle Diskussionen“ zwischen amerikanischen und schwedischen Behörden gebe. „Diese Quellen betonten, dass kein Auslieferungsantrag gestellt würde, bevor die amerikanische Regierung nicht Anklage gegen Mr. Assange erhoben habe und dass Versuche, ihn nach Amerika zu bringen nur stattfinden würden, nachdem die juristischen Verfahren gegen ihn Schweden abgeschlossen seien“, stellte die Zeitung fest.

Zwischenzeitlich wurde bekannt, dass die Vereinigten Staaten Twitter unter Strafandrohung auffordern Benutzerkonten preiszugeben, was Teil der Bestrebungen ist, eine Strafanzeige gegen den Gründer von WikiLeaks wegen Spionage zu begründen.

Twitter wurde am 14. Dezember ein Gerichtsbeschluss zugestellt, den das Büro des US-Staatsanwalts aus Alexandria in Virginia ausgestellt hatte. Darin wurden Einzelheiten über drei Mitarbeiter Assanges angefordert – dem Programmierer Jacob Appelbaum aus den USA, der isländischen Parlamentsabgeordneten Birgitta Jonsdottir und dem niederländischen Hacker Rop Gonggrijp – und das gesamte Twitterkonto von WikiLeaks, von dem vermutet wird, dass es von Assange geführt werde.

Der Strafbefehl, den zu veröffentlichen Twitter ursprünglich verboten war, forderte von der Plattform die Aushändigung der Abonnenten, Details ihrer Konten, IP-Adressen und die Adressen der Empfänger von deren E-Mails an die Regierung. Gegen diese Anordnung haben die American Civil Liberties Union und die Non-Profit-Organisation Electronic Frontier Foundation vor Gericht Einspruch erhoben.

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