Perspektive

Die Protestaktionen von Wisconsin und das Wiedererwachen der amerikanischen Arbeiterklasse

Die zunehmende Protestwelle in Wisconsin, an der sich Zehntausende von Staatsangestellten, Lehrern, Studierenden und ihren Unterstützern beteiligen, richtet sich gegen umfassende Angriffe auf Arbeitsbedingungen und demokratische Rechte. Sie markiert einen Wendepunkt im politischen Leben der Vereinigen Staaten und weltweit.

Der Sturz der Präsidenten durch die jüngsten Massenproteste in Tunesien und Ägypten ist ein Anzeichen für das Wiederaufleben revolutionärer Kämpfe der Arbeiterklasse. Die Bedingungen, die zu diesen Kämpfen geführt haben, sind jedoch universal: Massenarbeitslosigkeit, ein atemberaubendes Ausmaß an sozialer Ungleichheit und ein politisches System, das sich den Forderungen und Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung vollkommen verschließt. Das Ausbrechen von Massenprotesten in Wisconsin ist der erste Ausdruck einer neuen Periode offener Klassenkämpfe in dem Land, das seit langem das Zentrum des Weltkapitalismus ist, in den Vereinigten Staaten.

Nach den 1980er Jahren – in denen der Streik der Fluglotsen niedergeschlagen und die militanten Arbeitskämpfe bei den Fleischpackern von Hormel, bei Greyhound und den Bergarbeitern von Phelps Dodge besiegt worden waren – wurde der Klassenkampf in den USA künstlich unterdrückt. Dies war möglich, weil der Gewerkschaftsverband AFL-CIO eine durch und durch reaktionäre Rolle spielte. Systematisch isolierte er jeden einzelnen Kampf der Arbeiterklasse und führte ihn in die Niederlage. Sich selbst aber integrierte er immer tiefer in das unternehmerische und politische Establishment.

Insbesondere nach der Liquidation der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie, als sich die triumphierenden Verleumdungen des Sozialismus durch die Bourgeoisie auf dem Höhepunkt befanden, leugneten etliche sogar, dass die Arbeiterklasse überhaupt existiere. Die Geschichte – im Sinne von „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen“, wie der berühmte Satz aus dem Kommunistischen Manifest lautet – wurde behauptet, sei beendet.

Nach zweieinhalb Jahren der globalen Wirtschaftskrise, die mit der finanziellen Kernschmelze im Herbst 2008 an der Wall Street anfing, beginnt die Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten zum ersten Mal wieder einen größeren Gegenangriff gegen die Politik der Finanzaristokratie. Sie merkt zunehmend, dass das politische und wirtschaftliche System versagt hat und eine neue gesellschaftliche Ordnung entstehen muss.

Die Demonstranten in Wisconsin berufen sich auf den Massenaufstand der Arbeiter in der arabischen Welt und vergleichen Madison mit Kairo und den Gouverneur von Wisconsin, Scott Walker, mit Hosni Mubarak. In New York City protestieren Schüler gegen die geplanten Schulschließungen und skandieren: „New York ist Ägypten“. Das ist durchaus richtig und Ausdruck eines wachsenden Gespürs unter Arbeitern jedes Landes, dass sie vor einem gemeinsamen Kampf gegen einen gemeinsamen Feind stehen.

Die Finanzaristokratie, die Amerika regiert, ist von der Arbeiterklasse mindestens so weit entfernt und steht ihr ebenso feindlich gegenüber wie das diktatorische Regime, an dessen Spitze Hosni Mubarak in Ägypten stand. Angesichts der schlimmsten Wirtschaftskrise seit Generationen – in der Millionen ihre Arbeitsplätze, ihre Wohnungen und ihr Einkommen verloren haben – wurden keinerlei Maßnahmen ergriffen, um der arbeitenden Bevölkerung zu helfen. Stattdessen wurden Billionen von Dollars aus Steuergeldern ohne Weiteres der Wall Street und der Finanzelite ausgehändigt, deren skrupellose Spekulation die Krise ursprünglich ausgelöst hat.

Auf jeder Ebene der Regierung wird jetzt der Ruf laut, dass die Arbeiterklasse dafür bezahlen muss. Die Obama-Regierung schlug gerade erst in dieser Woche Haushaltskürzungen in Höhe von einer Billion Dollar vor, die vor allem Sozialprogramme zugunsten der Arbeiterklasse betreffen. Walker und seine Kollegen in den von Demokraten oder Republikanern beherrschten Parlamenten ihrerseits zerstören Arbeitsplätze und zerschlagen soziale Errungenschaften, ganz gleich, wie gewaltig der Widerstand der Bevölkerung dagegen ist und welches Elend sie in der Gesellschaft durch eine derartige Politik erzeugen.

Der Republikaner Walker hat sich vorgenommen, Tarifrecht zu beseitigen und stattdessen die Bedingungen für Staatsbedienstete zu diktieren, drastische Angriffe auf die Renten, die Gesundheitsversorgung und die Arbeitsbedingungen durchzusetzen sowie die Lohnerhöhungen unterhalb der Inflationsrate zu halten. Eine Reihe anderer Maßnahmen sind überall im Land geplant:

* In North Carolina präsentierte der Demokratische Gouverneur Bev Purdue einen Haushalt, in dem Arbeitsplätze für 10.000 Beschäftigte gestrichen, die Steuersätze für Unternehmen aber weiter gesenkt werden, obwohl sie bereits zu den niedrigsten im Land gehören.

* In Michigan schlug der Republikanische Gouverneur Rick Snyder drastische Kürzungen der staatlichen Unterstützung für Schulen, Kommunalverwaltungen und Universitäten vor, die zu schweren Einschnitten bei Dienstleistungen und Arbeitsplätzen führen. Während er versucht, die Einkommen von Rentnern zu besteuern, schlägt Snyder vor, die Steuern für Unternehmen um 1,8 Milliarden Dollar zu senken.

* Und in New York stellte der “unabhängige” Oberbürgermeister Michael Bloomberg einen Kommunalhaushalt vor, in dem die Entlassung von 4.666 Lehrern sowie die Vernichtung von weiteren 1.500 Lehrerstellen durch natürliche Fluktuation vorgesehen sind. Der Milliardär Bloomberg will die Kürzungen durchsetzen, obwohl die Gewinne an der Wall Street der Stadt zusätzliche Einnahmen von zwei Milliarden Dollar beschert haben.

Dass diese Maßnahmen vorgeschlagen und auch durchgeführt werden, beweist, wie erstarrt das offizielle Spektrum der Politik ist und welche sozialen Spannungen sich außerhalb davon aufbauen.

Als der Gouverneur von Wisconsin ankündigte, jeden Widerstand mit der Mobilisierung der Nationalgarde zu beantworten, machte er deutlich, wie es tatsächlich um die gegenwärtigen Klassenbeziehungen in den Vereinigten Staaten steht. Das letzte Mal wurde die Nationalgarde in Wisconsin 1886 nach dem Haymarket Massaker in Chicago eingesetzt, als die staatliche Miliz gerufen wurde, um auf streikende Stahlarbeiter in Milwaukee zu schießen.

Walker macht keine leeren Drohungen. Die Klassenspannungen in den Vereinigen Staaten sind heute so scharf, wie seit einem dreiviertel Jahrhundert nicht mehr. Die soziale Ungleichheit und die Konzentration des Reichtums bei dem obersten einen Prozent – das jetzt weit über ein Drittel des gesamten Reichtums des Landes monopolisiert – sind heute extremer als im sogenannten „Goldenen Zeitalter“, als die staatliche Gewaltanwendung gegen die Arbeiterbewegung gang und gäbe war.

Die Ereignisse in Wisconsin sind ein klares Anzeichen dafür, dass auf die Vereinigten Staaten eine neue Periode sozialen Aufruhrs zukommt. Die Arbeiterklasse wird durch die objektive Krise des Kapitalismus und die Entschlossenheit der herrschenden Klasse, ihren Reichtum durch rücksichtslose Angriffe auf alle Rechte der arbeitenden Bevölkerung zu verteidigen, in den Kampf getrieben. Ihr wird das Recht auf einen Arbeitsplatz, ein Einkommen, von dem sie leben kann, auf Bildung, Gesundheitsversorgung und einen sicheren Ruhestand genommen.

Eine neue politische Perspektive ist erforderlich, um diese Kämpfe voranzubringen. Erstens darf den Gewerkschaften keinerlei Vertrauen geschenkt werden, denn sie haben alles getan, was sie konnten, um die Demokratische Partei zu unterstützen und jede eigenständige Bewegung der Arbeiter zu unterdrücken. In Wisconsin sagen Gewerkschaftsvertreter, dass sie die Notwendigkeit der Kürzungen anerkennen, aber ihren Platz am Verhandlungstisch nicht aufgeben wollen. Tatsächlich ist ihr Hauptziel, ihre eigene finanzielle Basis zu erhalten, die auf dem automatischen Abzug der Gewerkschaftsbeiträge vom Lohn beruht.

Die Arbeiter müssen die Zugeständnisse, die die Gewerkschaftsführer und das gesamte politische Establishment fordern, rundweg ablehnen. Das Haushaltsdefizit in Wisconsin macht nur einen winzigen Bruchteil des Reichtums der Milliardäre des Landes aus. In der Tat beträgt das gesamte Haushaltsdefizit aller 50 Staaten der USA nur ungefähr ein Zehntel des Nettovermögens der 400 reichsten Amerikaner. Dieser Reichtum und die Billionen, die ausgegeben wurden, um die Banken zu retten, müssen zurückgefordert werden, um die grundlegenden sozialen Bedürfnisse der großen Mehrheit der Bevölkerung zu befriedigen.

Der Kampf gegen die Haushaltskürzungen erfordert die Vereinigung der gesamten Arbeiterklasse und der Jugend in Wisconsin und im gesamten Land. Es müssen Organisationen aufgebaut werden, die unabhängig von den Gewerkschaften sind. Komitees der einfachen Arbeiter und Studenten müssen gebildet werden, in denen sich die Beschäftigten des öffentlichen und des privaten Sektors sowie die Jugend aus den Betrieben, Schulen und Wohnvierteln von Wisconsin und darüber hinaus zusammenschließen. Gegen die Kürzungen sollten jetzt Vorbereitungen für einen Generalstreik getroffen werden.

Vor allem ist ein politischer Kampf notwendig, der mit dem Verständnis beginnt, dass nichts verteidigt werden kann, solange die Arbeiterklasse der Demokratischen Partei und dem Zweiparteiensystem untergeordnet bleibt. Die Repräsentanten der herrschenden Klasse, die behaupten, dass die Aufrechterhaltung des Kapitalismus die Zerstörung von Arbeitsplätzen und der Lebensbedingungen der großen Mehrheit der Bevölkerung erfordert, geben damit eigentlich zu, dass das System, das sie verteidigen, eigentlich bankrott ist.

Das Wiedererwachen des Klassenkampfs wird einhergehen mit einem Wiedererwachen des Kampfs für den Sozialismus. Da die amerikanische Arbeiterklasse in ein neues Zeitalter sozialer Erhebungen eintritt, ist die entscheidende Aufgabe der Aufbau einer revolutionären sozialistischen Partei, die diese Kämpfe führen kann. Die WSWS fordert alle ihre Leser auf, sich an diesem Kampf zu beteiligen und an den geplanten Konferenzen der Socialist Equality Party teilzunehmen und ihr beizutreten.

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