Perspektive

Militäraufmarsch an Libyens Küste

Je mehr das libysche Regime von Oberst Gaddafi in die Enge gerät, desto lauter werden die Rufe nach einer militärischen Intervention. Deutschland spielt dabei eine Vorreiterrolle.

Die Bundesmarine hat bereits Mitte letzter Woche drei Kriegsschiffe mit 600 Soldaten an Bord an die libysche Küste verlegt, zu einem Zeitpunkt, an dem sich die USA noch zurückhielten. Drei weitere deutsche Schiffe operieren im Rahmen von Nato-Verbänden im Mittelmeer.

Ende letzter Woche flogen dann zwei Transall-Maschinen der Bundeswehr von der griechischen Insel Kreta in den Südosten Libyens und evakuierten 133 EU-Bürger von der Ölbasis Al-Nafoura. Die Operation fand unter strengster Geheimhaltung statt. Zuvor waren mehrere Fallschirmjägereinheiten aus Seedorf nach Kreta verlegt worden, die über Kampferfahrung in Afghanistan verfügen und für verdeckte Operationen hinter den feindlichen Linien ausgebildet sind. Auch britische Einheiten waren an dem Einsatz beteiligt.

Offiziell wird der Militäreinsatz mit der Rettung deutscher und europäischer Staatsbürger begründet, die durch die Kämpfe in Libyen gefährdet seien. Tatsächlich zielte er von Anfang an auf eine militärische Intervention. Dass der Bundesregierung an humanitären Fragen wenig gelegen ist, zeigt schon ihr Umgang mit Flüchtlingen. Die Bundesregierung will keinen einzigen Flüchtling aus dieser Region aufnehmen.

Deutsche Medien werben seit Tagen für die Einrichtung einer Flugverbotszone, die – wie einst im Irak – der erste Schritt zu einer militärischen Kontrolle des Landes wäre. Außenminister Guido Westerwelle hat sich besonders aggressiv für wirtschaftliche Sanktionen und das Einfrieren libyscher Staatgelder eingesetzt, wie sie schließlich am Samstag vom UN-Sicherheitsrat beschlossen wurden.

Begründet werden diese Maßnahmen mit „humanitären Gründen“. Angeblich soll die aufständische Bevölkerung damit gegen das brutale Vorgehen des Regimes geschützt werden. Dessen Handlungen seien „völlig unakzeptabel“, verkündete Westerwelle am Samstag in Genf vor dem UN-Menschenrechtsrat.

Tatsächlich weiß man seit dem Kosovo-Krieg, was von solchen humanitären Argumenten zu halten ist. Damals dienten maßlos übertriebene Berichte über angebliche serbische Massaker an Kosovaren der Nato als Vorwand, Jugoslawien zu bombardieren und den Balkan in einen Flickenteppich abhängiger Kleinstaaten zu verwandeln. Heute beschuldigt der Europarat Hashim Thaci, der damals der Nato als Quelle diente und im Kosovo ihr an die Macht gebombt wurde, er sei Führer einer Mafiabande gewesen, die mit den Organen ermordeter serbischer Gefangener handelte.

Auch eine militärische Intervention in Libyen, wie sie mittlerweile auch von den USA, Großbritannien und anderen Ländern erwogen wird, hätte nichts mit humanitären, dafür umso mehr mit imperialistischen Motiven zu tun. Sie würde in erster Linie dazu dienen, die lukrativen Ölkontrakte, die deutsche, europäische und amerikanische Firmen mit dem Gaddafi-Regime vereinbart haben, sowie den Zugang zu den milliardenschweren libyschen Staatsfonds auch über einen Machtwechsel hinweg zu sichern.

Deutschland hat – wie Italien, Großbritannien und andere europäische Länder – in den vergangenen Jahren intensive wirtschaftliche Verbindungen zu Libyen entwickelt. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) stattete Gaddafi 2004 einen ersten Besuch ab und brachte deutsche Konzerne ins Geschäft.

Inzwischen ist die BASF-Tochter Wintershall mit einem Investitionsvolumen von zwei Milliarden US-Dollar der größte ausländische Erdölproduzent in Libyen. Auch deutsche Industriekonzerne wie Siemens sind in Libyen groß im Geschäft. Sie verdienen an Infrastrukturprojekten, die durch die hohen Öleinnahmen finanziert werden. Allein im Jahr 2009 stiegen die deutschen Exporte nach Libyen um 23 Prozent.

Die deutsche Regierung ist ebenso wie alle anderen westlichen Regierungen von den Aufständen im Maghreb und im Nahen Osten völlig überrascht worden. Doch inzwischen hofft sie, von einem Machtwechsel gegenüber ihren wirtschaftlichen Konkurrenten profitieren zu können.

SpiegelOnline kommentierte den Auftritt des deutschen Außenministers vor dem UN-Menschenrechtsrat mit den Worten: „Westerwelle macht in Genf klar: Deutschland engagiert sich im Mittelmeerraum, überlässt das Terrain nicht Frankreich und Italien, die durch ihre Verbindungen zu den früheren und noch aktiven Potentaten Nordafrikas mehr als Berlin kompromittiert sind. Nach anfänglichem Zögern gegenüber den Herrschern in Tunesien und Ägypten spricht der Außenminister im Falle Libyens Klartext.“

Deutschland kann allerdings seine Interessen nicht durchsetzen, ohne auch militärisch mit dem Säbel zu rasseln. Daher die Entsendung von Bundeswehr und Marine an die libysche Küste. Dort finden sie sich inzwischen in großer Gesellschaft. Auch Italien, Großbritannien, Griechenland und die Türkei haben Kriegsschiffe geschickt. Die USA haben einen Flugzeugträger in Bewegung gesetzt. Selbst Indien hat zwei Kriegsschiffe zugesagt.

Noch zögern die Großmächte, Truppen aufs libysche Festland zu schicken, weil sie keinen endlosen Krieg wie in Afghanistan riskieren wollen. Doch das kann sich rasch ändern. Die beschlagnahmten libyschen Staatsgelder und die militärische Drohkulisse würden dann eingesetzt, um die Machtübernahme einer Regierung zu verhindern, die die imperialistische Plünderung des Ölreichtums des Landes ablehnt.

Derzeit ist unklar, wer in der Oppositionsbewegung das Sagen hat. In Interviews aus Bengasi und anderen befreiten Städten kommen immer wieder Stimmen zu Wort, die eine Intervention der Großmächte strikt zurückweisen. Libyen, das unter italienischer Kolonialherrschaft Schreckliches durchlebte, verfügt über ausgeprägte antiimperialistische Traditionen, die auch Gaddafi anfangs ausnutzte, bevor er sich mit dem Imperialismus arrangierte.

Für Deutschland bedeutet das militärische Eingreifen in Libyen ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Rückkehr in den Kreis der Großmächte, den es seit der Teilnahme am Kosovo-Krieg und dem Afghanistan-Krieg systematisch beschritten hat. Trotz starker antimilitaristischer Stimmungen in der Bevölkerung kann die Bundesregierung diesen Weg unbehindert gehen, weil es unter den etablierten politischen Parteien nicht den geringsten Widerstand dagegen gibt.

Selbst der Rücktritt des Verteidigungsministers, der am Dienstag über eine gefälschte Doktorarbeit stolperte, wird daran nichts ändern. SPD und Grüne haben Karl-Theodor zu Guttenberg nicht angegriffen, weil sie seine Politik ablehnen, sondern weil ein Blender und Betrüger ihrer Meinung nach nicht über die nötige Autorität verfügt, einen militaristischen Kurs gegen öffentliche Widerstände durchzusetzen.

Frank-Walter Steinmeier, SPD-Fraktionsvorsitzender und bis 2009 deutscher Außenminister, hat die vom UN-Sicherheitsrat verhängten Sanktionen und deren Unterstützung durch die Bundesregierung ausdrücklich begrüßt. Sein Vize Gernot Erler befürwortete ein Flugverbot und ein robustes Mandat nach Kapitel 7 der Charta der Vereinten Nationen, mit dem die US-Regierung seinerzeit den Irak-.Krieg gerechtfertigt hatte.

Auch aus dem Lager der Grünen war nur Zustimmung zu vernehmen. Die Bundesvorsitzende Claudia Roth griff die Bundesregierung am 25. Februar an, weil sie nicht hart genug gegen Libyen vorgehe.

„Die Überlegungen der EU zu Sanktionen gegenüber dem Gaddafi-Regime kommen spät und sind mehr als überfällig“, sagte Roth. Sie kritisierte die Handlungsunfähigkeit der EU, deren Politik zu einer Lachnummer verkomme. Sie forderte die Bundesregierung auf, „mit klaren Handlungskonzepten die EU-Politik gegenüber Gaddafi mitzugestalten“ und „auf eine einheitliche und rasch wirksame Sanktionspolitik zu drängen“.

Die Linkspartei hält sich mit Stellungnahmen zu Libyen auffällig zurück. Die Entsendung der Bundesmarine an die libysche Küste kritisierte sie ebenso wenig wie die SPD oder die Grünen. Stattdessen übt sie sich in der Rolle, der Opposition gegen einen Kriegseinsatz den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Vorstandsmitglied Christine Buchholz, die von der Gruppe „Linksruck“ zur Linkspartei gestoßen ist, hat ein kurzes Statement mit dem Titel „Libyen: Keine Militärintervention!“ veröffentlicht. Darin fordert sie ein Waffenembargo, rät aber von einer Militärintervention ab. Begründung: Sie würde „die Bevölkerung hinter dem Regime einen und viele Menschenleben kosten“.

Deutlicher kann man die Rolle der Linkspartei als Ratgeber der Bundesregierung nicht zum Ausdruck bringen. Buchholz spricht weder für die libyschen Massen noch für die deutsche Arbeiterklasse, die die Regierung Merkel/Westerwelle als Gegner betrachtet. Sie sorgt sich um den deutschen Einfluss in Libyen und schlägt der Regierung eine andere Taktik als Westerwelle vor, um diesen zu verteidigen.

Die sozialen und politischen Fragen, die im Maghreb und im Nahen Osten Millionen unter Todesmut auf die Straße getrieben haben, können nicht im Rahmen des bestehenden kapitalistischen und imperialistischen Systems gelöst werden. Der Kampf für Demokratie ist untrennbar mit dem Kampf für die Arbeitermacht und mit der sozialistischen Umwandlung der Gesellschaft in der gesamten Region und weltweit verbunden.

Die Arbeiterklasse in Deutschland muss ihre Solidarität mit den libyschen Aufständischen und den arabischen Arbeitern zeigen, indem sie einen Militäreinsatz strikt ablehnt und den Kampf für ein internationales sozialistisches Programm aufnimmt.

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