Syrisches Regime mobilisiert Armee gegen Protestierende

Präsident Baschir Assad schickte am Sonntagmorgen die syrische Armee in die Hafenstadt Latakia und setzte damit in der politischen Krise seiner rechten Diktatur zum ersten Mal reguläre Truppen ein. Schwerbewaffnete Patrouillen hielten sowohl Autos als auch Fußgänger mit Taschen an, durchsuchten sie nach Waffen und ließen sich die Ausweispapiere zeigen.

Mindestens zwanzig Menschen verloren am Freitag und Samstag in Latakia ihr Leben, meist durch Scharfschützen, die von den Dächern aus in die protestierenden Menschenmassen schossen. Es wurde berichtet, dass in einem der beiden Krankenhäuser der Stadt mindestens 90 Menschen wegen Schussverletzungen behandelt wurden.

Die Schießereien provozierten gewaltsame Angriffe sowohl auf die Polizei - Polizeifahrzeuge wurden umgeworfen und angezündet – als auch auf Büros der Baath-Partei und der Mobiltelefongesellschaft SyriaTel, die sich im Besitz der Familie Assad befindet.

Die Ereignisse in Latakia weisen auf eine schwierige politische Lage des Regimes Assads hin. Diese Stadt ist Baschir Assads Geburtsort und die Heimat der alewitischen Bevölkerung, einer islamischen Minderheit, die dem Schiitentum verwandt ist, dem Assad und die ganze herrschende Clique angehören. Die Alewiten machen nur schätzungsweise 15 Prozent der Gesamtbevölkerung Syriens aus gegenüber den sunnitischen Moslems mit 75 Prozent.

Die Massenproteste drohten Spannungen zwischen den Glaubensrichtungen heraufzubeschwören. So gab es Augenzeugenberichte über Polizeieinsätze, bei denen versucht wurde, Zusammenstöße zwischen bewaffneten Banden zu verhindern, nachdem schon Schüsse gefallen waren. Unter denjenigen, die von den Dächern aus erschossen wurden, befanden sich auch einige Polizisten.

Die syrische Regierung bestätigte den Tod von 12 Menschen in Latakia, bestritt jedoch, dass Sicherheitskräfte für die Schießereien verantwortlich waren. Sie behauptete „bewaffnete Elemente“, Heckenschützen von außerhalb, hätten sowohl auf Polizisten als auch auf Demonstranten geschossen. Nach Angaben des staatlichen syrischen Fernsehsenders stellten Polizisten die Mehrzahl der 100 medizinisch Behandelten.

Diese Behauptungen sind nicht einfach als offizielle Propaganda abzutun. Es ist gut möglich, dass imperialistische oder israelische Agenten in die Menge schossen, um die Spannungen unter den islamischen Glaubensrichtungen anzuheizen und Assads Regime zu destabilisieren. Die Vereinigten Staaten und die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, nicht zu reden von Israel mit seinen drei Kriegen gegen Syrien, haben ein Interesse an der Destabilisierung des Baath-Regimes, das enge Verbindungen zum Iran und zur Hisbollah-Bewegung im benachbarten Libanon pflegt.

Die Protestbewegung nahm ihren Anfang in Daraa, einer vorwiegend von Sunniten bewohnten Stadt im Süden Syriens, hat sich jedoch inzwischen über das ganze Land ausgebreitet. Am Samstag fanden in Daraa weitere große Protestaktionen statt, bei denen in allen Moscheen der Stadt die Namen der bei den vorherigen Protesten getöteten „Märtyrer“ verkündet wurden. Die Demonstranten forderten die Freilassung politischer Gefangener und die Inhaftierung der für die Schießereien der letzten Woche Verantwortlichen.

Am Samstag gingen in den vier größten Städten des Landes, in Damaskus, Aleppo, Homs und Hama Zehntausende Demonstranten auf die Straßen. In der Stadt Tafas, südlich und unweit von Damaskus gelegen, griffen die Trauergäste bei einem Beerdigungszug und andere Einwohner eine Polizeistation und ein Leitungsbüro der Baath-Partei an und setzten sie in Brand.

In der Stadt Douma, die auch nicht weit von Damaskus entfernt liegt, beteiligten sich Tausende an einem Sitzstreik, der nach Zeugenangaben von Sicherheitskräften und Schlägern mit Knüppeln und Stöcken angegriffen wurde. Mindestens 200 Menschen wurden verhaftet.

Syriens Scheinparlament hielt Sonntagabend eine Sitzung ab, in deren Vorfeld gemunkelt wurde, eventuell würden der Ausnahmezustand aufgehoben, mit dem die Baath-Partei seit 1963 herrscht, und ein Verfassungsabsatz abgeschafft, nach dem alle von der baathistisch dominierten Nationalen Fortschrittsfront unabhängigen Parteien verboten sind.

Das Assad-Regime hat mit einer Mixtur aus angekündigten Zugeständnissen und brutaler Unterdrückung versucht, die Opposition auseinander zu dividieren. Am Samstag wurden aus dem Gefängnis Saydnaya mehr als 260 Gefangene entlassen, meist Islamisten, deren Haftentlassung in Kürze bevorstand.

Tags darauf entließen die Behörden in Daraa die Anwältin Diana Jawabra und fünfzehn weitere Personen aus dem Gefängnis Sie waren in dieser Stadt verhaftet worden, weil sie gegen die Inhaftierung von Kindern wegen eines Graffitis gegen Assad protestiert hatten.

Inzwischen griffen im benachbarten Jordanien Sondereinsatzkräfte der Polizei in der Hauptstadt Amman eine regierungskritische Demonstration an, töteten einen Mann und verletzten mehr als 100 Menschen. Nach dem Beispiel des Tahrir-Platzes in Kairo hatten die Demonstranten ein Zeltlager errichtet und forderten den Rücktritt des Premierministers Marouf al-Bakhit, der erst vergangenen Monat von König Abdullah eingesetzt worden war.

Der Polizeiangriff begann mit einer Provokation von 200 regierungstreuen Schlägern, die das Zeltlager mit Knüppeln und Stöcken bewaffnet stürmten. Dann erschien die Polizei, angeblich um die Auseinandersetzung „zu beenden“, stellte sich aber auf die Seite der Regierungsschläger und zerstörte das Zeltlager.

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