Perspektive

USA und Nato versuchen, Gaddafi zu töten

Mit dem Angriff auf den Bab-al-Azizyah-Komplex in Tripolis am Montag ist der US-Nato-Krieg gegen Libyen in eine neue kriminelle Phase eingetreten, die nun auch die Politik staatlich organisierten Mordes einschließt.

Zwei Präzisionsbomben legten die Gebäude des Komplexes in Schutt und Asche. Libysche Beamte sprachen von drei Toten und 45 Verwundeten, darunter 15 Schwerverletzte.

Es war der dritte Angriff dieser Art auf den Komplex, wo Libyens Oberst Muammar Gaddafi lebt und arbeitet. Die Gebäude wurden zunächst am 20. März, dem zweiten Tag des US-Nato-Angriffes, von einem Marschflugkörper getroffen, der von einem britischen U-Boot abgefeuert worden war. Dann wiederum am 23. April, als Kampfflugzeuge einen Parkplatz direkt vor dem Bab-al-Azizyah-Komplex bombardierten, der sich Berichten zufolge über einem unterirdischen Bunker befand.

Mit jedem Schlag wird das Ziel deutlicher: die Tötung von Gaddafi und seinen Familienmitgliedern.

In dem Gebäude, das am Montag getroffen wurde, sind die Büros und die Bücherei des libyschen Führers untergebracht. Außerdem befindet sich dort ein Konferenzraum, in dem er Anfang des Monats mit dem südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma und anderen afrikanischen Führern über einen Vorschlag der Afrikanischen Union für einen Waffenstillstand im libyschen Bürgerkrieg gesprochen hatte. Der Vorschlag war von der EU-Nato-Allianz und den sogenannten Rebellen, die von Europa und Amerika unterstützt werden, umgehend verworfen worden.

Obwohl sie sich bei ihren Militäraktionen auf die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates berufen, die „alle notwendigen Maßnahmen“ zum Schutz der Zivilbevölkerung gestattet, machen Washington, London und Paris keinen Hehl daraus, dass ihr wahres Ziel der „Regime-Wechsel“ ist. Sie wollen eine Marionettenregierung einsetzen, die ihren Interessen (und denen der Energiekonzerne) willfähriger entgegenkommt als das Gaddafi-Regime. Für dieses Ziel nehmen sie jedes Blutvergießen in Kauf.

Nach fünfwöchigen Bombardements und der Bekanntgabe des US-Militärkommandos, dass fast vierzig Prozent der Gaddafi-loyalen Militärkräfte „aufgerieben“ – zu Deutsch: abgeschlachtet – wurden, scheinen sie ihrem Ziel noch nicht näher gekommen zu sein. Die „Rebellen“, eine zersplitterte Koalition aus ehemaligen Gaddafi-Getreuen, alternden CIA-Kontakten und Islamisten – haben inzwischen gezeigt, dass sie unfähig sind, nach Westen auf Tripolis vorzurücken. Die offen ausgesprochene Hoffnung der imperialistischen Mächte, dass die Bomben und Raketen, die auf Tripolis abgeworfen wurden, eine Palastrevolte auslösen und zu Gaddafis Sturz führen würden, erfüllte sich nicht.

Letzte Woche warnte der oberste amerikanische Militärführer Admiral Mike Mullen, dass die von den USA angeführte Intervention in Libyen „sich auf eine Pattsituation zu bewege“.

Die Obama-Administration und ihre europäischen Komplizen sind vom Versagen ihrer Taktik zunehmend frustriert und wollen einen solchen Ausgang nicht hinnehmen. Deshalb ist die Politik des gezielten Mordes ins Zentrum ihres Kalküls gerückt.

Mullens Warnung wurde von der Ankündigung begleitet, dass bewaffnete US-Drohnen über Libyen eingesetzt worden seien. Diese unbemannten Kriegsflugzeuge werden von der Obama-Administration immer häufiger gegen die Bevölkerung an der afghanisch-pakistanischen Grenze eingesetzt. Pakistans Konfliktbeobachtungszentrum in Islamabad hat 2.200 tote Zivilisten innerhalb der letzten fünf Jahre durch Drohnenangriffe dokumentiert.

Die CIA und ihre Apologeten verteidigen die Drohnenangriffe als ferngesteuerte außergerichtliche Hinrichtung von “Terroristen” und kehren dabei alle Hinweise auf die schrecklich hohe Opferzahl unter der Zivilbevölkerung unter den Tisch. Jetzt werden diese gleichen Methoden unter dem Vorwand, die Zivilbevölkerung zu schützen, in Libyen angewendet.

Unterdessen wird in Washington offiziell kräftig für Gaddafis Ermordung geworben. Führende US-Senatoren treten in Talkshows auf und klingen dort, als hätten seien ihre Wortbeiträge dem Drehbuch von „Der Pate“ entnommen.

So sprach sich Senator Lindsey Graham, Mitglied im Streitkräfteausschuss des Senats dafür aus, die von den USA geführte Intervention müsse “den Kopf der Schlange abschlagen”. In Bezug auf Gaddafi drängte er: „Sorgen wir dafür, dass dieser Kerl der Vergangenheit angehört“.

Es fällt auf, dass diese Wortwahl nicht den Hauch eines Widerspruchs oder gar des Protestes im politischen Establishment der USA oder in den offiziellen Medien hervorruft.

Man wird wohl kaum bestreiten, dass solche Methoden eine fatale Abwendung von Grundsätzen darstellen, die lange als wesentliche Errungenschaften internationalen Rechtes galten. Während die Ermordung ausländischer Herrscher als Mittel der Staatspolitik im Mittelalter weit verbreitet war, galt sie vom 18. Jahrhundert an mit dem Aufkommen der bürgerlichen Revolutionen als völlig inakzeptabel.

Dafür gab es natürlich auch ganz pragmatische Erwägungen, darunter die Angst vor Racheakten. Mordaufträge von Führern von Großmächten legitimierten die Praxis und konnten dazu führen, dass sie selbst auch ermordet wurden. Die Herrscher über die stärksten Armeen fürchteten auch, dass Mordanschläge dazu tendierten, weniger gut bewaffnete Gegner unnötig auf Augenhöhe zu heben.

Aber es gab auch, besonders in der Geschichte der USA, andere Argumente, die ihre Wurzeln in den Prinzipien der Demokratie hatten.

Thomas Jefferson beschrieb den politischen Mord 1789 in einem Brief an James Madison als eines der „Rechtsprinzipien des dunklen Zeitalters zwischen der Antike und der Moderne, dessen Anwendung im achtzehnten Jahrhundert verfemt wurde und berechtigter Weise Entsetzen verbreitete.“

Der Verhaltenskodex, den Abraham Lincoln 1863 auf dem Höhepunkt des Bürgerkrieges unterzeichnete, lautete, dass „zivilisierte Nationen mit Schrecken auf die Methoden der Ermordung des Feindes herabblicken und solche Praktiken als „einen Rückfall in die Barbarei“ ansehen.

Diese allgemeine Haltung gegenüber politischem Mord – als „heimtückische Tötung“ definiert – wurde in der Haager Konvention 1907 im internationalen Kriegsrecht festgeschrieben und ist in nachfolgenden Verträgen und Konventionen im Großen und Ganzen beibehalten worden.

Noch 1976 kam das Church-Komitee, das im Auftrag des US-Senats die Untersuchung von Mordkomplotts der CIA gegen internationale Führer wie Kubas Fidel Castro oder Patrice Lumumba aus dem Kongo durchführte, zu dem Schluss, dass diese blutige Praxis „moralische Grundsätze verletzt, die für unsere Lebensweise und das amerikanische Verständnis des Fair Play von grundsätzlicher Bedeutung sind.“

Die Sichtweise, die in dem Bericht des Komitees zum Ausdruck kommt, erscheint im Zusammenhang mit der öffentlichen Diskussion in Washington so anachronistisch, als stamme sie aus dem 18. Jahrhundert.

Nach fast einem Jahrzehnt des “Krieges gegen den Terror”, der von Bush begonnen und unter Obama ausgeweitet wurde – nach Aggressionskriegen, der Anwendung von Folter, außerordentlicher Überstellung, Inhaftierung ohne Anklage – ist Mord zu einem weiteren akzeptierten Werkzeug der amerikanischen Außenpolitik geworden.

Der Präsidentenerlass, der amerikanischen Geheimdiensten nach der Church-Untersuchung Mordanschläge verbot, wurde von der Bush-Administration im Namen der Eliminierung angeblicher Terroristen außer Kraft gesetzt und das Recht zu töten wieder eingeführt und unter der Obama-Administration sogar auf US-Staatsbürger ausgedehnt. Nun wird damit argumentiert, dass der politische Mord ein legitimes Mittel zur Verfolgung „humanitärer“ Missionen oder anderer Vorwände für imperialistische Plünderungen sei.

Der Krieg gegen Libyen bedeutet eine weitere Eskalation im kriminellen Vorgehen der amerikanischen herrschenden Elite, die die Methoden von Mord und Totschlag zur Erreichung ihrer Ziele im Ausland legitimiert und gleichzeitig mit Finanzschwindel, politischem Betrug und staatlicher Einschüchterung ihre Interessen im Inland durchzusetzen versucht.

Das unverhüllte “Ja” zum politischen Mord sollte als Warnung dienen. Es gibt keinen Teil der Finanz- und der Konzernoligarchie, der die USA regiert, der sich auch nur im Geringsten an demokratische Prinzipien hält. Unter den Bedingungen einer nicht nachlassenden Krise des kapitalistischen Weltsystems in Kombination mit einer nie dagewesenen Polarisierung zwischen obszöner Akkumulation von Reichtum und den zunehmend verzweifelten Lebensbedingungen der Arbeitermassen, sieht sie sich gezwungen, ihre Klassenherrschaft durch die Anwendung ungezügelter Gewalt zu verteidigen.

Der Kampf gegen den Krieg und gegen die zunehmende Bedrohung demokratischer Rechte in den USA selbst kann nur durch die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse erfolgen. Sie muss mit ihrer eigenen Partei um die Arbeitermacht und für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft kämpfen.

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