Italien will sich aktiver am Libyenkrieg beteiligen

Während der Bombenkrieg gegen Libyen seit vier Wochen andauert, sucht Italien nach Wegen, sich aktiver als bisher daran zu beteiligen. Die ehemalige Kolonialmacht verfügt in Libyen über weitgehende Öl- und Gasinteressen und möchte die Kontrolle darüber keineswegs anderen Mächten überlassen.

Bisher nimmt die italienische Luftwaffe nicht aktiv an den Bombenangriffen teil, doch stellt das Land seine militärischen Luftstützpunkte für die Angriffe zur Verfügung. Das sind Aviano und Pisa im Norden, Gioia del Colle in Apulien, Decimomannu auf Sardinien und das sizilianische Sigonella, außerdem das Nato-Hauptquartier in Neapel.

Außenminister Franco Frattini (PDL) bestätigte am 11. April auf der Website des Außenministeriums, dass für die Regierung immer noch „alle militärischen Optionen auf dem Tisch“ seien, sie prüfe auch eine mögliche Beteiligung Italiens an Luftschlägen. Verteidigungsminister Ignazio La Russa habe am Dienstag mit seinen Amtskollegen aus Großbritannien und Frankreich diskutiert, wie der Druck auf Libyen verschärft werden könne. Auch die Möglichkeit der Intervention von Bodentruppen gehöre dazu.

Inzwischen unterhält die Regierung intensive Verbindungen mit dem selbst ernannten Nationalen Übergangsrat in Bengasi, den sie schon als künftige Regierung Libyens anerkennt. Franco Frattini setzt sich aktiv für die Bewaffnung des Übergangsrats ein und argumentiert, „Waffen zur Selbstverteidigung“ seien in der UN-Resolution 1973 nicht ausdrücklich verboten.

Während der ganzen vergangenen Woche reiste Frattini von einer Konferenz zur andern, oftmals in Begleitung führender libyscher Oppositionspolitiker. Am Montag besuchte er seinen britischen Amtskollegen William Hague in London. Am Dienstag traf er sich mit Ali al-Isawi und General Abdel Fattah Junis vom libyschen Übergangsrat und nahm anschließend an einem EU-Außenministertreffen in Luxemburg teil.

Von Luxemburg ging’s am Mittwoch nach Doha in Katar, wohin ebenfalls Vertreter des Übergangsrats eingeladen waren. Die so genannte Libyen-Kontaktgruppe, bestehend aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien und andern Ländern, suchte dort nach Möglichkeiten, den Übergangsrat zu bewaffnen und finanziell auszustatten. Großbritannien und Katar haben bereits Waffen nach Bengasi geliefert.

Die libyschen Rebellen fordern mindestens zwei Milliarden Dollar, um sich gegen Gaddafi besser ausrüsten zu können. Deshalb sollen dem Übergangsrat nun Gelder aus eingefrorenen libyschen Konten über einen so genannten „provisorischen Finanzmechanismus“ verschafft werden. Katar hilft den oppositionellen Kräften in Bengasi außerdem, das Öl aus Förderanlagen unter seiner Kontrolle ins Ausland zu exportieren.

Am Donnerstag und Freitag forderten die Nato-Außenminister in Berlin erneut Gaddafis Rücktritt. Auch während dieser Konferenz wurden die Luftangriffe gegen Libyen, sowohl gegen die Stellungen um Misurata als auch gegen Stadtviertel der Hauptstadt Tripolis, in unverminderter Härte fortgesetzt.

Am Freitag wollte Frattini in Rom den Präsidenten des libyschen Nationalen Übergangsrats Mustafa Abdul Dschalil treffen. Für dieses Gespräch war auch die Teilnahme von Premier Silvio Berlusconi und Staatspräsident Giorgio Napolitano angekündigt. Dschalil sagte aber im letzten Moment wegen „dringender Aufgaben“ in Libyen ab.

Italien bereitet sich auch darauf vor, im Rahmen der EU-Mission EUFOR Libya einen „humanitären Korridor“ zu den umkämpften und belagerten Regionen in Libyen zu schaffen. Für diese Aufgabe sollen die beiden sogenannte Battlegroups der Europäischen Union mit jeweils 1.500 Mann eingesetzt werden. Während Deutschland mit knapp tausend Soldaten den größten Anteil an dieser Truppe stellt, soll EUFOR Libya unter dem Kommando eines Italieners, des Konteradmirals Claudio Gaudiosi, stehen und von Rom aus befehligt werden.

Die Mission EUFOR Libya wurde schon am 1. April von den europäischen Außenministern beschlossen. Sie kann aber erst auf Anforderung der UNO aktiv werden. Diese ist bisher nicht erfolgt. EUFOR Libya gilt offiziell als „humanitäre Mission“, die den bedrängten Zivilisten Hilfe bringen soll. Sie ist aber mit einem „robusten Mandat“ ausgestattet, was bedeutet, dass sie auch militärische Gewalt einsetzen und in die Kämpfe eingreifen kann.

Italien hatte anfangs gezögert, mit dem libyschen Machthaber Gaddafi zu brechen, zu dem Ministerpräsident Berlusconi enge und freundschaftliche Beziehungen unterhielt. Ähnlich wie Deutschland hatte es Vorbehalte gegen ein militärisches Vorgehen geäußert. Doch inzwischen fürchtet Rom offenbar, seinen Einfluss in der ehemaligen italienischen Kolonie zu verlieren, wenn es sich nicht auf die Seite der kriegsführenden Länder stellt.

Die wahren Motive offenbarte Außenminister Frattini unverblümt, als er über seine ersten Gespräche mit Vertretern des libyschen Nationalen Übergangsrats berichtete. Dessen Chef Mahmoud Dschibril habe ihm versichert, „dass sie sich an alle internationalen Verträge mit Partnern halten werden, die ein vereintes Libyen wollen, und dass sie auch die Ölverträge einhalten werden. Das ist eine Rückversicherung für Investoren wie [den italienischen Großkonzern] ENI, und das bestätigt, dass wir keineswegs außen vor sind.“

Italien bezieht ein Viertel seines Rohöls und zehn Prozent seines Erdgases aus Libyen. Der Energiekonzerns ENI hat viele Milliarden Euro in Anlagen in Libyen investiert. Italienische Baugesellschaften sind dabei, eine Küsten-Autobahn entlang der libyschen Mittelmeerküste zu bauen. Italien war in den letzten zweieinhalb Jahren, seit der Aussöhnung mit dem Gaddafi-Regime im Sommer 2008, der größte Außenhandelspartner Libyens und einer der größten Waffenlieferanten Gaddafis.

Umgekehrt hält die Libysche Zentralbank heute knapp acht Prozent an der italienischen Bank UniCredit, und libysche Gelder stecken im Luft- und Rüstungskonzern Finmeccanica, in Fiat, in Telecom Italia und dem Fußballclub Juventus Turin.

Die wirtschaftlichen Interessen sind so offensichtlich, dass die italienische Bevölkerung der Darstellung des Libyen-Kriegs als „humanitäre“ Aktion nur in sehr geringem Maße Glauben schenkt. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts SWG zufolge waren Ende März 82 Prozent der Italiener der Meinung, dass die Militärintervention in Libyen aus ökonomischen Interessen erfolge.

Dabei geben sich besonders die Politiker der linken bürgerlichen Opposition die größte Mühe, den Einsatz als humanitäre Aktion zu verkaufen. Der ehemalige Ministerpräsident Massimo D’Alema schreibt auf seiner Website: „Die Entscheidung, Gewalt anzuwenden, ist immer eine schwierige, dramatische Entscheidung, die bei einem großen Teil der öffentlichen Meinung begreiflicherweise zu Verstörung führt, aber in diesem Fall ist es eine notwendige Entscheidung.“

D’Alema spricht für eine ganze Schicht von ehemaligen Funktionären der Kommunistischen Partei, die die Interessen der italienischen Bourgeoisie verteidigen. Schon als Ministerpräsident hatte D’Alema 1999 der Nato erlaubt, den italienischen Luftraum für Bombenangriffe auf Serbien zu nutzen.

Auch Nichi Vendola (ehemals Rifondazione Comunista, heute Sinistra Ecologia e Libertà), der Regionalpräsident von Apulien, unterstützt den Sturz Gaddafis und die Anerkennung des Nationalen Übergangsrats, obwohl dieser aus gewendeten Gaddafi-Ministern, westlichen Agenten, Islamisten und anderen bürgerlichen Kräften besteht.

Besonders anschaulich wird das Argument, die italienische Regierung handle aus „humanitären Gründen“, durch ihr Verhalten in der Flüchtlingsfrage wiederlegt. Während die Bombardierung Libyens Milliarden kostet, ist sie nicht bereit, ein paar tausend Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen.

Insgesamt haben in den letzten Wochen etwa 26.000 Flüchtlinge Nordafrika unter Lebensgefahr, auf zumeist völlig überfüllten und altersschwachen Schiffen verlassen, um in Europa Schutz und ein besseres Leben zu suchen.

Ministerpräsident Berlusconi bezeichnete diese Flüchtlinge als „menschlichen Tsunami“ und in Europa brach ein Hauen und Stechen aus, was mit ihnen geschehen soll. Als die italienische Regierung sie mit Papieren ausstattete, damit sie in andere EU-Länder weiterreisen, setzten Frankreich und Deutschland das Schengener Abkommen über den freien Personenverkehr außer Kraft und führten wieder Grenzkontrollen ein.

Die deutsche und die französische Regierung verlangten, dass Italien die Flüchtlinge umgehend zurück schickt, was diese mittlerweile auch tut. Seit ein paar Tagen verlassen täglich zwei Flugzeuge mit je dreißig Migranten die Insel Lampedusa in Richtung Tunesien. Dabei kommt es zu herzzerreißenden Szenen. Am Dienstag setzten einige Flüchtlinge aus Protest gegen ihre Abschiebung ein Gebäude des Auffanglagers in Lampedusa in Brand.

Die Website TMNews berichtet: „Ehe es gelang, sie [die Flüchtlinge] zum Besteigen des Flugzeugs zu bewegen, mussten die Polizisten über zwei Stunden mit den dreißig Menschen verhandeln, die sie repatriieren sollten. Die Tunesier schrien, weinten, protestierten, drohten sich zu verletzten. ‚Wir wollen Freiheit, wir wollen nach Frankreich gehen, nicht nach Tunesien’ riefen sie immer wieder. Am Ende wurde jeder von zwei Polizisten ins Flugzeug gebracht, aber auch dort gingen die Proteste weiter.“

Inzwischen sind weitere Menschen bei der Überfahrt nach Lampedusa ertrunken. Am 11. April kenterte ein Schiff mit 192 Menschen aus der Sahara, die von einem nordlibyschen Lager aus die Überfahrt riskiert hatten, wenige Meter vor der rettenden Küste. Zwei Frauen konnten nicht mehr gerettet werden. Am 6. April ertranken bei der Havarie eines einzigen Schiffes sogar an die 250 Menschen. Insgesamt werden 800 Migranten noch vermisst, die in den letzten vier Wochen nachweislich die Überfahrt riskiert hatten.

Das Schicksal der Flüchtlinge macht deutlich, wie es um den “humanitären” Anspruch der europäischen Mächte bestellt ist. Sie nutzen die Menschlichkeit als Fassade, um ihre energiepolitischen und geostrategischen Interessen zu verfolgen. Der Aufbruch in Nordafrika, besonders in Tunesien und Ägypten, hat sie in höchste Alarmbereitschaft versetzt. In Libyen wollen sie nun die direkte Kontrolle über eine ehemalige Kolonie wiederherstellen.

1911, vor genau hundert Jahren, war Italien in Nordafrika einmarschiert und hatte das heutige Libyen besetzt. Unter Mussolini hatte die italienische Kolonialmacht dann Luftangriffe und Giftgas gegen die Bevölkerung eingesetzt und einen großen Teil in Konzentrationslager in der Wüste verschleppt. Die italienische Kolonialherrschaft ist für den Tod einer halben Million Menschen in Nordafrika und von über hunderttausend Menschen allein in Libyen verantwortlich. Erst die faschistische Niederlage von 1943 hatte diesen Genozid beendet.

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