Die königliche Hochzeit und der Mythos der nationalen Einheit

Ereignisse wie die königliche Hochzeit, verkündete Matthew d’Ancona vom DailyTelegraph, „bieten eine schwere Last politischer Symbole auf, Botschaften über den gesellschaftlichen Zusammenhalt, Hierarchie, Klasse, Sitten und unseren kollektiven Optimismus: mit anderen Worten, wo wir als Nation stehen.“

Wo also stehen wir heute in Großbritannien?

Eins kann man jedenfalls festhalten: eine königliche Hochzeit ist ein sicheres Anzeichen, dass harte Zeiten bevorstehen, zumindest für die breite Masse der Bevölkerung, die nicht zu der Zeremonie eingeladen ist, von der aber erwartet wird, die Rechnung zu begleichen.

Prinzessin Elisabeth heiratete Leutnant Philipp Mountbatten am 20. November 1947. Zwei Jahre zuvor war Großbritannien als einer der Sieger aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen. Die Labour Party hatte 1945 einen Erdrutschsieg errungen und versprach ein Land zu schaffen, „wie Helden es verdienen."

Großbritanniens Triumph über Deutschland hatte allerdings seinen Preis: Es musste endgültig seine globale Vorherrschaft an die Vereinigten Staaten abtreten. Labour verstaatlichte zwar wichtige Industrien, schuf den nationalen Gesundheitsdienst und andere Sozialstaatseinrichtungen, aber Mangel, Rationierungen und Lohnstopps dauerten an.

1947 verschlimmerte eine Sterling-Krise die Lage deutlich. Im November des Jahres, nur wenige Tage vor der königlichen Hochzeit, stellte Labour-Schatzkanzler Stafford Cripps einen Haushalt mit Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen vor, der ein „Zeitalter der Stabilisierung“ einläutete.

Dann, am 29. Juli 1981 fand die Hochzeit zwischen dem Thronfolger Prinz Charles und Diana Spencer statt. Zwei Jahre zuvor hatte die konservative Regierung der Eisernen Lady Margaret Thatcher das Ruder übernommen und angekündigt, die verstaatlichten Industrien zu privatisieren, den Sozialstaat zurückzudrängen, die Londoner City zu deregulieren und den imperialistischen Ambitionen Großbritanniens neues Leben einzuhauchen.

Die Arbeitslosigkeit stand damals bei drei Millionen. Im Februar hatte Thatcher einen taktischen Rückzug in der Frage der Schließung von 23 Kohlegruben angetreten, um die Konfrontation mit den Bergarbeitern besser vorzubereiten, die dann drei Jahre später kam. Jugendarbeitslosigkeit und Polizeigewalt entfachten derweil im April im Londoner Stadtteil Brixton die ersten großen Unruhen in Großbritannien im 20.Jahrhundert.

Im Mai starb als erster von zehn Mitgliedern der Irish Republican Army Bobby Sands in Long Kesh infolge eines Hungerstreiks gegen die Weigerung der britischen Regierung, ihnen den Status von politischen Gefangenen zuzuerkennen. Als sein Tod bekannt wurde, wurde Nordirland von nationalistischen Aufständen erschüttert.

Im Juli kaum mehr als zwei Wochen nach der verschwenderischen Zeremonie in der St. Pauls Cathedral kam es zu weiteren innerstädtischen Unruhen in Brixton, Handsworth in Birmingham, Toxteth in Liverpool und Moss Side in Manchester von.

Nun weiter zur Hochzeit Prinz Williams, des zweiten in der Linie der Thronfolger, mit Catherine Middleton. Sie findet dreißig Monate nach dem schlimmsten Finanzkrach seit 75 Jahren und elf Monate nach der Wahl einer konservativ-liberaldemokratischen Koalitionsregierung statt, die die entstandene Krise nutzt, um die sozialen Verhältnisse noch weiter zugunsten der Superreichen zu verschieben.

Das Kürzungsprogramm der Regierung über 100 Milliarden Pfund (112 Mrd. Euro) ist das weitestgehende seit den 1930er Jahren und man müsste zu der gleichen Zeit zurückgehen, um einen vergleichbaren Angriff auf den Lebensstandard der Arbeiter zu finden.

Königliche Hochzeiten mit ihrer Beschwörung der nationalen Einheit finden immer wieder zu Zeiten zunehmender Gegensätze und harter Auseinandersetzungen statt. Das ist nicht nur unübersehbar, sondern wird von den dafür Verantwortlichen offen zugegeben. Winston Churchill nannte die Feier von 1947 „einen Farbflecken auf dem harten Pflaster, auf dem wir uns bewegen“. Die Hochzeit von Charles und Di ermöglichte den Menschen angeblich, ihre täglichen Probleme zu vergessen. Die Vermählung von „William und Kate“ wird in ähnlicher Weise als gut für die nationale Moral verkauft.

Hier enden aber auch die Ähnlichkeiten. Im November 1947 gab es in jeder Stadt, in jedem Dorf Straßenfeste, um das Ereignis zu feiern, und selbst im Juli 1981 nahmen schätzungsweise zehn Millionen Menschen an ähnlichen Ereignissen teil.

Heute ist auffällig, dass die Reaktion eine deutlich andere ist, obwohl die Mächtigen den gleichen vertrauten Knopf gedrückt haben.

Trotz Aufforderungen von Premierminister David Cameron und besonderer Maßnahmen zur Reduzierung von Straßensperrungen geben Offizielle zu, dass nur wenige öffentliche Feiern angemeldet wurden, und wenn, dann fast nur im relativ wohlhabenden Südengland. Dem Kommunalverband zufolge gingen nur 5.500 Anträge ein, die größte Anzahl in Hertfordshire und Surrey.

In großen Teilen des Landes, besonders im Norden wurden kaum irgendwelche Events angemeldet. In Glasgow ist zum Beispiel nicht ein einziges Straßenfest beantragt worden. Nur vier Anträge gab es in Sunderland und genauso viele in Bolton, wo es 1981 einhundert gab. In Oxford wurden fünf Anträge gestellt.

Einer ICM-Umfage zufolge haben 45 Prozent der Menschen kein Interesse an der Heirat und versuchen sie zu ignorieren. Nur achtzehn sagen, sie hätten ein „aktives Interesse“.

Der Verkauf von Kotzbeuteln mit einem aufgedruckten Cartoon des königlichen Paares sind ein Verkaufsrenner, ebenso Kaffeetassen mit dem Aufdruck: „Die königliche Hochzeit interessiert mich einen Dreck.“

Die Stimmung geht über Desinteresse hinaus. Trotz der schmeichlerischen Ehrerbietung der Medien (auch der liberalen und antimonarchistischen) und des offiziellen politischen Establishments gibt es bei einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung eine spürbare Ablehnung.

Es geht nicht nur darum, dass einer mehr den öffentlichen Kassen zur Last fallen wird, oder dass Kosten von vier Mrd. Pfund (4,5 Mrd. Euro), die der zusätzliche Feiertag verursacht, besonders kleine Geschäfte hart trifft, während Hunderttausende Arbeiter ohne einen festen Arbeitsvertrag einen Tagesverdienst verlieren. Selbst unter den Festangestellten haben Zehntausende Arbeiter den Tag nicht bezahlt frei bekommen (wie sonst bei Feiertagen üblich) und viele, zum Beispiel im Gesundheitswesen, mussten normal arbeiten.

Bei der Bekanntgabe der Hochzeit sagte ein königlicher Sprecher: “Das Paar ist sich der wirtschaftlichen Lage des Landes durchaus bewusst.” Deswegen werde die königliche Familie, Posten, die „normalerweise zu einer Hochzeit gehören, wie Blumen, den Empfang den Transport, selbst tragen“, fügte er gnädig hinzu.

Mal beiseite gelassen, dass die königliche Familie weitgehend vom Steuerzahler finanziert wird, fehlen bei der Aufzählung der Transport, die Unterkunft und die Unterhaltung der ca. 2.000 Gäste – darunter hohe Vertreter der Politik, fünfzig ausländische Staatschefs und Hunderte nicht ganz so wichtige. Die Kosten für die Sicherheit sind die höchsten in der Geschichte. Sie dürften sich zwischen 20 Millionen (22,5 Mill. Euro) und 80 Millionen Pfund (90 Millionen Euro) bewegen. Darin einbezogen sind noch nicht die Kosten der Generalprobe am Mittwoch, als das volle Programm mit den Vertretern der Streitkräfte in den frühen Morgenstunden durch das Stadtzentrum defilierte.

Schätzungsweise Fünftausend Polizisten waren im Stadtzentrum von London im Dienst mit gepanzerten Fahrzeugen, Scharfschützen und Hubschraubern. Der Daily Mail zufolge sei das „wegen der Bedrohung durch irische und islamische Terrorgruppen“ notwendig gewesen. Auch anarchistische Gruppen und Hunderte Einzelpersonen mit psychischen Problemen, die bekanntermaßen Mitgliedern der königlichen Familie nachstellen, werden als Gefahr angesehen.

Die Polizei hat angekündigt, “robust” gegen jede Störung der Feierlichkeiten vorzugehen.

In den letzten zwei Wochen sind Teams von Polizisten mit “vorbereitenden Untersuchungen” und “Aufklärung” beschäftigt gewesen, was unter anderem beinhaltet, bekannte Protestler zu besuchen und ihnen dringend zu raten, an diesem Tag das Zentrum von London zu meiden.

Es wurde berichtet, dass siebzig der bei den jüngsten Studentenprotesten und der Gewerkschaftsdemonstration vom 26 März Festgenommenen als Teil ihrer Kautionsauflagen einen Platzverweis für das Zentrum von London erteilt bekommen haben. Eine junge Frau, gegen die wegen schwerem unbefugten Betreten bei einem Protest bei Fortnum & Mason ermittelt wird, wurde von Zivilpolizisten besucht und aufgefordert, sich fern zu halten.

Welche “Botschaften” gehen hinsichtlich des “sozialem Zusammenhalts, der Hierarchie, der Klassen“ von solchen Maßnahmen aus? Woher diese außerordentliche Nervosität?

Im Dezember geriet die Limousine von Prinz Charles und Camilla in eine Gruppe demonstrierender Studenten, die in London gegen die Verdreifachung der Studiengebühren protestierten. Obwohl dem Paar nichts geschah, verstärkte die Szene mit Rufen wie „Kopf ab“ die Belagerungsatmosphäre, in der sich die Herrschenden wähnen.

Im März trafen sich die Liberaldemokraten hinter einem speziell errichteten Zaun aus Stahl in Vizepremierminister Nick Cleggs angeblich sicherem Wahlkreis Sheffield. Einige Tage später demonstrierten eine halbe Million Menschen auf einer vom Gewerkschaftsdachverband TUC organisierten Demonstration gegen die Kürzungsmaßnahmen der Koalition. Das war der erste nationale Protest seit die konservativ-liberale Regierung im Mai letzten Jahres ins Amt kam.

Im Telegraph schrieb der Journalist und politische Kommentator Peter Oborne, dass “ihr ausgesprochen intelligenter Pragmatismus” „ihr sicherer Instinkt dafür, wann und wie sie sich anpassen müsse“ der britischen Monarchie ermöglicht habe, viele ihrer internationalen Mit-Könige zu überleben.

Man sollte daran erinnern, dass zur Feier einer königlichen Hochzeit zum ersten Mal 1923 ein öffentlicher Feiertag ausgerufen wurde, als Prinz Albert Elisabeth Bowes-Lyon heiratete, die spätere Queen Mum. Das war eine defensive Reaktion von König Georg V. auf die revolutionären Umwälzungen in Russland im Jahre 1917, die den Zar gestürzt hatten.

Aber am Beginn des 21. Jahrhunderts können Pomp und Gloria der jüngsten königlichen Hochzeit nicht verbergen, dass “wir” nicht “alle im gleichen Boot sitzen”. Vielmehr werden sie von Vielen zu Recht als ein weiterer Beweis des Gegenteils angesehen.

Loading