Perspektive

Europa ein Jahr nach dem Bailout für Griechenland

In diesem Monat jährt sich erstmals die Vergabe eines Kredits in Höhe von 110 Milliarden Euro von der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), um Griechenland aus der Schuldenkrise zu retten.

Dieser Bailout war eine Reaktion der internationalen Finanzelite auf die Bankenkrise von 2008 und bedeutete ein neues Stadium in ihrer Offensive gegen die europäische Arbeiterklasse. Nach dem Zusammenbruch der Lehman Brothers im September 2008 machten die US Federal Reserve und die Zentralbanken überall auf der Welt Billionen von Dollars frei, um die Verluste der Großbanken aufzufangen, die vor dem Kollaps standen. Nach dem Transfer dieser gewaltigen Summen aus staatlichen Reserven an die Banken gingen die herrschenden Klassen, zunächst in Europa, zu drastischen Kürzungsmaßnahmen über, um ihre Schulden- und Finanzkrise auf dem Rücken der Arbeiterklasse zu lösen.

Die darauf folgenden Sparprogramme, die der IWF Griechenland diktierte und die die dortige sozialdemokratische PASOK-Regierung durchsetzte, hatten katastrophale Konsequenzen für die Arbeiter und ihre Familien. Griechenland steckt in einer tiefen Rezession. Die offizielle Arbeitslosenrate liegt bei 15 Prozent und die Jugendarbeitslosigkeit sogar bei 30 Prozent. Die staatlichen Einnahmen sind vollständig eingebrochen und die Anzahl der Bürger – vor allem Rentner – die bei den Suppenküchen anstehen, ist dramatisch gestiegen.

Gleichzeitig sind die Profite und Einnahmen der Konzernvorstände und Großinvestoren in die Höhe geschnellt. Auf beiden Seiten des Atlantik bewegen sich die Bonuszahlungen für Topmanager wieder auf den astronomischen Höhen wie von dem Finanzzusammenbruch von 2008.

Trotz der kriminellen unverantwortlichen Selbstbereicherung der herrschenden Elite ist die tiefgreifende Krise des europäischen und des Weltkapitalismus nicht nur ungelöst, sondern verschärft sich noch. Am 6. Mai fand ein geheimgehaltenes Treffen statt, um einen möglichen Staatsbankrott Griechenlands abzuwehren. Man befürchtete Griechenland könnte die gemeinsame europäische Währung, den Euro verlassen, was dessen Zusammenbruch einleiten würde. Nach diesem Treffen setzte Standard & Poor’s sein Rating für Griechenlands Kreditwürdigkeit herab.

In der letzten Woche fiel als letztes Land Portugal der Finanzoligarchie zum Opfer nachdem es angekündigt hatte, dass es um einen Kredit in Höhe von 78 Milliarden Dollar bitten würde, der ebenfalls an drakonische Kürzungen bei Sozialprogrammen, Arbeitsplätzen und dem Lebensstandard geknüpft ist.

Abgesehen von den Ländern, die unmittelbar in die Schusslinie der EU und des IWF geraten sind, wurde das gesamte Gebäude des europäischen Kapitalismus durch die griechische Schuldenkrise in Frage gestellt.

Auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik wurden bereits im Vorfeld des Bailouts für Griechenland die wachsenden Widersprüche zwischen Frankreich und Deutschland deutlich. Nach dem gemeinsamen Angriff der internationalen Großbanken und Rating-Agenturen auf das griechische Vermögen waren die führenden europäischen Politiker gezwungen, hastig ein Treffen einzuberufen, um den Euro zu retten.

Deutschland forderte als Vertreterin einer Gruppe nordeuropäischer Länder eine noch viel härtere Kürzungspolitik von Griechenland und anderen stark verschuldeten europäischen Staaten. Frankreich, Italien und Spanien befürworteten eine Politik der Kombination von Sparmaßnahmen und weiterer Finanzhilfen von den reicheren Nationen des Kontinents – zu allererst von Deutschland.

Die europäischen Staatschefs einigten sich erst auf einen Bailout für Griechenland, nachdem Frankreichs Präsident Nicholas Sarkozy gedroht hatte, den Euro zu verlassen, wenn die deutsche Regierung ihre Haltung nicht aufgebe. Der Chef der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet charakterisierte die Wirtschafts- und Finanzkrise als "die schwierigste Situation seit dem Zweiten Weltkrieg – vielleicht auch seit dem Ersten Weltkrieg" – eine Erklärung, die das Gespenst eines erneuten Abdriftens in Diktaturen und Weltkriege an die Wand malt.

Das dann letztlich erreichte Verhandlungsergebnis war ein Kredit von IWF und EU an Griechenland, der zur Strafe an erhöhte Zinsraten und die Einführung heftigster Kürzungsmaßnahmen verbunden war.

Die erbitterten Auseinandersetzungen darüber, wie die Finanzaristokratie am besten zu retten ist, haben die politischen und militärischen Beziehungen in Europa stark unterhöhlt. Im November letzten Jahres schlossen Frankreich und Großbritannien, zwei europäische Atommächte, ein bilaterales Militärbündnis außerhalb des Rahmens von NATO und Europäischer Union. Dies war der Auftakt zu innereuropäischen Konflikten über den Kriegseinsatz der NATO in Libyen, bei dem Deutschland sich im Sicherheitsrat der UNO der Stimme enthielt, während die USA , Großbritannien und Frankreich den neokolonialen Krieg autorisierten.

In der Financial Times bemerkte in der letzten Woche Mario Blejer, der frühere Gouverneur der argentinischen Zentralbank (Argentinien war das letzte Land, das unter der Aufsicht des IWF eine Umschuldung durchführte), dass die Schulden Griechenlands, Irlands, Portugals und Spanien erwartungsgemäß allesamt 2012 ansteigen würden.

Er verglich die Reaktion von IWF und EU auf die Krise mit einem Ponzi-Schema, das auf einen "unausweichlichen Zusammenbruch" hinauslaufe. Er schloss mit der Bemerkung: "Wie bei einem Pyramidenschema wird der letzte Inhaber der ‘Einlage’ auf dem gesamten Verlust sitzenbleiben. In diesem Fall, wird es der Steuerzahler sein, der die Rechung zahlen muss und kaum der ursprüngliche Besitzer der Anleihepapiere, der die Entscheidung für diese falsche Investition getroffen hatte."

Aus diesen Ereignissen müssen wichtige politische Lehren gezogen werden. Keine der Parteien in den Parlamenten der europäischen Länder hat sich im Geringsten den Angriffen des Finanzkapitals widersetzt. Jede Partei – einschließlich der offiziellen "Linken" sozialistischen, sozialdemokratischen und grünen Parteien – hat sich als willfähriger Agent der Banken erwiesen.

Die regierenden Parteien aller europäischen Nationen führen nie dagewesene Angriffe auf demokratische Rechte durch und setzen den Staatsapparat ein, um die Opposition in der Bevölkerung zu unterdrücken. Um die Arbeiter zu spalten und die Aufmerksamkeit von ihrer eigenen Komplizenschaft in der sozialen Krise abzulenken, versuchen eben diese Parteien das Gift des Nationalismus und Rassismus im öffentlichen Leben zu verbreiten. Dies hat Parteien, die fanatischen Nationalismus vertreten und gegen Migranten hetzen, geholfen mit Unterstützung der herrschenden Klasse überall auf dem Kontinent an Boden zu gewinnen.

Als unentbehrliche Waffe im Arsenal der Bourgeoisie, um Widerstand der Bevölkerung gegen die Sparpolitik zu unterdrücken, haben sich die Gewerkschaftsbürokratien erwiesen. Deren Verteidigung des Kapitalismus und des Nationalstaats macht sie unfähig, irgendeine Art von Opposition anzuführen. Denn unter diesen Bedingungen können Arbeitsplätze, Lebensstandard und soziale Rechte der arbeitenden Klasse nur durch die Enteignung der großen Banken und Konzerne verteidigt werden.

Die Gewerkschaften hingegen haben in allen Ländern darauf bestanden, dass die Opposition der arbeitenden Bevölkerung – in Form von Streiks und Massenprotesten – darauf beschränkt wird, Druck auf die Regierung auszuüben, statt diese zu stürzen und durch eine Arbeiterregierung zu ersetzen. In einigen Fällen haben sich die Gewerkschaften mit der Regierung zusammengeschlossen, um die Bewegung der Arbeiter zurückzuhalten, um den kapitalistischen Staat zu verteidigen. Dabei haben sie wie beim Arbeitskampf der Lastwagenfahrer in Griechenland, dem der den Raffineriearbeiter in Frankreich oder bei den Fluglotsen in Spanien Streikbruch begangen und Streiks kriminalisiert.

Bei ihrer Unterdrückung von Arbeiterkämpfen verlassen sich die Gewerkschaften auf die politische Unterstützung durch etliche ex-radikale Parteien: SYRIZA in Griechenland, die Vereinige Linke in Spanien, die Neue Antikapitalistische Partei in Frankreich oder die Linkspartei in Deutschland. Immer wieder habe Arbeiter in Europa Protestaktionen, Demonstrationen und Streiks gegen die Kürzungen begonnen, aber jedes Mal mussten sie feststellen, dass ihre Forderungen verraten wurden. Denn die von diesen kleinbürgerlichen pseudo-linken Organisationen unterstützten Gewerkschaften handelten mit den Regierungen die sozialen Kürzungen aus.

Ein Jahr nach dem Bailot für Griechenland hat sich die europäische Bourgeoisie als vollkommen unfähig erwiesen, die Wirtschaftskrise zu bewältigen, obwohl sich ihre Angriffe auf die Arbeiterklasse verschärft haben. Zweimal im zwanzigsten Jahrhundert führten die gleichen grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus, zu denen vor allem der Konflikt zwischen globaler Wirtschaft und dem System von Nationalstaaten gehört, zu Weltkriegen geführt. Die einzige Kraft, die Europa auf einer fortschrittlichen Grundlage vereinigen kann, ist die Arbeiterklasse, wenn sie sich auf ein revolutionäres Programm zum Sturz der des Kapitalismus stützt und die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa als Bestandteil der sozialistischen Weltrevolution errichtet.

Die dringendste Frage für die Arbeiterklasse dabei ist die der Führung und der Perspektive. Die Opposition der Arbeiter und der Jugend muss sich mit einem bewussten revolutionären Programm bewaffnen, in dem die politischen Lehren aus den Kämpfen des vergangenen Jahrhunderts gezogen wurden. Dies erfordert den Aufbau neuer Parteien auf der Grundlage des sozialistischen Internationalismus.

Als entscheidende Lehre, die aus den bitteren Erfahrungen des letzten Jahres zu ziehen ist, müssen Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale aufgebaut werden, damit der Kampf für diese Perspektive überall in Europa und der gesamten Welt geführt werden kann.

Siehe auch:

Griechische Schuldenkrise eröffnet neues Stadium des Klassenkampfs

Erklärung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale

(18. März 2010)

 

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