NATO-Bomben auf Tripolis töten und verletzen Zivilisten

Vergangenen Dienstagmorgen flogen die USA und die NATO im Agressionskrieg gegen Libyen die bisher intensivsten Bombenangriffe. In den frühen Morgenstunden töteten Luftschläge britischer und anderer NATO-Kampfflugzeuge neunzehn libysche Zivilisten. Weitere 150 wurden verletzt, viele von ihnen schwer, wie das libysche Gesundheitsministerium berichtete.

An den Luftschlägen waren Tornados und britische Typhoon-Kampfflugzeuge beteiligt. Der intensive Bombenangriff umfasste zwanzig gewaltige Explosionen über dem Stadtzentrum von Tripolis, wo sich die Wohnanlage von Oberst Muammar Gaddafi befindet. Libysche Regierungsvertreter erklärten, die Angriffe hätten zahlreiche Häuser und eine nahe gelegene Moschee beschädigt.

Wie frühere Luftangriffe auf Tripolis, bei denen im April auch Gadaffis Sohn Seif al-Arab und drei seiner Enkelkinder ums Leben kamen, zielte der Angriff vom Dienstagmorgen offenbar darauf ab, das libysche Regime zu enthaupten. Ein weiteres Ziel besteht darin, die Bevölkerung von Tripolis und all jene, die das Eingreifen der NATO ablehnen, zu terrorisieren.

Die Behauptung, die US-NATO-Militäreinsätze stünden in Übereinstimmung mit der Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, wurde praktisch fallengelassen. Die UN-Resolution sieht eine Flugverbotszone vor und gestattet in diesem Rahmen Maßnahmen zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung. Die Politiker in Washington und Westeuropa versuchen gar nicht, die Wirklichkeit zu verhehlen, dass das Kriegsziel ein „Regimewechsel“ ist, und dass sie bereit sind, so viele Libyer wie nötig zu töten, um dieses Ziel zu erreichen.

Außer den verstärkten Bombenangriffen planen Frankreich und Großbritannien offenbar zum ersten Mal, Kampfhubschrauber in Libyen einzusetzen. Der französische Verteidigungsminister Alain Juppé bestätigte am Montag diese Pläne, die eine qualitative Eskalation der imperialistischen Intervention darstellen.

Juppé erklärte, Frankreich habe am 17. Mai zwölf Tiger- and Gazelle-Hubschrauber von Toulon aus an Bord eines französischen Kriegsschiffs losgeschickt. Diese Kampfhubschrauber sollten den NATO-Streitkräften erlauben, „unsere Möglichkeiten für Angriffe am Boden besser an die präzisen Luftschläge anzupassen“.

„Unsere Strategie“, fuhr Juppé fort, „besteht darin, den militärischen Druck in den kommenden Wochen zu erhöhen, während wir gleichzeitig auf eine politische Lösung drängen.“

Juppé behauptet zwar, die Hubschrauber seien nicht Teil eines Plans, Bodentruppen auf libyschem Territorium zum Einsatz zu bringen. Doch die französische Tageszeitung Le Figaro berichtete, französische Spezialeinheiten sollten auf libyschem Territorium Ziele für die Kampfhubschrauber ausmachen. Solche Einheiten operieren schon längere Zeit in Libyen; sie waren schon dort, ehe der NATO-Luftkrieg vor zwei Monaten begann.

Die Hubschrauber sollen wahrscheinlich die so genannten Rebelleneinheiten von der Luft aus unterstützen. Sie sind Beschuss vom Boden aus, z. B. durch tragbare Boden-Luft-Raketen der Regierungstruppen, viel stärker ausgesetzt. Wenn ein solcher Hubschrauber abgeschossen wird und seine Besatzungsmitglieder gefangen genommen werden, könnte dies ein direktes Eingreifen von Bodentruppen als zwingend erforderlich erscheinen lassen.

Der britische Außenminister William Hague erklärte am Montag, die Londoner Regierung unterstütze diese Eskalation. „Wir unterstützen voll und ganz die Verschärfung der Kriegsführung“, erklärte er auf einem Treffen der EU-Minister in Brüssel. „Wir stimmen natürlich mit Frankreich und sicherlich mit all unseren Partnern und den auf diesem EU-Treffen Anwesenden überein, dass es notwendig ist, den militärischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Druck auf das Gaddafi-Regime zu erhöhen.“

Frankreichs Verteidigungsminister Gérard Longuet erklärte gegenüber Le Figaro, Großbritannien ziehe mit dem französischen Hubschrauber-Einsatz gleich und schicke zwölf eigene, in den USA gefertigte Apachen-Hubschrauber.

Die Ankündigung sorgte für eine kurze Auseinandersetzung im britischen Parlament. Jim Murphy, der Schatten-Verteidigungsminister der Labour Party, warnte vor einer „ernsten Eskalation“ des Kriegs in Libyen durch den Einsatz von Hubschraubern und protestierte dagegen, dass das Parlament „darüber im Dunkeln gelassen“ worden sei.

Murphy und die Labour Party unterstützen den Krieg. Seine Hauptsorge ist offenbar die mangelnde Rücksprache. „Das britische Volk wird schwer beunruhigt darüber sein, dass französische Minister [früher] über den Einsatz von britischem Kriegsgerät informiert sind als das britische Parlament“, sagte er.

Der Protest führte zu einem formellen Dementi von Seiten der Regierung, es habe schon irgendeine Entscheidung über den Einsatz der Apaches gegeben. Der britische Guardian zitierte jedoch einen anonymen Vertreter des Verteidigungsministeriums, der gesagt haben soll: „Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es passieren.“ Die Zeitung berichtet entgegen der formellen Dementi: „Regierungsquellen haben deutlich gemacht, dass die Apaches nach Libyen geschickt würden, und dass die Absicht bestehe, sie einzusetzen.“ Die Kampfhubschrauber sind auf dem britischen Kriegsschiff HMS Ocean stationiert, das sich gerade auf dem Weg in die Gewässer vor der libyschen Küste befindet.

Am ersten Tag von Barack Obamas Staatsbesuch in Großbritannien veröffentlichte die Times of London eine gemeinsame Erklärung des US-Präsidenten und des britischen Premierministers David Cameron. Darin rühmten sich beide Regierungspolitiker ihres Kriegs zum Sturz Gaddafis.

„Wir haben seine Kriegsmaschinerie zersetzt und eine humanitäre Katastrophe verhindert“, schrieben sie. „Und wir werden auch weiterhin mit unseren Verbündeten die UN-Resolutionen durchsetzen, bis sie vollständig erfüllt sind.“

Obama und Cameron versuchten darin, die imperialistische Intervention als Kreuzzug für die Demokratie darzustellen, als sei sie eine Art Verteidigung der Aufstände, die „arabischer Frühling“ genannt werden.

„Wir setzen nur widerstrebend Gewalt ein“, schreiben sie, „aber wenn unsere Interessen und Werte übereinstimmen, dann wissen wir, dass wir die Verantwortung zum Handeln haben.“

In diesem Fall sind die Interessen der USA und Großbritanniens das Bestreben, die Ölvorräte der Region unter ihre Kontrolle zu bringen. Außerdem wollen sie in Libyen ein gefügigeres Regime einsetzen, das es dem US-amerikanischen und britischen Imperialismus ermöglicht, militärischen Druck auf die Revolutionen auszuüben, die an Libyens Grenzen in Tunesien und Ägypten ausgebrochen sind. Und was die „Werte“ angeht, so bestehen sie aus der heuchlerischen Behauptung, dass Washington und London sich für Demokratie in der Region einsetzten. Dabei stehen sie unerschütterlich zu Saudi Arabien, Jordanien und anderen diktatorischen Monarchien in dieser Region, die ihre Verbündeten und Satellitenstaaten sind.

Washington gab am Dienstag an zwei Fronten seine Zustimmung zu einem „Regimewechsel“ zu erkennen. Erstens schickte es den stellvertretenden Außenminister für Angelegenheiten des Nahen Ostens, Jeffrey Feltman, in die ostlibysche Stadt Benghasi zu einem Treffen mit dem Nationalen Übergangsrat, der dort seinen Sitz hat. Feltman überbrachte eine „mündliche Botschaft“ von Präsident Obama, dass Muammar Gaddafi in Washingtons Augen „seine Berechtigung zu regieren verloren hat; er kann die Kontrolle über Libyen nicht wiedergewinnen, und er muss sofort zurücktreten“.

Feltman erklärte den Mitgliedern des Rats, zu dem auch langjährige Exil-Libyer mit Verbindungen zur CIA und ehemalige Gaddafi-Minister und -Beamte gehören, Washington sehe in dem Gremium einen „glaubwürdigen und legitimen Vertreter des libyschen Volks“. Er forderte sie auf, einen Vertreter in die amerikanische Hauptstadt zu schicken.

Feltman wiederholte jedoch, dass die USA nicht bereit seien, den Rat formell anzuerkennen, so wie Frankreich und Italien das getan haben. Er räumte ein, es gäbe „schwierige Fragen“, die der Anerkennung im Wege stünden. Dazu gehört an erster Stelle die Summe von über 34 Milliarden Dollar an libyschem Vermögen, welche die USA auf amerikanischen Konten eingefroren haben. Würde die Washingtoner Regierung den Rat formell anerkennen, müsste sie ihm auch die Kontrolle über diese Gelder überlassen.

Unterdessen hat sich eine parteiübergreifende Gruppe von Senatoren in Washington darauf geeinigt, eine Resolution einzubringen, in der der von den USA geführten Krieg in Libyen unterstützt wird. An der Spitze dieser Gruppe stehen Senator John Kerry, der demokratische Vorsitzende des Senatsausschusses für auswärtige Angelegenheiten, und Senator John McCain, der hochrangigste Republikaner im Senatsausschuss für die Armee.

Kurz zuvor hat sich die Obama-Regierung entschieden, die Sechzig-Tage-Frist zu ignorieren, die am letzten Freitag abgelaufen ist. Die Frist hätte das Weiße Haus gemäß dem War Powers Act von 1973 verpflichtet, die Zustimmung des Kongresses für die Militärintervention einzuholen oder diese einzustellen. Obama tat keins von beiden; er schickte stattdessen einen Brief an das Abgeordnetenhaus und den Senat, in dem er behauptete, das US-Militär spiele nur eine „unterstützende Rolle“, zum Beispiel führe es „Präzisionsangriffe mit unbemannten Flugkörpern gegen eine begrenzte Zahl klar umrissener Ziele“.

Die demokratischen und republikanischen Senatoren versuchen mit ihrer Resolution im Wesentlichen, die Verletzung der Verfassung durch die Regierung Obama zu bemänteln und die Legislative noch des letzten Rests von Kontrolle über die Kriegsführung zu entheben.

Überdies macht die Resolution Schluss mit der Fiktion, dass die US-Intervention an die Bedingungen der Resolution des UN-Sicherheistrats gebunden sei. Darin wird erklärt, das Ziel der US-Militär-Intervention besteht darin, „den Rücktritt von Muammar Gaddafi und seiner Familie von der Macht zu erreichen“. Das ist aber nichts anderes als ein Regimewechsel.

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