USA nutzen Rücktritt von Strauss-Kahn, um die Bedingungen des Rettungsplans für Griechenland zu diktieren

Die britische Zeitung The Guardian enthüllte letzten Freitag auf welche Weise die US-Regierung den Rücktritt des Chefs des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauß-Kahn, ausnutzte, um in die europäische Schuldenkrise einzugreifen und ihre Vorstellungen zu diktieren. Strauß-Kahn war zurückgetreten, weil er wegen Vergewaltigung angeklagt wurde.

Der Artikel im Guardian trägt die Überschrift „Hardliner des IWF zwangen Deutschland die Rettung Griechenlands zu garantieren.“ Beschrieben wird darin, wie Vertreter der USA vor einiger Zeit großen Druck auf die deutsche Regierung ausübten, einem zweiten Rettungspaket für Griechenland zuzustimmen.

Bis Mitte Mai hatte Kanzlerin Angela Merkel wiederholt betont, dass die griechische Wirtschaft keines zweiten Bailouts bedürfe.

Unter großem Druck aus ihrer eigenen Regierungskoalition hatte sich Merkel gegen weitere Hilfsgelder für Athen gewandt und verlangt, dass auch die Banken und privaten Investoren irgendwie in die Schuldenerleichterung für Griechenland eingebunden werden sollten. Die Mehrheit der anderen europäischen Länder unter Führung Frankreichs waren mit Unterstützung der Europäischen Zentralbank (EZB) und der US-Regierung entschieden gegen jeden derartigen„Schlag“, d.h. sie waren dagegen, dass die Banken Verluste hinnehmen sollten.

Der Artikel im Guardian beschreibt, welch starken Druck die US-Regierung auf Deutschland auf dem Weg über Washingtons Einfluss im IWF ausübte. „Gerade als klar wurde, dass das Rettungspaket vom letzten Jahr über 110 Mrd. Euro wirkungslos geblieben war und dass eine ähnliche Summe notwendig sein würde, um einen Staatsbankrott Griechenlands zu vermeiden, der katastrophale Folgen für exponierte europäische Banken hätte, setzte der IWF der deutschen Regierung ein Ultimatum: Liefert eisenharte Garantien für einen weiteren Bailout Griechenlands und beziffert die dazu nötige Summe oder der IWF wird die im nächsten Monat fällige Rate für Griechenland nicht freigeben, was heißen könnte, dass Athen zahlungsunfähig wäre.“

Weiter führt der Artikel aus, dass der „Wendepunkt“ in dieser Auseinandersetzung im Verlauf der Diskussionen auf dem G-8 Gipfel eingetreten sei, der am 26./27. Mai in Deauville in Frankreich stattfand. Auf dem Gipfeltreffen traf sich US-Präsident Barack Obama privat mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und brüskierte die deutsche Kanzlerin.

Sarkozy unterstützt die Linie der US-Regierung bezüglich der griechischen Schuldenkrise (gegen Deutschland) und erwies sich auch als treibende Kraft für den Nato-Angriff auf Libyen. Sehr zum Missfallen sowohl Frankreichs als auch der USA enthielt sich Deutschland im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über das militärische Eingreifen in Libyen.

Nach einer heftigen internationalen Medienkampagne gegen Strauss-Kahn kündigte dieser in der Woche vor dem Gipfel in Deauville seinen Rücktritt vom Vorsitz des IWF an. Zur gleichen Zeit machte die US-Regierung klar, wen sie an seiner Stelle zu sehen wünschte. In seiner ersten Stellungnahme zum Fall Strauss-Kahn verlangte US-Finanzminister Timothy Geithner, den Stellvertreter von Strauss-Kahn, John Lipsky, einen erprobten amerikanischen Bankenvertreter, vorübergehend an dessen Stelle zu setzen.

In Deauville führte Lipsky statt Strauss-Kahn dann auch die Diskussionen mit den internationalen Regierungschefs. Der Guardian schreibt „[Der] Interimsvorsitzende des IWF, John Lipsky, fuhr nach Frankreich, um die Deutschen als Schlüsselfiguren im Rettungsdrama nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.“

Weiter heißt es in dem Artikel: „Strauss-Kahn spielte eine wichtige Rolle in der Eurokrise und hatte als erfahrener französischer Politiker Beifall für sein geschicktes politisches Vorgehen erhalten. Der Amerikaner Lipsky war weniger geschmeidig, sondern viel schärfer. Am Rande des Deauville-Gipfels verhandelte er mit der Regierung von Angela Merkel und Herman Van Rompuy aus Belgien“ (dem Präsidenten der Europäischen Union).

Der Guardian schließt dann: “In der damaligen Konstellation hofften die Deutschen, so berichten Teilnehmer der Verhandlungen in Deauville, wieder auf Zeit spielen und einen neuen Rettungsplan bis September hinauszögern zu können. Aber zu spät. Lipsky bot ihnen Paroli und die Deutschen gaben mit zusammengebissenen Zähnen nach.“

Bei ihrer Rückkehr aus Deauville kündigte Merkel dem Bundestag pflichtschuldig an, dass Griechenland voraussichtlich im Verlauf dieses Jahres ein neues Schuldenrettungspaket benötigen werde.

In einer Fußnote des Artikels fügt der Guardian einen kurzen Bericht über Lipskys Laufbahn an. Er habe sein gesamtes Arbeitsleben für die Wallstreet und den IWF gearbeitet, schreibt der Guardian. In der Zusammenfassung heißt es: „Er [Lipsky] hat klargemacht, dass er sich erheblich von seinem Vorgänger Dominique Strauss-Kahn unterscheidet, der sich besorgt gezeigt habe, weil die westlichen Regierungen keine Arbeitsplätze schaffen. Das könne zu sozialen Unruhen führen. Lipsky hat dagegen in allen seinen öffentlichen Verlautbarungen die Regel des IWF hochgehalten, dass staatliche Ausgaben gekürzt werden müssen, um den Zahlungsverpflichtungen nachzukommen.“

Der Guardian-Artikel vermittelt nicht nur einen bemerkenswerten Einblick in das Ausmaß der politischen Zerwürfnisse zwischen den USA und Deutschland. Er deckt auch die Rücksichtslosigkeit auf, mit der die US-Regierung bereit ist, in das politische und wirtschaftliche Leben Europas einzugreifen.

Nach der Weigerung Frankreichs und Deutschlands, den Krieg der USA gegen den Irak zu unterstützen, hatte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld das Menetekel eines „alten Europa“ (darunter Frankreich und Deutschland) gegen das „neue Europa“ an die Wand gemalt. Zu letzterem zählte er die europäischen Länder, die bereit waren, die US-Politik bedingungslos zu unterstützen. Nach seiner Wahl zum Präsidenten versprach Obama einen neuen Ton gegenüber seinen internationalen Partnern anzuschlagen und mit dem Konfrontationskurs zu brechen, der für die Bush-Regierung charakteristisch war.

Die jüngsten Enthüllungen über die Rolle der USA in der europäischen Schuldenkrise zeigen jedoch das Ausmaß, in dem Washington unter Obama bereit ist, seine eigenen machiavellistischen Taktiken einzusetzen, um im Interesse der amerikanischen Banken seine eigenen politischen Bedürfnisse durchzuboxen.

Gleichzeitig werfen die Enthüllungen des Guardian weitere drängende Fragen auf, die die juristischen Vorwürfe gegen Strauss-Kahn betreffen. Die Verhaftung Strauss-Kahns unter dem Vorwurf der Vergewaltigung war von einer Schmutzkampagne großer Teile der US-amerikanischen und der internationalen Medien gegen ihn begleitet, die darauf abzielte, ihn zum Rücktritt vom Vorsitz des IWF zu zwingen. Die gleichen Kommentatoren sowohl vom rechten wie vom sogenannten linken politischen Spektrum machen sich über den Verdacht lustig, dass die Vorwürfe gegen Strauss-Kahn mit Versuchen zu tun haben könnten, die Achse der Politik des IWF zu verschieben.

Die WSWS wandte sich von Anfang an gegen diese Kampagne. In einem Perspektivartikel vom 20. Mai mit dem Titel Strauss-Kahn-Affäre wirft ernste Fragen auf stellten wir die Frage „Cui Prodest – wem nützt es?“ und schrieben:

„Um zu verstehen, wie mächtige Kräfte den gegenwärtigen Skandal nutzen, braucht man sich nur die Titelseite des Wall Street Journal vom Mittwoch mit dem Aufmacher 'Der Druck auf den inhaftierten IWF-Chef wächst' anzusehen.

Der Bericht stellt fest, dass die Obama-Administration 'deutlich signalisiert hat, dass es an der Zeit ist, den IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn zu ersetzen, da er seinen Job nicht länger effektiv ausüben kann. 'Die Verhaftung Strauss-Kahns wird von den USA ganz klar als eine günstige politische Gelegenheit angesehen.“

Der Perspektivartikel fährt dann fort: „Man geht davon aus, dass Strauss-Kahns Ersetzung wichtige politische Auswirkungen haben wird. Um die Auswahl eines Nachfolgers tobt bereits ein heftiger Kampf zwischen den europäischen Regierungen und den Vereinigten Staaten.

Dem Wall Street Journal zufolge wollen die Europäer am Spitzenposten des IWF festhalten. 'Aber die USA', schreibt das Journal, 'werden als größter Anteilseigner der Organisation bei der endgültigen Entscheidung eine Schlüsselrolle spielen.'“

Diese Analyse hat sich jetzt ganz und gar bestätigt. Die US-Regierung griff die Affäre um Strauss-Kahn als „günstige politische Gelegenheit auf, um ihren Mann John Lipsky auf den Stuhl des Vorsitzenden des IWF zu hieven und ihre Bedingungen für einen neuen Bailout für Griechenland zu diktieren. Diesem liegt allein die Verteidigung und Förderung der Interessen der Wall Street zu Grunde. Der 64jährige Lipsky hat zwar seinen alsbaldigen Abtritt angekündigt, aber zweifellos haben Obama und Sarkozy in Deauville bereits über eine angemessene Nachfolge diskutiert – die favorisierte Kandidatin für den Posten ist die gegenwärtige französische Finanzministerin Christine Lagarde.

Loading