Bourgeoisie und Pseudolinke gegen eine „zweite Revolution“

Hunderttausende Arbeiter und Jugendliche demonstrierten am 27 Mai in allen größeren Städten Ägyptens gegen die Militärjunta, die nach dem Sturz Mubaraks am 11 Februar die Macht übernommen hat. Die Demonstranten machten ganz klar, dass sie die Militärregierung als unverhohlene Bedrohung der Revolution ansehen. Eine ihrer Losungen war der Aufruf zu einer "zweiten Revolution".

In der Tat setzt die Militärregierung die gleiche Politik fort, wie die Diktatur von Hosni Mubarak. Die Notstandsgesetze bleiben in Kraft, Streiks und Demonstrationen, die die Wirtschaft beeinträchtigen, sind verboten und Demonstranten und Aktivisten, die die Militärdiktatur kritisieren, werden verfolgt und inhaftiert. Hinsichtlich seiner Außenpolitik bleibt Ägypten der Eckpfeiler des westlichen Imperialismus in der Region. Geringfügige Veränderungen, wie die teilweise Öffnung der Grenze zu Gaza bei Rafah oder die Aufnahme bilateraler Gespräche mit dem Iran sollen die Opposition im Land besänftigen und gleichzeitig die strategische Allianz mit den Vereinigten Staaten und Israel aufrecht erhalten.

Viele Demonstranten, die am 27 Mai auf dem Tahrir Platz mit der World Socialist Web Site sprachen, bekräftigten, dass sich in den vier Monaten seit dem Beginn der Revolution nichts wirklich verändert habe.

Ein Student von der Universität Heluan sagte: "Ich bin heute wieder auf dem Tahrir Platz, weil wir jetzt wieder eine Diktatur haben. Das Militär bestraft jede kritische Äußerung über seine Herrschaft. Es hat bereits Hunderte friedlicher Demonstranten und Aktivisten angegriffen und inhaftiert. Außerdem hat es nicht eine der demokratischen und sozialen Forderungen erfüllt und die Verfolgung des Führungspersonals des alten Regimes ist nur ein Witz. Der Massenmörder Mubarak ist immer noch in seinem Fünf-Sterne-Sanatorium in Sharm el-Sheikh."

Ein anderer Demonstrant, der aus Menoufiya nach Kairo gekommen war, um sich dem Protest anzuschließen, sagte: "Meiner Meinung nach sind Feldmarschall Tantawi [der Führer der Militärjunta] und Mubarak aus dem gleichen Holz. In Wirklichkeit ist der ganze Militärrat Teil des alten Regimes. Ich denke, sie sind die Generäle Mubaraks. Was mich angeht, ist es keine Überraschung, dass sich noch nichts wirklich verändert hat. Die Revolution muss weitergehen, und das ist auch der Grund, weshalb ich heute hier bin."

Da sie mit dieser wachsenden Militanz ägyptischer Arbeiter und Jugendlicher konfrontiert ist, greift die Militärjunta zu den gleichen Methoden und Argumenten wie die Mubarak-Diktatur, um ihre Unterdrückung der Arbeiterklasse zu rechtfertigen. Gleichzeitig arbeiten die pseudolinken Parteien der Sozialistischen Front zunehmend daran, die Arbeiterklasse unter Kontrolle zu halten und Illusionen in die Militärjunta und die bürgerliche Politik allgemein zu fördern.

Während der letzten Wochen haben islamistische Gruppen versucht, religiöse Auseinandersetzungen zwischen der moslemischen Mehrheit und der christlichen Minderheit in Ägypten zu schüren. Das Militär schaute tatenlos zu, als bewaffnete Schlägerbanden eine Kirche im Kairoer Arbeiterviertel Imbada angriffen. Mindestens zehn Menschen kamen während der Unruhen um. Jetzt benutzen die Militärherrscher die Angst von dem "Chaos", um den Unterdrückungsapparat des kapitalistischen Staats zu stärken und verleumden jeden, der weiter demonstriert.

Vor den Protestaktionen am 27. Mai veröffentlichte der Oberste Militärrat (SCAF) auf seiner Facebookseite eine Botschaft, in der er die Demonstranten beschuldigte, sie seien "verdächtige ausländische Elemente, die behaupten, Patrioten zu sein", und gefälschte Informationen zu verbreiten, um die Armee und die Bevölkerung auseinander zu bringen. Derartige "ausländische Elemente", benutzten, so die Erklärung, kriminelle Elemente, um die Demonstrationen zu unterwandern und Konfrontationen mit der Armee und der Polizei zu provozieren. Ihr Ziel sei es, das Militär zu schwächen, "den Stützpfeiler der Sicherheit Ägyptens in dieser wichtigen Phase der Geschichte unseres geliebten Landes."

Die Erklärung der Armee ist Teil einer gewaltigen Propagandakampagne in den vom Staat kontrollierten Medien, die in der "Übergangsperiode" nach einem härteren Vorgehen der Militärherrscher gegen alle weiteren Demonstrationen und Streiks riefen. Verschiedene Kommentatoren forderten, dass die Armee "alles tun müsse, was nötig sei, um die Sicherheit wieder herzustellen" und das "Chaos" zu beenden.

Aus einem Kommentar in der Zeitung Al Ahram Weekly von Galal Nasser wurde klar, dass sich diese ganze "Sicherheits"-Kampagne gegen die revolutionäre ägyptische Arbeiterklasse richtet. Die letzten Zeilen des Kommentars lauten: "Wenn wir dieses Chaos nicht beenden, könnte eine zweite Revolution folgen, und diesmal wird es die Revolution sein, vor der uns die Soziologen vor dem 25 Januar gewarnt haben, die Revolution der Hungrigen."

Die ägyptische Bourgeoisie ist uneins darüber, wie man der Drohung einer zweiten Revolution begegnen solle. Es wird darüber diskutiert, dass die Junta selbst einen Deal mit der Moslembruderschaft (MB) und anderen islamistischen Gruppen aushandeln solle.

Die Moslembruderschaft ist die größte und am besten organisierte politische Kraft in Ägypten. Daher denken Teile der Bourgeoisie über eine MB-Regierung nach, die sich auf das Militär stützt. Sie halten dies für das beste Mittel die revolutionäre Bewegung in Schach zu halten. Die Moslembrüder standen der Revolution von Anfang an feindlich gegenüber und wandten sich in den ersten Tagen der Revolution gegen die Massendemonstrationen. Jetzt unterstützen sie offen die Militärregierung. Sie verleumden die Demonstranten vom 27. Mai als "Säkularisten und Kommunisten".

Verschiedene liberale Parteien wie al-Wafd oder die neugegründete Freie Ägyptische Partei des Milliardärs Naguib Sawiris, wandten sich unter dem Vorwand, dass Stabilität nötig sei, ebenfalls gegen die Demonstrationen vom 27. Mai. Prominente bürgerliche Politiker wie Mohamad ElBaradei, Hisham Bastaswisi, Abdel Moneim Aboul Fotouh oder Amr Moussa, der am G-9-Gipfel in Frankreich teilnahm, ließen sich auch nicht blicken.

Einige Mitglieder von ElBaradei's Nationaler Allianz für Veränderung nahmen an den Protestaktionen teil, aber nur als Individuen. Nach einem Bericht der unabhängigen ägyptischen Zeitung Youm7, hat seine Allianz beschlossen, ihre Aktivitäten auszusetzen, "bis Stabilität im Land herrscht".

Die Präsidentschaftskandidaten und Führer der Partei der Nasseristen Karama (Würde) Hamdeen Sabahi, und Ayman Nour (El Ghad) nahmen an der Demonstration teil. Ihr Ziel war es aber, von den Hauptthemen der Massenproteste abzulenken. Nour behauptete, es habe keinen Aufruf zu einem Marsch der Millionen gegeben und dass die Leute nur demonstrierten, "um die Korruption auszumerzen."

Andere liberale Parteien und Jugendgruppen wie die Jugendbewegung vom 6. April – die ursprünglich gefordert hatten, das Militär solle die Macht übernehmen, "um die Revolution zu schützen" – haben begonnen, einen etwas kritischeren Standpunkt gegen die Regierung des Obersten Militärrats Ägyptens (SCAF) einzunehmen. Sie haben vorgeschlagen, den SCAF durch einen zivilen Rat zu ersetzen. Sie beschuldigen die Armee, nach dem Fall Mubaraks mit äußerster Gewalt gegen friedliche Demonstranten vorzugehen.

Die Armee hat wiederholt gegen friedliche Demonstranten losgeschlagen, Tausende verhaftet und sie vor Militärgerichte gestellt. Menschrechtsgruppen berichten regelmäßig über Folter an verhafteten Demonstranten.

Aber diejenigen, die jetzt die Armee kritisieren, stellen den SCAF nicht grundsätzlich in Frage, geschweige denn den kapitalistischen Staat, in dessen Namen er regiert. Jetzt, nachdem breite Schichten den wirklichen Charakter des SCAF zu verstehen beginnen und einige der Illusionen der ersten Tage der Revolution verlieren, behaupten die Studentenorganisationen, dass massiver Druck ausreiche, um die Armee zu einem "wirklichen Dialog" zu zwingen und die Revolution zu vollenden.

Eine entscheidende Rolle bei diesen Bestrebungen, eine zweite Revolution von unten zu verhindern und den bürgerlichen Staat zu stützen, spielen diverse linke Gruppierungen, wie die Revolutionären Sozialisten (RS), die Demokratische Arbeiterpartei (DAP), die Sozialistische Vereinigungspartei (SVP), die Ägyptische Sozialistische Partei (ÄSP) und die Ägyptische Kommunistische Partei ÄKP). Am10. Mai vereinigten sich diese Kräfte in einer sogenannten Sozialistischen Front, und erklärten in ihrem Gründungsdokument, sie seien bereit, "mit allen progressiven und demokratischen Kräften zu kooperieren, um die gemeinsamen nationalen Ziele zu erreichen."

Die Sozialistische Front hat ein bürgerliches und nationalistisches Programm und schmückt sich fälschlicherweise mit dem Etikett "sozialistisch", um die Arbeiter und die Jugendlichen in die Irre zu führen, die nach einer Alternative zum kapitalistischen System suchen. Die Perspektive der Sozialistischen Front ist, ein breites Bündnis mit den Parteien der Mittelklasse aufzubauen, die darauf aus sind, unter der Kontrolle des ägyptischen Militärs Einfluss zu gewinnen oder öffentliche Ämter zu erobern. Das hat nichts zu tun mit Sozialismus oder einem Kampf für Arbeitermacht.

Keine dieser pseudolinken Gruppen unterstützte am 27. Mai die Forderung nach einer zweiten Revolution. Die Revolutionären Sozialisten gaben eine Erklärung mit der Überschrift "Keine Militärherrschaft – warum wir am 27. Mai wieder auf den Tahrir Platz gehen" heraus. Darin fordern sie einen "revolutionären zivilen Präsidentschaftsrat für die Übergangszeit", um die Revolution wieder "auf den richtigen Weg zu bringen". Darüber hinaus verlangen sie die "Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung, um vor den Wahlen eine Verfassung zu verabschieden."

Ohne die Perspektive einer neuen Revolution gegen die SCAF-Junta ist dies jedoch leere Phrasendrescherei. Es drückt die Hoffnung aus, dass die Militärdiktatur friedlich eine kapitalistische Demokratie schaffen werde. Bezeichnenderweise wurde der Aufruf der RS auch von der Nationalen Front für Gerechtigkeit und Demokratie (NFGD) unterzeichnet – eine offen prokapitalistischen Partei, die sich im Rahmen des alten Staatsapparats und seiner Medien bewegt.

Das erklärte Ziel der NFGD ist es "mit allen anderen politischen Bewegungen zusammenzuarbeiten, um in der kommenden Periode die besten Bedingungen für Regierung, Politik und Verfassung zu schaffen, ohne jemanden auszuschließen." Ihr Programm richtet sich darauf "die Ergebnisse der Wahlen so weit wie möglich zu beeinflussen", Ihre Methoden schließen " Druck der Öffentlichkeit" ebenso ein wie "Druck durch die Medien" und die Bemühung, "die fruchtbaren Beziehungen zu den traditionellen Medien zu vertiefen". (Siehe: http://www.tahrirdocuments.org/2011/05/national-front-for-justice-and-democracy/)

Die anderen Strömungen der Sozialistischen Front erhoben noch nicht einmal die Forderung nach dem Rücktritt des SCAF, sondern verbreiten die Illusion, dass Druck auf die Junta ausreiche, um sie dazu zu bringen, demokratische Politik zu machen.

Die Sozialistische Vereinigungspartei (SVP) rief zu einer "roadmap" auf, "die vor irgendwelchen Wahlen eine neue Verfassung garantieren" solle. Sie appellierte an den Militärrat, "vor Gefahren zu schützen, deren Ausmaß nur Gott kennt". Die Angst der SVP vor der Revolution und ihre Kriecherei vor der Militärdiktatur ist kein Wunder, besteht sie doch weitgehend aus früheren Mitgliedern der offiziellen "linken" Blockflötenpartei aus der Ära Mubaraks, der Tagammu Partei (Sammlung für den Nationalen Fortschritt). Sie ist durch ihre langjährige Kollaboration mit Mubarak weitgehend diskreditiert.

Mitglieder der DAP, eine Partei die von den Revolutionären Sozialisten neu gegründet wurde, verteilten ein Flugblatt mit der Überschrift: "Gemeinsam für die Unterstützung der Revolution". Darin heißt es, dass "die Forderungen der ägyptischen Bevölkerung immer noch erhoben werden", dass aber "offizielle Erklärungen der Minister oder des Militärrats zeigen, dass die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit und einem Leben in Würde nicht zu ihren nächsten Prioritäten gehört."

Die britische Socialist Workers Party (SWP) – die führende Partei der Internationalen Sozialistischen Tendenz (IST), der die RS in Ägypten angeschlossen sind – lobt ganz offen die SCAF-Junta.

In einem Kommentar vom 1. Juni von Mostafa Omar, der auf der Website socialistworker.org der SWP veröffentlicht wurde, hält der Autor daran fest, dass die Junta "nicht daran denke, zu dem Regime zurückzukehren, das vor dem 25. Januar herrschte". Er fügt dann sogar noch hinzu, dass der "Militärrat vorhabe, das politische und wirtschaftliche System zu reformieren, um es in die Lage zu versetzen, demokratischer und weniger repressiv zu werden." Omar schließt dann damit, die "Linke" müsse "in den nächsten Monaten Druck auf den Rat und seine Unterstützer ausüben und vorzeitige Konfrontationen vermeiden."

Derartige Argumente, dass der SCAF eine irgendwie geartete fortschrittliche Kraft sei oder dass er überredet werden könne, ein demokratisches Regime zu schaffen – sind reaktionäre Lügen. Die Parteien, die sie vorbringen, wenden sich nicht nur gegen einen Kampf für den Sozialismus, ihre Feindschaft gegen den Sozialismus bedeutet, dass sie auch den Kampf für wirkliche Demokratie ablehnen.

Da die Arbeiterklasse gegen Armut und Ausbeutung als billige Arbeitskraft revoltiert, schließen sich die Kapitalisten und die Militärdiktatur immer enger gegen die Masse der Bevölkerung zusammen. Das ägyptische Militär benötigt die finanzielle und technische Unterstützung des ausländischen Imperialismus, insbesondere die viele Milliarden schweren Hilfspakete aus Washington. Das ausländische wie das ägyptische Kapital ihrerseits benötigen die ägyptische Militärjunta, um die rechte Politik durchzusetzen, die sie der Arbeiterklasse und den unterdrückten Massen aufzwingen wollen.

Am 5. Juni kündigte der ägyptische Finanzminister Samir Radwan an, dass Ägypten ein drei Milliarden Dollar schweres Finanzarrangement mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) abschließen will. Wie bei den IWF-Abkommen in Europa und überall auf der Welt, wird dies die Massen nur weiter in die Armut treiben. Die USA und die europäischen Mächte benutzen den IWF, um Ägypten zu zwingen, seine Wirtschaft weiter für ausländisches Kapital zu öffnen. Diese Politik des freien Marktes führt zu enormer Armut und sozialer Ungleichheit in Ägypten. Das war der Hauptgrund für den Ausbruch der Revolution.

Da die Militärdiktatur sich darauf vorbereitet, diese Politik durchzusetzen, geht sie zunehmend gewaltsam gegen die Arbeiterklasse vor. Am 1. Juni verhaftete die Militärpolizei fünf der ungefähr 140 Petrojet-Arbeiter, die vor dem Erdölministerium einen Sitzstreik gemacht hatten.

Am 3. Juni starb ein Microbusfahrer im Polizeigewahrsam in der berüchtigten Poizeiwache Azbakeya in Kairo. Seine Kollegen sagten, dass er von der Polizei zu Tode gefoltert worden sei. Sie reagierten daraufhin mit Tumulten und setzten einen Polizeilastwagen in Brand. Die Militärpolizei und die Zentralen Sicherheitskräfte gingen gegen die Aufständischen vor und verhafteten einige von ihnen.

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