Von Hiroshima zu Fukushima – Politische Hintergründe der Atomkatastrophe in Japan

Der Super-GAU des Atommeilers Fukushima nach der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe vom 11. März 2011 hält die Menschen auf der ganzen Welt noch immer in Atem. Die Welt konnte fast live miterleben, wie ein Reaktorgebäude nach dem anderen explodierte und wie ein Hochtechnologieland mit Eimer und Schlauch gegen die entfesselten 770.000 Terabecquerel (1) Radioaktivität aus der Kernschmelze anzugehen versuchte. Japan wollte der Welt weismachen, dass alles unter Kontrolle sei.

Viele Menschen, die in den Medien die Ereignisse in Japan verfolgt haben, fragen sich, warum man in einem derart erdbebenreichen Land ausgerechnet auf Atomenergie gesetzt hat – Japan ist nach USA und Frankreich das drittgrößte AKW-Land der Welt – , und warum die Menschen dieses Landes den nuklearen Gefahren scheinbar so gleichgültig gegenüberstehen.

Diesen Fragen wollen wir nachgehen.

Eisenhowers Wendung

Der Aufbau der Nukleartechnologie in Japan ist darauf zurückzuführen, dass die USA nach dem Zweiten Weltkrieg aus militärischen Gründen unmittelbar Einfluss auf die Entwicklung des Landes nahmen. Schon kurz nach Kriegsende begannen die USA, Japan als Bollwerk gegen die Sowjetunion und vor allem gegen die revolutionäre Entwicklung in China und Korea aufzurüsten. Da die USA das Atomwaffen-Monopol verloren hatten, war es notwendig geworden, Japan atomempfänglich zu machen.

Die japanische Massenzeitung Mainichi Shimbun schreibt am 20. April 2011: „Auf der achten Vollversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 1954 hielt der damalige amerikanische Präsident Eisenhower die Rede ‚Atoms for Peace’. Seine Strategie bestand darin, relevante Technologien an andere Länder zu vergeben, um sie in den eigenen Block zu integrieren und damit die Vorherrschaft im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion zu sichern. Dass Japan als einziges Land, das Opfer der Atomwaffen geworden war, die Kerntechnologie annehmen würde, war von großer strategischer Bedeutung.“

CIA-Agent „Podam“

Der gleiche Zeitungsartikel zitiert Tetsuo Arima, Professor für Sozialwissenschaft an der Universität Waseda und Medienforscher, über den japanischen Atompolitiker Shoriki: „Nach dem Weltkrieg hat die CIA eng mit Herrn Shoriki zusammengearbeitet, um die Kampagne für die Atomenergie in Japan voranzutreiben. Denn dieser hatte nicht nur die notwendigen Verbindungen zur Politik und Wirtschaft, sondern auch die Möglichkeit, seine Zeitung und das Fernsehen zu mobilisieren.“

Arima hat in jahrelangen Recherchen in der NARA (United States National Archive and Records Administration) 474 Seiten umfassende CIA-Akten entdeckt, die den Verlauf der Einführung der Atomtechnologie in Japan detailliert aufzeichnen. Daraus zitiert er: „Die Beziehung zu Podam ist jetzt genug gereift, so dass eine konkrete Zusammenarbeit angestoßen werden kann.“

„Podam“ – das war der Codename für den Unterhausabgeordneten und CIA-Agenten Matsutaro Shoriki, der später Präsident der von ihm gegründeten Atomenerige-Behörde und Minister für Wissenschaft und Technologie werden sollte. Shoriki gilt deshalb heute als Vater der Atomkraft in Japan.

Japanischer Goebbels

Shorikis Karriere wäre ohne seine intensive Beziehung zur CIA und zum Pentagon undenkbar gewesen. Im faschistischen Japan vor und während des Krieges war er als Leiter der politischen Polizei insbesondere dafür verantwortlich, die Gewerkschaften, Kommunisten, Sozialisten und Kriegsgegner zu verfolgen und zu vernichten. Später wurde er Mitglied des Herrenhauses (Oberhaus) und Chef der Informationsabteilung des Innenministeriums, die für ideologische Kriegsführung und Propaganda zuständig war. Schon 1924 kaufte er die Zeitung Yomiuri Shimbun. Diese Zeitung wurde in den 1930er und 1940er Jahren zum wichtigsten Kriegstreiber und Sprachrohr der Militärdiktatur. (Heute ist Yomiuri Shimbun die größte Tageszeitung Japans mit einer Auflage von ca. zehn Millionen.) Shoriki, so könnte man sagen, war der Joseph Geobbels von Japan.

Nach dem Krieg wurde er als Hauptkriegsverbrecher drei Jahre lang inhaftiert. Es kam jedoch niemals zur Anklage. Stattdessen wurde er ohne Prozess freigelassen. Die CIA und auch das amerikanische Verteidigungsministerium brauchten seine Qualitäten und seinen Einfluss, um Eisenhowers Politik in Japan umzusetzen. Geheime Akten der Abteilung für psychologische Kriegsführung der amerikanischen Regierung belegen, dass die finanziellen Mittel für den Aufbau von Shorikis Medienimperium – er war auch der Gründer des ersten Privatfernsehens Japan TV und Gründer der Profi-Baseball-Liga in Japan – von der CIA und vom Pentagon bereitgestellt wurden, und zwar in der Größenordnung von zweistelligen Dollar-Millionensummen. (2)

Zu dieser Zeit reagierten die Menschen in Japan aufgrund des Schreckens von Hiroshima und Nagasaki traumatisiert auf das Wort Atomkraft, egal ob friedlich oder als Waffe. Im März 1954 erschütterte ein weiteres Ereignis die japanische Öffentlichkeit: Ein japanischer Fischerkutter wurde bei dem Wasserstoffbomben-Test auf den Bikini-Inseln radioaktiv so stark verseucht, dass ein Besatzungsmitglied starb und viele schwer verletzt wurden, obwohl der Kutter sich in einem von den USA als sicher erklärten Bereich befand. Die Anti-Atom-Stimmung entwickelte sich jetzt zu einer breiten Massenbewegung gegen die USA. Um Eisenhowers Politik in Japan umzusetzen, brauchte die CIA den Kriegsverbrecher Shoriki, um ein für die Atomkraft günstiges Klima zu schaffen, und überhaupt um das Volk von der Politik abzulenken. (3)

Remilitarisierung Japans

Dies deckte sich auch mit Shorikis Interessen, wobei er aber eine etwas andere Intention als die CIA hatte. Am 20. April 1952 veröffentlichte seine Zeitung Yomiuri Shimbun einen Artikel unter dem Titel: „Die Regierung weist an, einen konkreten Plan zur Errichtung des Amtes für Wissenschaft und Technologie als Vorbereitung für die Wiederbewaffnung und Waffenproduktion zu erarbeiten“. In diesem Artikel werden die Worte von Kantaro Suzuki zitiert, des letzten Reichsadmirals und Ministerpräsidenten bei der Kapitulation: „Diesen Krieg haben wir durch Wissenschaft verloren. Darum müssen wir jetzt die Wissenschaft unbedingt fördern, um Japan wieder aufzubauen.“ Mit „Japan wieder aufbauen“ meint Suzuki freilich, den Glanz des Großjapanischen Reichs wieder herzustellen.

Der glühende Nationalist Shoriki wollte sich nicht einfach von der CIA für ihre Propagandazwecke einspannen lassen, sondern er versuchte, die CIA und das Pentagon für seine Vorhaben zu benutzen. Seine Absicht war es, mit Hilfe seiner Beziehung zur CIA und zum Pentagon Regierungschef zu werden und so Japan wieder zu einer Militärgroßmacht aufzubauen.

Das Amt für Wissenschaft und Technologie – Vorläufer des Erziehungs- und Wissenschaftsministeriums – wurde tatsächlich gegründet, und zwar von Shoriki selbst. Er war mittlerweile wieder Parlamentsabgeordneter, und sein Wahlslogan lautete: „Neue Industrierevolution durch Kernkraft“. Er wurde Präsident der von ihm geschaffenen Atomenergie-Behörde, aus der das Amt für Wissenschaft und Technologie hervorging. Masao Maeda, ein Parteifreund Shorikis von der Liberal-Demokratischen Partei (LDP), entwarf den Gesetzesentwurf zur Schaffung des Amts für Wissenschaft und Technologie. Er definierte die Aufgaben des diesem Amt unterstellten Zentralinstituts für Wissenschaft und Technik mit folgendem Begriff: „Erforschung der Waffentechnologie einschließlich der Atomwaffen“. (4)

Operation 3S

Karl Mundt, ein rechter Republikaner und Gründer der Voice of America (VOA), des antikommunistischen Propaganda-Radiosenders der amerikanischen Streitkräfte für Asien, schickte seinen Untergebenen, Leutnant Henry Holthusen, nach Japan, um sich mit Shoriki zu treffen und ihn dazu zu bewegen, eine TV-Version des VOA in Japan aufzubauen. Holthusen betrieb damals über die Firma Unitel einen Fernsehsender für die US-Army im gesamten Fernen Osten. (5)

Shoriki war einverstanden. Über seinen Verbindungskanal zum Pentagon, die Anwaltkanzlei Murphy, Duiker, Smith & Burwell in Washington, verhandelte er mit dem amerikanischen Verteidigungsministerium über die Geldsumme zur Gründung des Fernsehsenders. (6)

Die Bereitstellung der Geldmittel rechtfertigten die Abgeordneten Bouke Hickenlooper, John Sparkman und andere vor dem amerikanischen Kongress wie folgt: „Um die militärische Operation der amerikanischen Streitkräfte auf japanischem Boden durchzuführen, ist es notwendig, dass die Japaner uninteressiert, unwachsam und unwissend bleiben; dazu müssen wir über Fernsehen massenhaft Unterhaltungs- und Sportprogramme senden, um die Interessen der Japaner abzulenken.“ Damit war die so genannte Operation 3S gemeint: Sex, Sport und Screen (Kinofilme). Diese Operation wurde dank Shoriki just zu der Zeit umgesetzt, wo sich die Anti-Atom- und Anti-Amerika-Stimmung der Bevölkerung zu einer großen Massenbewegung entwickelte.

Nakasone: Shoriki´s Vollstrecker

Für CIA und Pentagon wurde es zunehmend schwieriger, Shoriki zu kontrollieren. Die USA hatten keinesfalls vor, ihren ehemaligen Kriegsfeind mit Atomwaffen-Technologie auszustatten. Eisenhowers Politik bestand vielmehr darin, die japanische Gesellschaft atomkonform zu machen, damit einerseits amerikanische Atomwaffen an beliebigem Ort stationiert werden konnten. Andererseits sollte ein großer Markt die für amerikanische Kernkraft-Industrie in Japan erschlossen werden.

Das ist der Grund, warum das Wissen über die Nuklear-Technologie unter strengster Überwachung der amerikanischen Regierung nur auf amerikanischem Boden weitergegeben wurde. So wurden die meisten Atom-Ingenieure der Tokyo Electric Company in einer Schule in Illinois, der International School of Nuclear Engineering, „ausgebildet“, die von der Atomic Energy Commission betrieben wurde. Das vermittelte Wissen reichte aber nicht aus, um Atomreaktoren eigenständig zu entwickeln, sondern nur, um die von den USA verkauften, schlüsselfertigen AKWs zu betreiben. (7)

Shoriki interessierte sich jedoch in erster Linie für die Waffentechnologie. Deshalb waren die ersten Reaktoren, die er als Chef der Atombehörde in Japan bauen ließ, Calder-Hall-Reaktoren aus England, die ursprünglich für die Herstellung von Plutonium für Nuklearwaffen entwickelt wurden. Die Nutzung der bei der Plutonium-Herstellung abgeführten Wärme für die Energieerzeugung war eigentlich nur Nebenprodukt.

Über diesen Seitensprung waren die USA entsetzt. Daher konnte Shoriki bald keine weitere Unterstützung mehr von der CIA, bzw. dem Pentagon erhoffen, so dass er sein Vorhaben, die Regierungsmacht zu ergreifen, nicht mehr realisieren konnte.

Doch sein Schüler und Handlanger schaffte es, seine Pläne weiter zu verfolgen: Das war Yasuhiro Nakasone. Er wurde als Shorikis Nachfolger Chef des Wissenschafts- und Technologieamtes, danach Verteidigungsminister und schließlich Premierminister (1982-87). In seinen Memoiren schrieb Nakasone 1996: „Ich arbeitete als Gehilfe von Herrn Matsutaro Shoriki, der zum Präsidenten des Amts für Wissenschaft und Technologie geworden war. Ich schrieb all die Atomgesetzkomplexe, d.h. das Gesetz zur Errichtung der Atomenergiebehörde, das Gesetz zur Förderung der Entwicklung der Nuklearrohstoffe, das Gesetz zur Errichtung des Kernforschungsinstituts, das Gesetz für die Kernbrennstoffanstalt ...“ (8)

Als junger Marineoffizier war Nakasone Augenzeuge des Atombombenabwurfs auf Hiroshima gewesen. In seiner Biographie schreibt er: „Ich sah bei meinem Marineeinsatz in Takamatsu die Atompilze. Intuitiv spürte ich, dass die Zukunft des Atomzeitalters begonnen hatte.“ (9) Also nicht die 200.000 Menschen, die auf grausige Weise getötet wurden, und auch nicht die Hölle des langsamen Todes für die überlebenden Strahlenopfer interessierten ihn. Seine Reaktion war lediglich, sich nach dem Zeitalter der Atommacht Japan zu sehnen.

Yuko Fujita, Professor für Physik an der Keio-Universität, beschrieb in einem Vortrag auf einer Jahrestagung der Japanischen Physikalischen Gesellschaft Nakasones Rolle wie folgt:

„1953 kontaktierte ihn Mr. Coulton, ein Offizier des Counter Intelligence Corps von Douglas McArthurs General Headquarter, und lud ihn zu einem Seminar an der Harvard Universität ein, das von Kissinger veranstaltet wurde. Nakasone traf sich nach dem Seminar mit Hideo Yamamoto, einem Geschäftsmann der Firma Asahi Glas, der zu dieser Zeit an der Columbia Universität studierte, um sich mehr Informationen über Atomtechnologie zu beschaffen. Yamamoto sagte: ‚Er interessierte sich besonders für die Atomwaffen, und zwar für die kompakte Nuklearwaffen-Entwicklung. Da er Befürworter der japanischen Wiederbewaffnung war, gehe ich davon aus, dass er die Kernwaffen für Japan als eine Notwendigkeit sah’.“ (1)

Beginn des Atomprogramms

Unmittelbar nach der Rückkehr begann Nakasone, ein Sonderbudget für Atomforschung als Nachtragshaushalt vorzubereiten. In einem Schnellverfahren von nur drei Tagen gelang es ihm, den Gesetzesentwurf durch alle Koalitionsverhandlungen durchzuboxen, und bis am 4. März 1954 stimmten beide Abgeordnetenhäuser zu. So entstand das erste Atomprogramm in Japan mit einem Budget von 235 Millionen Yen. (Die Höhe dieses Betrags war Nakasones Idee; er sagte später, zu dieser Zahl habe ihn Uran 235 inspiriert.)

Die Eile war notwendig, denn in der Zwischenzeit hatte sich am 1. März 1954 jener Bestrahlungsunfall des japanischen Kutters beim Wasserstoffbomben-Test auf dem Bikini-Atoll ereignet, wobei der Kutter jedoch erst vierzehn Tage später nach Japan zurückkehrte. Der Unfall sollte die japanische Öffentlichkeit noch jahrelang beschäftigen.

Nakasone wurde Leiter des Wissenschafts- und Technologieamts der Kishi-Regierung (1956-1960). Shinsuke Kishi war, genau wie Shoriki, als Hauptkriegsverbrecher inhaftiert, aber von der CIA aus dem Gefängnis befreit worden, ehe er japanischer Premierminister wurde. Unter Kishi war Nakasone maßgeblich am Aufbau der japanischen Atomkraft-Programme beteiligt.

Kishi schreibt in seiner Autobiografie über die Bedeutung des Atomprogramms: „Die Nukleartechnologie ist an sich für beides nutzbar, sowohl für die friedlichen als auch für die militärischen Zwecke. (...) Japan hält zwar keine Kernwaffen, aber durch die Steigerung der potentiellen Kernwaffen-Fähigkeit kann Japan seine Einflusskraft auf der internationalen Arena verstärken.“

Nakasone war Präsident der Atomenergiebehörde, als diese 1961 das erste konkrete „Programm für langfristige Entwicklung und Nutzung der Atomkraft“ veröffentlichte. Auf der Grundlage dieses Programms entstanden AKWs wie Fukushima, deren Reaktorblöcke von dem amerikanischen Konzern General Electric, wie ursprünglich von der CIA geplant, als schlüsselfertige Anlage geliefert wurden. Die Bauaufträge der meisten AKW-Projekte in Japan gingen an einen einzigen Baukonzern, die Kajima-Gruppe, deren Chef ein enger Verwandter von Nakasone ist.

Anfang der 1970er Jahre, als die meisten AKWs angelegt wurden, besetzte Nakasone zwei Ministerposten: das Ministerium für Handel und Industrie und das Amt für Wissenschaft und Technologie. Damit konnte er sowohl in der Energiewirtschaft als auch beim Atomprogramm uneingeschränkt seine Macht ausspielen.

Der Anpo-Widerstand

Wie schon erwähnt, stieß die Einführung von Atomkraft bei der japanischen Bevölkerung auf weitverbreitete Ablehnung. Dafür sorgten schon die traumatischen Erfahrungen mit Hiroshima und Nagasaki am Ende des Zweiten Weltkriegs. In den 1950er und 1960er Jahren entwickelte sich die Anti-Atom-Bewegung zu einer Massenbewegung gegen die USA und fand 1964 ihren Höhepunkt im legendären Anpo-Widerstand, einer Generalstreik-ähnlichen Entwicklung gegen die Verlängerung des Sicherheitspaktes mit den USA. Gegen diese Bewegung ging der Staat mit brutaler Polizeigewalt vor.

Letztlich konnten all diese Protest- und Widerstandsbewegungen – auch die breiten Studentenprotesten der Jahre 1968-69 – nur niedergerungen werden, weil der Staat und die Atomlobby auf die Hilfe der Kommunistischen Partei Japans und der Gewerkschaftsführung zählen konnten. Sie trugen entscheidend dazu bei, den Widerstand unter Kontrolle zu bringen und auszuverkaufen. Die Kommunistische Partei Japans, die keineswegs für ein wirklich sozialistisches Programm eintrat, unterstützte anfangs offen die Atomlinie des Staates. Sie übte besonders im öffentlichen Dienst großen Einfluss aus und nahm zum Beispiel in der Lehrergewerkschaft eine beherrschende Stellung ein.

Der Staat ging nun dazu über, seine Erziehungspolitik in den Schulen systematisch auf Atomlinie auszurichten. So wurden z.B. in allen Pflichtschulen AKW-Kapitel in die Lehrbücher integriert, um die Kernkraft als sichere Energie der Zukunft schon früh im Bewusstsein der Kinder zu verankern. Die Schulbücher in Japan werden vom Erziehungs- und Wissenschaftsministerium kontrolliert, demselben Ministerium, das auch die Atomprogramme umsetzt.

Zahlreiche gesetzliche und wirtschaftliche Maßnahmen führten zu einer direkten Abhängigkeit der regionalen Kommunen von den Atomkraftwerken.

Militärische Bedeutung der AKW-Projekte

Die Atombetreiber übten in all den Jahren großen Einfluss auf die nationale Regierung aus. Dies trägt bis heute dazu bei, dass die Frage der Sicherheit der Bevölkerung vor atomaren Gefahren keine Rolle spielt. Viel wichtiger ist der militärische Aspekt der Atomenergiepolitik, der nach wie vor hochaktuell ist. Um dies zu belegen, sollen abschließend einige Fakten genannt werden.

Für den Bau der beiden Wiederaufbereitungsanlage Rokkashomura und Tokaimura sowie für den Schnellen Brüter Monju wurden bis jetzt mehr als 52 Milliarden Dollar investiert; allein die Anlagen in Rokkashomura sollen am Ende mehr als 100 Milliarden Dollar verschlingen: ein Betrag, der jenseits aller Wirtschaftlichkeitsrechnungen liegt. Alle diese Anlagen liegen in Erdbeben- und Tsunami-gefährdeten Gebieten. In diesen Anlagen sind über 4.000 Tonnen Nuklearmaterial gelagert; eine Menge, die ausreicht, um bei Unfällen der Kategorie 7 das Land mehrfach unbewohnbar zu machen. Und in allen drei Anlagen gab es bereits schwerwiegende Unfälle (im Fall von Tokaimura auch mit Todesopfern).

Alle drei Anlagen, die für die Herstellung von Nuklearwaffen geeignet sind, sind eng mit dem Mitsubishi-Konzern verbunden, Japans größtem Waffenproduzenten und Hersteller von Raketen, Kampfflugzeugen, Lenkwaffen, Kriegsschiffen usw. Mitsubishi hat die Anlagen maßgeblich entwickelt und gebaut.

Der Vorstandvorsitzende der Betreibergesellschaft für die Wiederaufbereitungsanlage Tokaimura, Japan Atomic Energy Research Institute, ist Kaneo Niwa, der zuvor Vorstandsvorsitzender der Mitsubishi Heavy Industry war. Sein Vorgänger, Taizo Shoda, war der Initiator von Monju. Er stammt ebenso von Mitsubishi Heavy Industry wie sein Nachfolger Yotaro Iida, der Vorstand sowohl von Rokkashomura als auch von Tokaimura war.

Die Verharmlosung der Katastrophe von Fukushima ist nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht – zum Weiterbetrieb der restlichen 54 AKWs – wichtig, sondern auch eine Überlebensfrage für die Umsetzung der militärischen Roadmaps des Staates.

Fukushima war absehbar

Schon vor zwanzig Jahren hat die US-Atomregulierungsbehörde NRC im Sicherheitsbericht NUREG 1150 davor gewarnt, dass bei einigen Reaktoren die Nebenaggregate (wie Diesel-Notstromgeneratoren, Wasserspeichertanks usw.) konstruktiv den Belastungen von Erdbeben nicht standhalten würden. Dazu gehört auch der Typ Mark I, dem die Reaktoren von Fukushima entsprechen. Die Behörde warnte, dass die Kühlungsfunktionen bei einem Erdbeben mit hoher Wahrscheinlichkeit ausfallen würden. Die Atomsicherheitsbehörde und der Reaktorbetreiber TEPCO ignorierten diesen Bericht.

Im Oktober 2006 stellte Hidekatsu Yoshii, Atomphysiker und Unterhausabgeordneter, in einer parlamentarischen Debatte den Vorsitzenden des Atomsicherheitsausschusses wie folgt zur Rede: „Bei 43 Kernkraftwerken (einschließlich Fukushima I) besteht die Gefahr der Kernschmelze aufgrund des Verlusts der Kühlungsfunktion, denn diese sind so konstruiert, dass die Stromübertragungsleitungen bei Erdbeben beschädigt werden und dadurch ein totaler Stromausfall verursacht wird; bzw. bei großen Tsunami-Wellen die Förderung des Kühlungswasser gestört wird.“

Im Dezember des gleichen Jahres forderte Yoshii das Kabinett erneut schriftlich auf, Maßnahmen zu treffen, um die Bevölkerung vor atomaren Gefahren zu schützen, falls ein großes Erdbeben die Funktion der Atomkraftwerke beeinträchtigen würde. Der damalige Ministerpräsident Abe (LDP) wies die Aufforderung mit der Begründung zurück, dass ein Ausfall von Diesel-Notstromaggregaten oder ein Verlust der Kühlungsfunktion von Reaktoren bisher in Japan nicht vorgekommen seien.

Yukinobu Okamura, Geologe und Leiter der Behörde National Institute of Advanced Industrial Science and Technology untersuchte 2004 das Ausmaß einer Tsunami-Katastrophe, die im neunten Jahrhundert die Region Fukushima heimgesucht hatte. Wie er herausfand, waren die Tsunami-Wellen so groß, dass sie noch drei bis vier Kilometer landeinwärts Schäden verursachten. 2009 berichtete er darüber in einem Parlamentsausschuss für Erdbebensicherheit von Kernkraftwerken und forderte TEPCO auf, Sicherheitsvorkehrungen für große Tsunami-Wellen in Fukushima zu treffen. Doch TEPCO antwortete darauf, die Daten seien nicht ausreichend.

Anmerkungen

1) Terabequerel ist 10 hoch 12 Becquerel

2) T. Arima: Genpatsu, Shoriki, CIA (Atomkraftwerke, Shoriki und CIA), Shinchosha Verlag, 2008

3) Siehe dazu: Crypto-Convergence, Media, and the Cold War: the Early Globalization of Television Networks in the 1950s Media In Transitions Conference, MIT, May 2002; James Schwoch, Northwestern University, Center for International and Comparative Studies

4) Bericht „Probleme der japanischen Atomenergie“, herausgegeben vom Verband demokratischer Wissenschafter, Fachbereich Physik, 1953, S. 21

5) Jack K. MacFall-Holthusen April 4, 1952, TV Worldwide Network Japan, Holthusen Papers, Box8 in Herbert Hoover Presidential Library

6) Telecommunication Network System for Japan: Memoranda and Exhibits Prepared and Presented by Murphy, Duiker, Smith & Burwell, Overseas Information Program Subcommittee, Section I, pp.1-4, Hickenlooper Papers 86, Herbert Hoover Presidential Library.

7) Genpatsu e no Keisho (Alarmglocke Atomkraft), Katsuo Uchihashi, Kodansha, 1986 S. 69 ff.

8) Yasuhiro Nakasone: 50 Jahre Nachkriegspolitik, Verlag Bungei Shunju, 1996, S. 170

9) Yasuhiro Nakasone: Politik und Leben, Verlag Kodansha, 1992, S. 75

10) „Militärische Aspekte der japanischen Atomenergiepolitik“, Vortrag auf der Jahresversammlung der Japanischen Physikalischen Gesellschaft, 2004

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