Portugal und der Zusammenbruch der europäischen Sozialdemokratie

Die Niederlage der Sozialistischen Partei Portugals bei den Wahlen am 5. Juni hat eine Flut von Artikeln ausgelöst, die sich mit dieser jüngsten Wahlschlappe einer europäischen sozialdemokratischen Partei befassen.

Der Economist beschreibt das Ausmaß dieses politischen Debakels: “Vor zehn Jahren wurde fast die Hälfte der 27 Länder, die heute die Europäische Union bilden, von linksgerichteten Regierungen geführt. Auch Deutschland, Großbritannien und Italien gehörten dazu. Heute stellt die Linke nur noch in fünf Ländern die Regierung: In Spanien, Griechenland, Österreich, Slowenien und Zypern.“

Der Zusammenbruch der sozialdemokratischen Wählerbasis wird als Ergebnis der globalen Wirtschaftskrise hingestellt, die im Jahr 2008 einsetzte. So musste letztes Jahr auch in Großbritannien die Labour Party einer konservativ-liberaldemokratischen Koalition weichen. Das offizielle Mantra lautet, man traue den „Linken“ oder der „linken Mitte“ in Zeiten der Krise keine wirtschaftliche Kompetenz zu. Sie hätten Gelder verschwendet und den Steuerzahlern unnötige Schulden aufgebürdet. Nur die Rechte sei bereit, die Krise anzupacken und den Staaten die bittere Medizin von Kürzungen und Sparmaßnahmen zu verabreichen.

Im Guardian-Artikel mit dem Titel “Warum die Rechte schon wieder gewonnen hat” heißt es, dem siegreichen Führer der (konservativen) Sozialdemokratischen Partei (PSD), Pedro Passos Coelho, sei zugute gekommen, dass (PS-Führer José) „Sócrates das Ausmaß von Portugals Wirtschaftskrise nicht erkannt und gezögert hat, daraus die Konsequenzen eiserner Sparpolitik zu ziehen“.

Eine solche Medienpropaganda hat gar nicht die Absicht, die wirklichen Ursachen des Zusammenbruchs der europäischen Sozialdemokratie zu analysieren. Sie will den Lesern weismachen, die Wählerschaft habe die schmerzliche, aber korrekte Schlussfolgerung gezogen, dass Spaßmaßnahmen erforderlich seien.

In Wirklichkeit lehren die portugiesischen Wahlen genau das Gegenteil.

Tatsächlich entwickelte sich der Einbruch der sozialdemokratischen Wählerbasis über Jahre hinweg, und zwar als Reaktion darauf, dass die Sozialdemokratie ihrer reformistischen Vergangenheit gründlich und vollkommen entsagte. Diese Wende brachte Parteien hervor, die das Finanzkapital offen und direkt unterstützen. Als die Spekulationsblase platzte, enthüllte der Crash von 2008 das ganze Ausmaß dieser politischen Fäulnis und ihrer Bedeutung für die arbeitende Bevölkerung.

Wie der Labourparty in Großbritannien, wird es vermutlich bald der Sozialdemokratie in Portugals größerem Nachbarn, Spanien, ergehen. Ihr Scheitern ist das Ergebnis einer zersetzenden Mischung aus lang gereifter Entfremdung und tiefer Ablehnung genau jener Sparmaßnahmen, die jetzt als Allheilmittel angepriesen werden.

Sócrates und die PS verhandelten den 78-Milliarden-Kredit mit der Troika aus Europäischer Union, Internationalem Währungsfond und Europäischer Zentralbank; sie waren es auch, die sich im Gegenzug mit den brutalen Einschnitten einverstanden erklärten. Sie verkauften die Zukunft der Arbeiterklasse an genau die Finanzspekulanten, deren Wirtschaftskrise zu Rekordarbeitslosigkeit geführt und Millionen in die Armut getrieben hat.

Die Arbeiterklasse hat ein ums andere Mal versucht, sich dagegen zu wehren. Es kam zu Massenstreiks und Demonstrationen von Hunderttausenden, zeitgleich mit (und inspiriert von) den revolutionären Kämpfen in Tunesien, Ägypten und im ganzen Mittleren Osten.

Zuletzt versagte die PSD dem jüngsten Sparpaket die Unterstützung und bestand auf vorgezogenen Neuwahlen. Ziel dieses politischen Manövers war es, die wachsende Bewegung in der Arbeiterklasse im Keim zu ersticken.

Der Wahlkampf wurde zwischen zwei Parteien ausgefochten, die beide den Forderungen der „Troika” nach Kürzungen und Einsparungen zustimmten. 9,5 Prozent – etwa eine halbe Million Menschen aus den konservativsten Gesellschaftsschichten – wurden überzeugt, zugunsten der PSD der PS ihre Anhängerschaft aufzukündigen.

Aber eine viel größere und repräsentativere Wählergemeinde drückt sich in der Rekordzahl der Wahlenthaltungen aus: 41,1 Prozent der Wähler haben sich enthalten, und vier Prozent haben ungültige oder leere Wahlzettel abgegeben.

Dies sind in ihrer überwiegenden Mehrheit Wähler aus der Arbeiterklasse, die keine alternative Kraft mehr sehen, durch die sie ihre Sorgen über Massenarbeitslosigkeit, wirtschaftliche Unsicherheit und soziale Verelendung artikulieren können. Ihre Zahl ist größer als die der Wähler von PSD und PS zusammen.

Dieses Bild zeigt sich in ganz Europa immer häufiger. Die Arbeiter kündigen den Sozialdemokraten massenweise die Gefolgschaft auf, weil sie – zu Recht – keinen Unterschied mehr zwischen ihnen und den traditionellen, rechtsgerichteten Parteien des großen Geldes sehen.

Die herrschende Klasse weiß das auch. Sie ist glücklich über den Sieg der PSD, denn Coelho hat sich bereit erklärt, noch über die Sparmaßnahmen der PS „hinauszugehen“. Er hatte nur gegen sie gestimmt, weil sie ihm nicht weit genug gingen.

Kurz vor den Wahlen sagte Diogo Teixeira, Chef von Optimize Investment Partners, einer Firma, die mithilft, portugiesische Regierungsschulden zu verwalten: “Der Markt bevorzugt weder die Sozialistische, noch die Sozialdemokratische Partei. Er schätzt nur klare Mehrheiten.”

Hätte die PS gewonnen, stünde die Arbeiterklasse nun vor einem Kampf gegen ihre Bemühungen – anstelle derer der PSD –, die Spaßmaßnahmen durchzusetzen.

Dies ist in Griechenland bereits der Fall, wo die PASOK-Regierung vor einer wachsenden Widerstandsbewegung gegen ihre Durchsetzung der Diktate von IWF, EZB und EU steht, wie auch in Irland, wo die Labour Party mit der konservativen Fine Gael koaliert. Und Spanien wird sehr wahrscheinlich das nächste PIIGS-Land sein, das um ein „Rettungspaket“ nachsuchen wird.

Auch die stalinistischen und pseudo-linken Parteien sind für Portugals Arbeiterklasse keine Alternative zu den degenerierten sozialdemokratischen Parteien.

Bei den Wahlen 2009 gewannen die Kommunistische Partei und der Linke Block fast achtzehn Prozent der Stimmen und hatten insbesondere unter den Arbeitern des öffentlichen Dienstes eine beträchtliche Anhängerschaft. In der letzten Wahl fiel ihr Stimmenanteil auf weniger als dreizehn Prozent; vor allem die Anhängerschaft des Linken Blocks wurde halbiert.

Dies ist die Quittung für ihre ungebrochene Unterstützung der PS und der Gewerkschaftsbürokratie. Im letzten Jahr erklärte das pablistische „Revolutionär-Sozialistische Bündnis“, eine Schlüsselkomponente des Linken Blocks: „Wir müssen gestehen, dass unser Kampfschauplatz gegenüber der Zeit vor fünf oder zehn Jahren eingeschränkt ist… Der Linke Block wird den Zeitpunkt selbst bestimmen, wann und wie er gegen die Regierung vorgeht.“

Der Zeitpunkt ist nie gekommen. Nichts wurde getan, um die Arbeiterklasse der Kontrolle durch PS und Gewerkschaftsapparat zu entreißen. So wurde die politische Initiative der Bourgeoisie überlassen.

Die Arbeiterklasse in Portugal und in ganz Europa steht vor der Notwendigkeit, mit den verrotteten Überbleibseln der Sozialdemokratie, des Stalinismus und der Gewerkschaftsbürokratie zu brechen, die einst als „die Arbeiterbewegung“ galten. Eine neue Arbeiterbewegung muss aufgebaut werden, und zwar auf einer wahrhaft sozialistischen und internationalistischen Grundlage.

Um den Angriff der Großkonzerne und der Banken abzuwehren, ist eine Rebellion gegen die Parteien und Gewerkschaften nötig, die genau wie ihre konservativen Gegenspieler den Interessen der finanziellen Elite dienen.

Eine neue Führung muss geschaffen werden, um den weltweiten Kampf für den Sozialismus aufzunehmen. Dies ist die Aufgabe, der sich das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die World Socialist Website verschrieben haben.

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