Großbritannien: Gewerkschaften verweigern den Kampf gegen Rentenkürzungen der Regierung

Die konservativ-liberaldemokratische Regierung, die Führer der Labour-Partei und die Medien beschimpfen die heutigen Streiks aufs Übelste; doch darf dies von einem nicht ablenken: Angesichts des schlimmsten Sparpakets seit den 1930er Jahren ist eine solch begrenzte Aktion nichts weiter als ein kalkulierter Verrat der Gewerkschaften. Sie verraten damit ihre eigenen Mitglieder, wie auch jeden einzelnen Arbeiter und Jugendlichen in Großbritannien.

Die Regierung vernichtet die Rentenansprüche von fünfeinhalb Millionen Arbeitern und Angestellten des öffentlichen Dienstes. Ihnen werden für geringere Leistungen höhere Zahlungen und längere Laufzeiten aufgezwungen.

Dies ist unverfrorener Diebstahl, der – wie die Ausgabenkürzungen als Ganzes – auf den größten Raub aller Zeiten folgt: den Diebstahl an den Steuerzahlern, mit deren Geld Großbritanniens Banken und die Superreichen nach der Wirtschaftskrise von 2008 „gerettet“ wurden. Darüber hinaus beabsichtigt die Regierung, eine gesetzliche Grundlage für die Abschaffung angemessener Rentenzahlungen für alle Arbeiter, insbesondere für die jüngere Generation, zu schaffen.

Dennoch beteiligen sich an dem heutigen Streik nur vier Gewerkschaften mit insgesamt 750.000 Mitgliedern: die nationale Lehrergewerkschaft, der Verband von Lehrern und Tutoren, die Gewerkschaft der Universitätsangestellten und die Handels- und Dienstleistungsgewerkschaft.

Der Gewerkschafts-Dachverband TUC hat alles in seiner Macht Stehende getan, um sogar diesen symbolischen Protest zu verhindern, und hat bei den Gesprächen mit der Regierung die führende Rolle übernommen. Die drei größten Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, die insgesamt dreieinhalb Millionen Mitglieder vertreten, weigern sich, daran teilzunehmen.

Es ist der erste solche Streik seit dreizehn Monaten, und das allein zeigt schon die wahre Haltung des TUC gegenüber den Sparmaßnahmen der Regierung. Die Anzahl von Arbeitstagen, die durch Streiks verloren ging, fiel 2010, dem Jahr, in dem die Koalition ihr Amt übernahm, auf ihren niedrigsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg.

Seitdem sind 143.000 Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen worden. Im März wurden die Verträge von über hunderttausend Arbeitern und Angestellten des öffentlichen Dienstes ausgesetzt und durch solche mit schlechterer Bezahlung und schlechteren Arbeitsbedingungen ersetzt. Außerdem konnte die Regierung mit Zustimmung der Gewerkschaften die Löhne für Krankenschwestern, Lehrer und Mitarbeiter von Kommunalbehörden einfrieren.

Man kann sich im Kampf gegen die Rentenkürzungen genauso wenig auf die Gewerkschaften verlassen wie im Kampf gegen Job-Abbau, Lohnkürzungen, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und die Abschaffung gesellschaftlicher Rechte. Sie plädieren selbst dann für Gespräche mit der Regierung, wenn diese betont, ihre Haltung sei nicht verhandelbar.

Im April stufte die Regierung den Wert der Renten im öffentlichen Dienst mit einem einfachen Verwaltungsstreich zurück, indem sie sie an eine niedrigere Berechnung der Inflationsrate koppelte. Die Gewerkschaften rührten dagegen nicht einmal den kleinen Finger.

Jetzt droht die Regierung damit, angesichts der heutigen Streiks die Anti-Gewerkschaftsgesetze zu verschärfen. Aber das wird die Gewerkschaften genauso wenig auf Trab bringen wie die ursprünglichen Anti-Gewerkschaftsgesetze im Jahr 1983 oder ihre Beibehaltung durch die vorherige Labour-Regierung. Im Gegenteil, sie werden solche Drohungen als Argument dafür einsetzen, dass kein Widerstand möglich sei.

In Wahrheit sind die Gewerkschaften nicht weniger darauf bedacht als die Regierung, die von den Finanzinstitutionen geforderten Sparmaßnahmen durchzusetzen. Es gibt keinen wesentlichen Unterschied zwischen den Gewerkschaftsführern und ihren Gegenspielern in der Regierung und im Konzern-Management. Sie entstammen derselben hochbezahlten oberen Schicht der Bevölkerung, die darauf aus ist, ihre Privilegien auf Kosten der breiten Mehrheit am untern Ende der Gesellschaft zu verteidigen.

Dasselbe gilt für die Labour-Partei. In den 13 Jahren, in denen sie an der Regierung war, setzte sie die von der Londoner City verlangte Politik willfährig durch. Sie ist für die Anheizung der kriminellen und rücksichtslosen Spekulation direkt verantwortlich, die zur Wirtschaftskatastrophe führte; d.h. sie ist für die „Rettungspakete“ verantwortlich, für die Arbeiter jetzt mit ihren Lebensgrundlagen bezahlen.

Nicht nur war Labour die erste Partei, die Sparmaßnahmen ausgearbeitet hat. Jetzt spielt sie auch noch die Schlüsselrolle, wenn es darum geht, das Kürzungsprogramm der Koalition umzusetzen. Der Angriff auf die Renten im öffentlichen Dienst geht auf Empfehlungen von Lord Hutton zurück, dem ehemaligen Arbeitsminister der Labour-Regierung.

Der Labour-Abgeordnete Frank Field steht im Auftrag der Koalition an der Spitze des Angriffs auf die Sozialleistungen, während der frühere Gesundheitsminister Alan Milburn die Regierung auffordert, sich bei der Privatisierung des Gesundheitswesens zu beeilen und über das bisher Geforderte hinauszugehen.

Kein Wunder, dass der Labour-Schattenkanzler Ed Balls die Streiks als “ein Tappen in die Regierungsfalle” bezeichnet hat und darauf besteht, die Renten im öffentlichen Dienst müssten reformiert werden.

An dieser Bilanz ändert auch die Tatsache nicht das Geringste, dass eine Handvoll Gewerkschaften jetzt einen eintägigen Streik ausgerufen haben. Keiner der daran Beteiligten hat sich bisher glaubhaft durch Widerstand gegen die Angriffe auf die Rentenrechte hervorgetan.

In Wirklichkeit rechtfertigen sie ihre Aktion damit, dass die Koalition völlig unnötige Pläne verfolge, weil sie die Rolle nicht anerkenne, welche die Gewerkschaften bisher schon beim Unterlaufen der Rentenansprüche im öffentlichen Dienst gespielt hätten: Schließlich haben sie im Jahr 2007 ein Abkommen mit Labour getroffen, das die Arbeitgeberbeiträge begrenzt, die Arbeitnehmerbeiträge erhöht und den Eintritt ins Rentenalter auf 65 Jahre anhebt.

Die UCU ist den Forderungen der Regierung bereits entgegen gekommen und hat zugestimmt, dass die Universitäts-Alterszulagen, die die Universitätszeiten vor 1992 betreffen, neu berechnet werden.

Die UCU hat eigene Vorschläge gemacht, bei der die Berücksichtigung des letzten Lohnes entfällt und die Renten heruntergestuft und an den CPI-Inflationsindex angepasst werden. Der Streik der UCU wird nur die Angestellten betreffen, die unter die Rentenverordnung für Lehrer fallen, und er wird an einem Tag stattfinden, an dem die Universitäten ohnehin geschlossen sind!

Die angeblich linke “PCS” hat ihrerseits schon angekündigt, ihre Forderungen im Fall “bedeutender Zugeständnisse seitens der Regierung“ zurückzuschrauben.

Was Unison, die größte Gewerkschaft im öffentlichen Dienst, betrifft, so findet überhaupt nichts statt. Generalsekretär Dave Prentis droht zwar in demagogischen Reden mit einem „heißen Herbst“, aber er weigert sich, seine Mitglieder über einen Streik abstimmen zu lassen, damit ein solcher den Gesprächen mit der Regierung nicht in die Quere komme.

Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass hinter verschlossenen Türen irgendein schmutziger, spalterischer Deal zum Nachteil der arbeitenden Bevölkerung ausgehandelt wird.

Die bittere Wahrheit lautet, dass die Arbeiter in Großbritannien vor genau der gleichen Situation stehen wie jene in Spanien, Griechenland, Portugal und Irland, deren Lebensverhältnisse sich bereits drastisch verschlechtert haben.

Die Wirtschaftskrise wird ausgenutzt, um eine noch größere Vermögens-Umverteilung von den arbeitenden Menschen auf die Superreichen durchzuführen und die gesellschaftlichen Beziehungen auf der Grundlage immer schärferer Ausbeutung zu reorganisieren.

Die arbeitende Bevölkerung steht vor einer fundamentalen Krise des kapitalistischen Profitsystems. Wie in den 1930er Jahren drohen Massenarbeitslosigkeit, Armut und Krieg. Weder die Gewerkschaften, noch die Sozialdemokraten können gezwungen werden, im Interesse der Arbeiter zu handeln. Im Gegenteil: Sie spielen hier wie in ganz Europa im Auftrag der Finanzoligarchie die führende Rolle, wenn es darum geht, den Klassenkampf zu sabotieren und zu unterdrücken.

Die Socialist Equality Party ruft dazu auf, am Arbeitsplatz und in den Gemeinden Basiskomitees zu bilden, die unabhängig von den Gewerkschaften sind. Diese öffentlichen Organisationen müssen im Zentrum einer Massenbewegung zum Sturz der Koalition stehen und sie durch eine Arbeiterregierung ersetzen, die sich verpflichtet, sozialistische Politik durchzuführen.

Nur wenn das Wirtschaftsleben neu organisiert und an der Befriedigung sozialer Bedürfnisse, und nicht am privaten Profit, ausgerichtet wird, ist es möglich, Militarismus und Krieg zu beenden und sichere Jobs, einen vernünftigen Lebensstandard, freie Erziehung, Gesundheitsversorgung und eine Zukunft für Jung und Alt zu garantieren.

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