EU schließt Beitrittsverhandlungen mit Kroatien ab

Nach sechsjährigen Verhandlungen verkündete die ungarische EU-Ratspräsidentschaft Ende Juni den Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien. Der EU-Beitritt des Balkanstaates, der vor zwanzig Jahren seine Unabhängigkeit erklärte, soll Mitte 2013 erfolgen. Damit würde die Europäische Union auf 28 Mitglieder anwachsen.

Am letzten Tag des ungarischen Ratsvorsitzes wurden im Eilverfahren die offenen vier der insgesamt 35 Beitrittskapitel abgeschlossen. Der ungarische EU-Ratsvorsitzende Janosz Martonyi sprach von einem „historischen Tag“. Er hoffe, dass unter der nachfolgenden polnischen Ratspräsidentschaft der Beitrittsvertrag unterzeichnet werden könne. EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle erklärte nach der Regierungskonferenz in Brüssel: „Wir haben heute ein Stück Geschichte geschrieben.“

Auf kroatischer Seite brachte Außenminister Gordan Jandrokovic seine Hoffnung zum Ausdruck, dass nun das Ratifizierungsverfahren „flüssig“ verlaufe. Der Beitritt Kroatiens sei auch wichtig für „die anderen Länder Europas, die uns folgen“ wollen.

Diese optimistischen Äußerungen können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Aufnahme Kroatiens in die Union höchst umstritten und noch keinesfalls sicher ist. Die bislang 27 Mitgliedsländer müssen der EU-Aufnahme jeweils national zustimmen und die Kroaten selbst darüber auch erst noch per Referendum entscheiden.

Zahlreiche Beobachter warnen aufgrund der Wirtschaftskrise des Landes vor der Aufnahme. Sie sehen vor allem ein Überschwappen der Finanzkrise aus Griechenland als die größte Gefahr an. „Wenn es einen Spill-Over aus Griechenland gibt, dann wird er Kroatien passieren“, warnte bespielsweise Michael Landesmann vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW).

Kroatien habe das Glück, meint Landesmann, dass sich das Scheinwerferlicht der Finanzwelt immer auf einige wenige konzentriere, und das Land an der Adria gegenwärtig nicht im Rampenlicht stehe. Im Grunde sei Kroatien genauso abhängig von der Refinanzierung am Finanzmarkt wie Griechenland. Wenn die Zinsen auf neue Anleihen genauso in die Höhe schießen wie bei Griechenland, würde es vor denselben Problemen stehen.

Auch im Euro-Land Slowenien entwickelt sich die Auslandsverschuldung mit 120 Prozent besorgniserregend schnell, ebenso wie in den baltischen Staaten und in Bulgarien. „Den Ländern fehlt es an Mitteln zur eigenen Finanzierung. Und solange sie diese nicht haben, sind sie von den Finanzmärkten abhängig. Das kann katastrophal sein“, so das WIIW.

Das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche weist darauf hin, dass die Wirtschaftskrise deutlich gemacht habe, wie schwach und oberflächlich der ökonomische Aufschwung in Osteuropa und auf dem Balkan gewesen ist. „Die starke Nettofinanzierung aus dem Ausland war das Aufputschmittel, weshalb die Länder in Süd- und Osteuropa so stark gewachsen sind“, erklärt Roman Römisch vom WIIW. Nachdem in der Krise kein Kapital mehr geflossen ist, sind die Volkswirtschaften kollabiert.

Der Schuldenstand des privaten Sektors in den Balkanstaaten hat sich kontinuierlich erhöht. In Bulgarien und den baltischen Ländern macht allein die private Verschuldung über 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des Landes aus; – höher ist sie nur in Griechenland mit 145 Prozent, sowie Portugal und Spanien mit über 200 Prozent des BIP.

Analysten der BNP Paribas, einer der führenden französischen Geschäftsbanken und nach Einlagen größten Bank Europas, weisen seit einiger Zeit auf die Schwächen der Volkswirtschaften auf dem Balkan hin. Sie warnen, dass im Zuge der Schuldenkrise in Ländern wie Griechenland und Italien einige Balkanländer massive Probleme bekommen könnten.

Hinzu kommt, dass kaum jemand der rechts-konservativen Regierung Kroatiens unter Jadranka Kosor zutraut, die von Brüssel geforderten radikalen Sparmaßnahmen, die Strukturveränderungen und den Korruptionsabbau durchzusetzen. In den vergangenen Monaten führte die wachsende soziale Krise immer wieder zu heftigen Protesten.

Die Zahl der Arbeitslosen steigt rapide. Allein seit 2009 verloren über 200.000 Menschen ihre Arbeit, bei einer Einwohnerzahl von knapp 4,5 Millionen. Die letzte offizielle Arbeitslosenrate stammt aus dem vergangenen Jahr und betrug damals schon fast zwanzig Prozent.

Die Kosor-Regierung verabschiedete bereits ein drastisches Sparpaket, das eine massive Senkung der Löhne und Sozialleistungen beinhaltet. Nach Gewerkschaftsangaben bekommen rund 70.000 Beschäftigte ihr Gehalt nicht ausgezahlt. Der gegenwärtige durchschnittliche Bruttolohn von eintausend Euro pro Monat ist der EU und dem Internationalen Währungsfond (IWF) ein Dorn im Auge. Der IWF fordert seit Jahren eine Anpassung der Löhne nach unten.

Weiter fordert die EU mit Nachdruck die Beschneidung von Sozialleistungen, die in den Fortschrittsberichten aus Brüssel immer wieder als übermäßige Belastung des Haushaltes bezeichnet werden. Sandra Svaljek, Sprecherin des Zagreber Wirtschaftsinstituts EIZ beklagt den „überbezahlten“ öffentlichen Sektor, in dem notwendiger Stellenabbau immer wieder blockiert werde. Die sei eine schwere Belastung für das Geschäftsklima. Im privaten Sektor sei der Stellenabbau einfacher, es würden aber oft sehr hohe Abfindungen bezahlt.

Regierung und EU-Vertreter beraten seit langem über weitere Privatisierungen. Der Privatisierungsfonds hält noch immer über 700 Unternehmen. Für Spannungen bei den EU-Beitritts-Verhandlungen sorgten dabei vor allem die Schiffswerften in Pula, Split und Rijeka, die mit staatlicher Hilfe am Leben erhalten werden. Dort sind rund 15.000 Arbeiter beschäftigt.

Der anstehende EU-Beitritt hat den Reformdruck auf die Regierung nochmals erhöht. Zagreb kündigte an, die Zahl der Beamten zu reduzieren, das Rentenalter zu erhöhen, die Anreize für vorzeitige Pensionierungen abzubauen, Privatisierungen voranzutreiben, – und noch weitere Maßnahmen einzuleiten, die die EU als unverzichtbar zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit bezeichnet.

Die brutalen Sparmaßnahmen, die Brüssel in Griechenland, Irland, Spanien, Portugal und nun auch in Italien erzwingt, sind in Kroatien nicht unbemerkt geblieben. In der Bevölkerung wächst der Widerstand gegen das Diktat aus Brüssel. Bereits im November hatten sich in einer Gallup-Umfrage nur noch 38 Prozent für den Beitritt zur EU ausgesprochen. 43 Prozent waren dagegen, der Rest gab sich unentschlossen.

Unter diesen Bedingungen drängt die EU zur Eile. Der Beitritt Kroatiens soll zum Auftakt werden, um später auch Bosnien-Herzegovina, Serbien, Montenegro und Mazedonien in die EU zu drängen.

Diese Länder haben sich in den letzten Jahren als Standort für ausländische Unternehmen vor allem aus Deutschland etabliert. So haben neben Automobilzulieferern auch Siemens, Fresenius Medical Care, RWE oder die Deutsche Telekom die Balkanländer als Investitionsziel entdeckt oder sich bereits dort angesiedelt. Auch internationale Konzerne wie Samsung, Panasonic oder Benetton sind in der Region aktiv.

Europäische Firmen verlagern immer häufiger Produktionsteile aus den so genannt „ jungen EU-Staaten“ nach Kroatien und Serbien. So etwa der Autozulieferer Dräxlmaier, der ein Werk aus Rumänien nach Nord-Serbien verlagerte, oder der Autokabelhersteller Leoni, der in Serbien ein Tochterwerk für den slowakischen Standort errichtete.

Der größte Auslandsinvestor in Kroatien, noch vor Holland und Deutschland, ist Österreich. Rund 750 österreichische Firmen haben dort bereits Niederlassungen. Seit 1993 haben diese Unternehmen in Kroatien 6,2 Milliarden Euro investiert, das sind gut 29 Prozent aller ausländischen Investitionen in Kroatien in diesem Zeitraum. Das österreichische Handelsvolumen mit Kroatien betrug 2010 rund 1,7 Milliarden Euro. Europäische Finanzhäuser sind bereits seit langem im ehemaligen Jugoslawien aktiv. In Kroatien sind heute 91 Prozent der Banken und Finanzdienstleiter in der Hand westeuropäischer Banken.

Der harte Sparkurs, den die EU als Bedingung für die Mitgliedschaft stellt, dient direkt dazu, Kroatien und andere Balkanländer in Billiglohnländer für die europäische Industrie zu verwandeln.

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