Perspektive

Der Abhörskandal um Murdoch entlarvt Klassenjustiz

Auch zwei Wochen, nachdem der Skandal um Telefon-Hacking und andere illegale Aktivitäten von Rupert Murdochs Zeitungsverlag News International offen wurde, kommen neue Enthüllungen ans Licht, eine verheerender als die andere.

Es kam heraus, dass Reporter der Zeitung News of the World, die sich seit Jahren für „Recht und Ordnung“ stark macht, Tausende von Mobiltelefonen angezapft haben, darunter die von Politikern, Ministern, Polizeibeamten, Mitgliedern der königlichen Familie, Filmstars und von Journalisten.

News of the World und anderen Murdoch-Blättern wird vorgeworfen, sich auf illegale Weise persönliche Daten von prominenten Regierungsvertretern angeeignet zu haben. Der ehemalige Premierminister Gordon Brown (Labour Party), beschuldigte Murdochs Sunday Times, mit „bekannten Kriminellen“ zusammengearbeitet zu haben, um sich Zugang zu finanziellen und rechtlichen Daten über ihn mit dem Ziel zu verschaffen, „mich als Mitglied der Regierung zu stürzen.“

Zusätzlich zu diesen Anschuldigungen gab es zahlreiche Meldungen, dass die Murdoch-Presse mit Methoden wie Bestechung, Erpressung und Einschüchterung arbeite.

Allerdings haben Regierung und Oppositionsparteien trotz ihrer moralischen Entrüstung nichts getan, um strafrechtliche Ermittlungen in die Wege zu leiten. Die Grundstücke von News International hätten schon längst zum Tatort erklärt werden sollen. Stattdessen weigert sich die Regierung, auch nur die grundlegendsten Schritte zur Beweissicherung einzuleiten, und erleichtert somit die Vertuschung der Straftaten.

Berichten zufolge wurden bereits Tausende oder sogar Millionen E-Mails, die für den Skandal relevant sein könnten, von einem Vorstandsmitglied von News International gelöscht. Trotzdem wurde nichts unternommen um die Zerstörung von potenziell belastenden Beweisen zu verhindern. Es wurden weder Computer noch Festplatten beschlagnahmt, noch wurden die Protokolle von Vorstandssitzungen angefordert.

Das Versprechen, erst in Monaten oder gar Jahren eine parlamentarische Untersuchung darüber berichten zu lassen, dient hauptsächlich dem Zweck, Murdochs Medienkonzern Zeit zu verschaffen, Beweise für illegale Aktivitäten zu vernichten und sich reinzuwaschen.

Die Polizei wurde nicht einmal damit beauftragt, die Personen zu befragen, um die sich die Anschuldigungen drehen, wie z.B. die ehemalige Chefredakteurin von News of the World Rebekah Brooks, die derzeit Vorstandsvorsitzende von News International ist; Rupert Murdochs Sohn James, der Vorstandschef von News International, oder den obersten Chef selbst.

Nur drei Personen wurden von der Polizei befragt, darunter Andy Coulson, zwischen 2003 und 2007 Herausgeber von News of the World und ehemaliger Pressesprecher von Premierminister David Cameron, der im Januar zurückgetreten war. Keiner von ihnen wurde angeklagt.

Die gesamte Reaktion der beiden Regierungsparteien – der Konservativen und Liberaldemokraten – und der Oppositionspartei Labour auf die Aufdeckung von Murdochs kriminellen Handlungen zielte darauf ab, den internationalen Pressemogul, der vielen als „Schmutzwühler“ bekannt ist, zu schützen. Alle Institutionen des kapitalistischen Staates – die großen Parteien, Regierung, Parlament, Gerichte, Polizei – sind in Murdochs Verbrechen verwickelt. Sie sind alle in unterschiedlichem Maße auf der Gehaltsliste des Milliarden schweren Pressemoguls, und waren alle an der Vertuschung seines mafiösen Vorgehens beteiligt.

Andy Hayman, der ehemalige Chef der Terrorabwehrabteilung der Metropolitan Police, leitete 2006 die ersten Ermittlungen wegen abgehörter Telefone, und stellte sie nach der Anklage von zwei Personen ein. Heute schreibt er Kolumnen für Murdochs Times.

Der gleiche Andy Hayman forderte eine Ausweitung der Befugnisse der Polizei, um Terrorverdächtige bis zu 90 Tage ohne Prozess festhalten zu können. Während Haymans Amtszeit wurde im Juli 2005 der junge brasilianische Arbeiter Jean Charles de Menezes unschuldig von der Polizei hingerichtet, ein weiterer Unschuldiger wurde im Juni 2006 bei einer „Anti-Terror“-Razzia erschossen.

Assistant Commissioner (dritthöchster Rang der Metropolitan Police) John Yates beschloss im Jahr 2009, die Ermittlungen wegen Telefon-Abhörens nicht wieder aufzunehmen, obwohl ihm Beweise vorlagen, dass es eine „große Anzahl“ von Opfern gab. Wie sich jetzt herausstellt, hat Yates mit den Leuten, gegen die er eigentlich hätte ermitteln sollen, gespeist und getrunken – allein zwischen August 2008 und November 2009 hatte er fünf Verabredungen zum Essen mit Repräsentanten von News International.

Der ehemalige Oberstaatsanwalt Ken MacDonald wertete die Beweise für die Abhöraktionen zur gleichen Zeit aus wie Yates und kam zu dem Schluss, dass es keinen Grund für Ermittlungen gebe. MacDonald, der mittlerweile zum Lord ernannt wurde, ist nicht nur Mitarbeiter der Times, er wurde auch von News of the World beauftragt, sie zu den Anschuldigungen gegen ihre Journalisten zu beraten.

Letzten Freitag erklärte Cameron: „Die Wahrheit ist, wir haben alle mit drin gesteckt – die Presse, Politiker, die Führer aller Parteien – ja, darunter auch ich selbst.“

Eine solch verheerende Selbstanklage würde in jedem wirklich demokratischen System zum Rücktritt der Regierung führen. Keine prominente Stimme im politischen Establishment oder in den Medien hat das auch nur vorgeschlagen. Obwohl Labour-Chef Ed Miliband versuchte, politisch von dem Skandal zu profitieren, ist seine Partei genauso darin verwickelt, wie die von Cameron – deshalb bot er auch an, die Regierung zu unterstützen.

Was hier deutlich wird ist nicht einfach nur die moralische und politische Verkommenheit eines Mannes oder eines Konzerns, sondern die Verkommenheit eines ganzen politischen und sozialen Systems. Nichts, was die Labour Party oder die Konservativen sagen, kann die Tatsache verbergen, dass Murdoch seit 30 Jahren die treibende Kraft in der britischen Politik war – und nicht nur dort, sondern in Ländern in aller Welt. Unter anderem auch in den USA, wo Murdochs Fernsehsender Fox und die Zeitungen New York Post und Wall Street Journal den beiden großen Wirtschaftsparteien im Großen und Ganzen den reaktionären Kurs diktieren.

In Großbritannien haben Labour und Konservative um Murdochs Gunst gerungen und mit höchstem Eifer seine brutalen, gegen die Arbeiterklasse und die Demokratie gerichteten und militaristischen politischen Forderungen umgesetzt – und nicht nur die Forderungen Murdochs, sondern der ganzen Klasse von weltweit tätigen Finanzparasiten, zu der er gehört.

Die schonende Behandlung Murdochs zeigt den Klassencharakter kapitalistischer „Justiz“, durch die die Reichen und Mächtigen vom Staat geschützt werden und nahezu Immunität genießen. Hinter den zunehmend hohl werdenden Ritualen der bürgerlichen „Demokratie“, wie zum Beispiel den Wahlen, die keine Auswirkung auf die Politik der Regierung haben, hat die Finanzaristokratie praktisch eine Diktatur etabliert.

Die Heuchelei wird immer offener. Jugendliche, die in Großbritannien gegen die Zerstörung des Bildungswesens und für eine bessere Zukunft demonstrieren, werden als Randalierer gebrandmarkt, von der Polizei verprügelt und ins Gefängnis gesteckt.

Während der britische Premier Cameron, Labour-Chef Miliband und der Chef der Liberaldemokraten, Nick Clegg, ihren ganzen Mut zusammen nehmen mussten, Murdoch darum zu bitten, sein Übernahmeangebot für den Fernsehsender British Sky Broadcasting zurückzunehmen, musste Julian Assange vor einem Gericht in London dagegen kämpfen, nach Schweden ausgeliefert zu werden, wo ihm eine Anklage wegen angeblicher Vergewaltigung und die Überstellung an amerikanische Behörden droht. Sein „Verbrechen“ war es, die Arbeit zu machen, die ein prinzipientreuer Journalist tun sollte – Kriegsverbrechen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten aufdecken – anstatt Lügen und Schmutz zu liefern, wie es die Murdoch-Presse tut.

Die Beziehung zwischen den beiden großen Parteien und Murdoch basiert auf einer gemeinsamen wirtschaftlichen und politischen Agenda. Diese bildete sich in den frühen 1980ern heraus, als die herrschende Klasse damit begann, die sozialen Rechte zu zerstören, die die Arbeiterklasse erkämpft hatte, um den Konzernen und der Londoner Finanzwelt freie Hand zu lassen.

Murdoch unterstützte Margaret Thatcher bei ihrer Offensive gegen die Arbeiterklasse, dann setzte er auf Tony Blair und die Labour Party um sie zu verschärfen, und dann wieder auf die Konservativen und Cameron, um die Arbeit zu beenden: Die Zerstörung der sozialen Errungenschaften, die die Arbeiterklasse während eines Jahrhunderts erkämpft hat.

Die Hauptsorge des politischen Establishments bleibt es, Murdochs Geschäftsimperium zu schützen und eine öffentliche Anprangerung seiner Verbrechen oder der Rolle derjenigen zu verhindern, die ihm dabei Beihilfe geleistet haben,.

Dass die Regierung in einem solchen Maß Wirtschaftskriminalität deckt, ist ein weltweites Phänomen. Erst letztes Jahr machte sich BP in Amerika höchster krimineller Nachlässigkeit schuldig, was zur Ölpest im Golf von Mexiko führte. Elf Arbeiter starben und an Wirtschaft und Umwelt entstand unermesslicher Schaden. Die Obama-Regierung reagierte darauf nicht, indem sie die Wahrheit ans Licht brachte und die Schuldigen zur Verantwortung zog, sondern indem sie BP und dessen Hauptinvestoren deckte. Ein Jahr später ist noch keiner von ihnen angeklagt.

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