Der Murdoch-Skandal

In den vergangenen Tagen wurde der britischen Öffentlichkeit weisgemacht, das Parlament habe seine Autorität gegenüber Rupert Murdochs Medienimperium wieder hergestellt und den Multimilliardär endlich zur Ordnung gerufen. Einige verstiegen sich sogar zur Behauptung, die Tatsache, dass Murdoch und sein Sohn James am Dienstag vor den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zitiert worden seien, kündige einen „britischen Frühling“ an.

Diese Anspielung auf den sogenannten “arabischen Frühling” ist absurd und falsch. Er bezeichnet die revolutionären Arbeiteraufstände, die Anfang des Jahres in Tunesien und Ägypten Diktatoren zu Fall brachten, die Marionetten der Westmächte waren. Das Schmierentheater gekaufter Parlamentarier dagegen, die Murdoch respektvoll befragten, sollte die Bevölkerung verwirren und eine Abrechnung mit der Konzernelite gerade verhindern.

Weit davon entfernt, die Vitalität des britischen politischen Systems zu demonstrieren, enthüllte die Verlogenheit derer, die Murdoch befragten, eher seine Fäulnis und Korruption. Premierminister David Cameron brauchte bei der Sondersitzung des Parlaments am Mittwoch nicht einmal eine Vertrauensfrage zu befürchten, obwohl überwältigende Beweise seiner kompromittierenden Beziehungen zum Spitzenpersonal von Murdochs britischem Medienkonzern vorliegen. Gäbe es tatsächlich noch den Hauch einer Verpflichtung zur Demokratie im britischen Establishment, wäre so etwas undenkbar.

Niemand bezweifelt, dass Vertreter von News International die Telefone von über 12.000 Menschen abgehört, dass sie Polizeibeamte bestochen und Verbindungen zur kriminellen Unterwelt benutzt haben, um führende Politiker zu erpressen und einzuschüchtern. Darüber hinaus wurde der Hauptinformant Sean Hoare am Montag tot aufgefunden, – ein Fakt, der sofort als „unverdächtig“ eingestuft wurde.

Alle größeren Einrichtungen und alle Spitzenpolitiker sind in den Murdoch-Skandal verwickelt. Neben ihren schändlichen Beziehungen zu Murdochs Mediengruppe haben Spitzenbeamte der Londoner Polizei, der Staatsanwaltschaft und verschiedener Regierungen mindestens sechs Jahre lang Ermittlungen über das kriminelle Verhalten von News International behindert.

Dass das Establishment sich jetzt in Beteuerungen ergeht, es sei schockiert und wütend, ist pure Heuchelei. Jeder in der herrschenden Klasse wusste, wie Murdoch operierte, und stimmte dem entweder zu oder war selber aktiv daran beteiligt. Drei Jahrzehnte lang war Murdoch der Königsmacher, und das nicht nur in Großbritannien, sondern auch in den USA, in Australien und in anderen Ländern. Politiker aller Schattierungen, ob sogenannte „Konservative“ oder „Sozialdemokraten“, waren ihm treu ergeben.

Das ist der Grund, warum bisher niemand im News-International-Skandal gerichtlich belangt oder politisch zur Verantwortung gezogen wurde.

Die langjährigen engen Bande zwischen dem Establishment und Murdoch gründen sich nicht einfach nur auf persönliche Beziehungen. Murdoch trägt große Verantwortung für die Privatisierungen, die Deregulierung und die zügellose Spekulation, aus der die heutige parasitäre Finanzoligarchie hervorgegangen ist.

Die hohle Sensationslüsternheit, welche die Medien seines Imperiums auszeichnet, trug erheblich dazu bei, die politische und intellektuelle Atmosphäre zu schaffen, die es dieser Oligarchie seit den achtziger Jahren erlaubt, ihre drakonischen Angriffe auf die Arbeiterklasse ungehindert durchzuführen.

Selbstverständlich hatte Murdoch innerhalb der herrschenden Klasse auch Gegner und geschäftliche Rivalen. In Medienkreisen und in Kreisen der Politik bestand seit langem Sorge wegen Murdochs Einfluss, wegen seines Medienmonopols und wegen der Fähigkeit, Regierungen ihre Politik zu diktieren oder sogar auf ihre Zusammensetzung Einfluss zu nehmen.

Diese Rivalitäten und die Konsequenzen seiner politischen Manöver lieferten den Anlass für den gegenwärtigen Konflikt. So ließ Murdoch 2009 die Labour Party unter Gordon Brown fallen und schlug sich auf die Seite von David Cameron und den Konservativen.

Die Tatsache, dass die kriminellen Praktiken bei News International plötzlich eine tiefe Krise ausgelöst haben, zeigt klar, dass es um tieferer Konflikte innerhalb der herrschenden Klasse geht.

Es darf daran erinnert werden, dass kurz vor dem Ausbruch der Empörung über die Abhöraffäre bei der News of the World der Führer des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, auf Grund dubioser Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens verhaftet und seines Postens enthoben wurde. Wie bei solchen Skandalen immer der Fall, werden in Wirklichkeit Konflikte um rivalisierende Interessen über weitaus breitere politische Fragen ausgetragen.

So beklagte sich der Chefredakteur des Telegraph, Benedict Brogan: „Während die britische Politik wegen des Abhörskandals und seiner zunehmend bizarren Wendungen wie gelähmt erscheint, ist die Weltwirtschaft näher an den Abgrund gerückt. Die Eurozone flirtet mit ihrem Untergang, Amerika überlegt, den Bankrott zu erklären, und das Bankensystem steht kurz vor dem systemischen Zusammenbruch.“

Brogan ist zwar der Meinung, der Murdoch-Skandal sei eine Ablenkung, doch in Wahrheit ist er Ausdruck der von ihm erwähnten Krise. Der Finanzcrash von 2008 hat die Weltwirtschaft untergraben und das soziale Prestige des kapitalistischen Marktes zerstört.

Cameron ist dabei, einen Sparhaushalt über hundert Milliarden Pfund durchzusetzen, und Barack Obama führt in den USA ebenfalls milliardenschwere Sozialkürzungen durch. Regierungen, die gewaltige Angriffe auf die Arbeiter fordern, müssen mit dem Widerstand der Arbeiterklasse rechnen.

In den vergangenen Monaten ist nicht nur gegen Diktaturen im Mittleren Osten revoltiert worden. Es hat in Großbritannien, den Vereinigten Staaten und in Kontinentaleuropa Massenproteste gegen Sozialkürzungen gegeben. Die herrschende Klasse fragt sich jetzt, wie sie diese Bewegungen am besten eingrenzen, zerstreuen und zerschlagen kann. Brogan schrieb, in den herrschenden Kreisen sähen einige den Abhörskandal als „nützlichen ‚Stresstest‘ für die weitaus größeren wirtschaftlichen Herausforderungen, sie sich am Horizont abzeichnen.

Sie erkennen die Schwachstellen im Getriebe der Downing-Street und wollen Veränderungen, um sie zu korrigieren. Denn wenn die politische Führung bereits in einer Situation wie dieser ins Stolpern gerät, was wird dann sein, wenn es wirklich ernst wird?“

Der erwähnte Flügel der herrschenden Klasse sieht Murdoch als Belastung oder zumindest als eine Figur, deren Einfluss zu weit reicht.

Es gibt eine historische Parallele zum vielleicht berühmtesten Politskandal in der modernen Geschichte. Darin ging es auch um den Einfluss einer einzelnen Person über die herrschende Elite: Der russische Mystiker Gregorij Rasputin übte große Macht über den Zaren und seine Familie aus, was zu politischen Intrigen zwischen rivalisierenden Fraktionen der russischen Elite führte.

Man beschuldigte Rasputin, unter fremdem Einfluss zu stehen und als Agent auf die deutschstämmige Zarin angesetzt worden zu sein. Im Dezember 1916 wurde er von rechtsgerichteten Adligen ermordet. Ein paar Monate später wurden der Zar abgesetzt und eine provisorische bürgerliche Regierung gebildet. Diese versuchte vergebens, den revolutionären Aufstand zu unterdrücken, der schließlich im Oktober 1917 unter Führung der bolschewistischen Partei zum Sturz des russischen Kapitalismus durch die Arbeiterklasse führte.

Brogans Kommentare entlarven die Lüge, das politische Establishment kämpfe für die Demokratie. In Wirklichkeit hat der Abhörskandal die extrem schmale soziale Basis enthüllt, auf die sich die kapitalistische Herrschaft und die kriminellen Machenschaften der gesamten Konzern- und Politelite stützen.

Die Bourgeoisie spürt, dass es nicht möglich sein wird, zu behaupten: “Wir sitzen alle im gleichen Boot“, solange eine News Corporation offensichtlich die Politiker kaufen und verkaufen kann. Die Arbeiter werden die Forderungen nach Sozialkürzungen auf der Grundlage “gemeinsamer Opfer” wütend zurückweisen. Deshalb sind gewisse Anpassungen notwendig.

Der Eingriff der herrschenden Klasse in den Abhörskandal zielt vor allem darauf ab, dem Staat eine bessere Ausgangsposition zu verschaffen, wenn er mit der Arbeiterklasse „ernsthaft abrechnen“ will. Der Murdoch-Abhörskandal ist kein Auftakt für die Rückkehr kapitalistischer Demokratie, sondern Vorbote weiterer Klassenexplosionen.

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