Börsenpanik vertieft Krise des Euro

Die Börsenpanik der vergangenen zwei Wochen hat deutlich gemacht, dass keines der Probleme gelöst ist, die das Weltfinanzsystem 2008 an den Rand des Zusammenbruchs führten. Die Krise der Weltwirtschaft hat sich in den letzten drei Jahren im Gegenteil vertieft.

Ein Kommentar der Süddeutschen Zeitung vom Wochenende zieht eine Parallele zur Weltwirtschaftskrise von 1931, die schließlich in den Zweiten Weltkrieg mündete. Zwei Jahre nach dem Wall-Street-Crash von 1929 hatten damals zahlreiche Wirtschaftsspezialisten Optimismus verbreitetet und erklärt, das Schlimmste sei überstanden.

„Welch eine Illusion – und welch besorgniserregende Parallele zur heutigen Krise, zur zweiten Weltwirtschaftskrise, wie man sie inzwischen nennen muss“, kommentiert die Süddeutsche Zeitung. Mittlerweile sei klar, „dass wie vor acht Jahrzehnten noch etliche Krisenwellen folgen werden: ausgelöst durch kollabierende Banken, bankrotte Staaten, schlechte Ratings oder – schlimmstenfalls – das Zerbrechen der Eurozone.“

Nach dem Zusammenbruch der US-Bank Lehman Brothers hatten die verantwortlichen Politiker vor drei Jahren beteuert, sie hätten die Lehren aus 1931 gezogen und würden nicht den Fehler wiederholen, die Weltwirtschaft durch eine deflationäre Politik vollends abzuwürgen. Mithilfe von Bankenrettungspaketen, Konjunkturprogrammen und niedrigen Leitzinsen pumpten sie Billionen-Beträge von den öffentlichen Haushalten auf die Konten der Banken, die die Krise durch verantwortungslose und kriminelle Spekulationsgeschäfte ausgelöst hatten.

Nun stehen die öffentlichen Haushalte selbst im Mittelpunkt der Krise. Ihre Verschuldung ist wegen der Hilfen für die Banken stark gestiegen. So haben sich die irischen Staatsschulden vervierfacht, die spanischen verdoppelt, die amerikanischen sind um ein Drittel und die deutschen um ein Fünftel gewachsen. Die Banken haben den Spieß umgedreht. Erst ließen sie sich durch öffentliche Gelder retten, nun verlangen sie, dass die Haushalte durch brutale Sparmaßnahmen saniert werden.

Die Regierungen haben sich dem Diktat der Finanzmärkte gebeugt und reagieren wie ihre Vorgänger vor achtzig Jahren. Über die Lehren aus der Großen Depression sprechen sie nicht mehr. Stattdessen zerstören sie durch immer neue Sparpakete die Lebensgrundlage breiter Bevölkerungsschichten und treiben die Wirtschaft in die Rezession.

Die Börsenpanik der vergangenen Tage steht in diesem Zusammenhang. Auslöser war die Herabstufung der Kreditwürdigkeit der USA durch die Ratingagentur Standard & Poor’s und die Verschärfung der Schuldenkrise in Europa.

Standard & Poor’s senkte das Rating für US-Staatsanleihen, weil die von der Obama-Administration und dem Kongress vereinbarten sozialen Kürzungen nach Auffassung der Finanzmärkte viel zu gering waren. In Europa waren die Anleihen Spaniens, Italiens und Frankreichs ins Visier der Spekulanten geraten, weil sich die Finanzmärkte mit den verheerenden Sparprogrammen in den Peripheriestaaten Griechenland, Irland und Portugal nicht zufrieden gaben.

Mit dem Run auf die Börsen signalisierten die Finanzanleger, dass sie nicht ruhen werden, bis auch die letzten sozialen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte geschliffen sind – und zwar nicht nur am Rand der Eurozone, sondern in ganz Europa.

Die Politik verstand die Botschaft und reagierte sofort. Die italienische Regierung beschloss noch in der vergangenen Woche ein zusätzliches Sparpaket über 45 Milliarden Euro, obwohl sie erst vor kurzem Einsparungen von 79 Milliarden Euro verabschiedet hatte. Die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Präsident verabredeten sich zu einem Sondergipfel am heutigen Dienstag, um ein Zeichen zur Beruhigung der Finanzmärkte zu geben. Zentrales Thema wird dabei die Einführung gemeinsamer europäischer Anleihen sein.

So genannte Euro-Bonds würden es Ländern wie Griechenland ermöglichen, ihre Schulden zum selben Zinssatz wie Deutschland zu finanzieren. Griechenland müsste dabei wesentlich geringere Zinsen als bisher zahlen, Deutschland dagegen einen Aufschlag in Kauf nehmen.

Von deutscher Seite wurden solche Euro-Bonds deshalb bisher kategorisch abgelehnt. Obwohl die deutsche Wirtschaft wie keine andere vom Euro profitiert, lehnt die Bundesregierung eine „Transferunion“, einen Finanzausgleich zwischen den reichen und den ärmeren Ländern der Eurozone, in jeder Form ab.

In den vergangenen Tagen ist aber der Druck auf Deutschland stark gewachsen. Der italienische Finanzminister Giulio Tremonti forderte am Wochenende in einem dringenden Appell die Einführung gemeinsamer Anleihen. Auch Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker und EU-Währungskommissar Olli Rehn sprachen sich für Euro-Bonds aus.

Der Finanzinvestor George Soros befürwortete in Beiträgen für mehrere deutsche Zeitungen ebenfalls die Einführung von Euro-Bonds. „Deutschland und die anderen Länder mit ‚AAA’-Anleiheratings müssen einem wie auch immer gearteten Euro-Bond-Regime zustimmen. Andernfalls bricht der Euro zusammen“, sagte er dem Handelsblatt.

Die deutsche Regierung lehnt Euro-Bonds zwar immer noch offiziell ab. Bundeskanzlerin Merkel ließ ihren Sprecher am Montag sogar erklären, Euro-Bonds seien nicht das Thema des Treffens mit Sarkozy.

Doch die Welt am Sonntag berichtete am Wochenende unter Berufung auf mehrere Regierungsmitglieder, die Bundesregierung sei inzwischen bereit, gemeinsame europäische Anleihen zu akzeptieren, wenn sich der Euro nicht anders retten ließe. Der bisher gewählte Weg, Staaten mit Finanzierungsschwierigkeiten mit milliardenschweren Rettungspaketen zu helfen, stoße zunehmend an seine Grenzen.

Die Bundesregierung will allerdings einen solchen Schritt nicht offen ankündigen, sondern in einem längeren Prozess „von den Euro-Partnern Zugeständnisse heraushandeln“, wie die Welt am Sonntag schreibt. Im Wesentlichen geht es darum, dass die hoch verschuldeten Länder ihre finanz- und wirtschaftpolitische Souveränität aufgeben und sich dem Diktat der Finanzmärkte bedingungslos unterordnen.

Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler schlug in diesem Zusammenhang die Bildung einer „Stabilitätsunion“ vor, in der harte, automatisch greifbare Kriterien für die Verlässlichkeit der Gemeinschaftswährung gelten. Als erstes sollen alle Länder eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild in die Verfassung aufnehmen und den Arbeitsmarkt einem Stresstest unterziehen. Ein europäischer „Stabilitätsrat“ soll dann über die Verwendung von Krediten entscheiden und die Einhaltung der Kreditbedingungen überwachen. Er soll als „Exekutivgremium“ der Union nach genau festgelegten Kriterien tätig werden, die nicht durch politische Einflussnahme abgemildert werden können.

Rösler begründete seinen mit Bundeskanzlerin Merkel abgestimmten Vorschlag damit, dass es auf den Märkten ein „Grundmisstrauen“ in die Zuverlässigkeit politischer Beschlüsse gebe. Die Märkte beurteilten die wirtschaftliche Lage eines Landes objektiver als politische Institutionen.

Mit anderen Worten, die deutsche Regierung verlangt, dass die Euro-Länder ihre Finanz- und Wirtschaftspolitik einem europäischen Gremium unterordnen, das außerhalb jeder demokratischen Kontrolle steht und dessen Richtlinien maßgeblich von ihr selbst festgelegt werden. Als Gegenleistung wäre sie dann bereit, über Euro-Bonds einen Teil der Schulden schwächerer Länder mitzufinanzieren.

Auch der Milliardär George Soros unterstützt diesen Standpunkt. Euro-Bonds seien „dann für den deutschen Wähler akzeptabel, wenn sie auf klaren Finanzregeln beruhen, die von Deutschland gesetzt werden müssen“, sagte er dem Spiegel.

Welche zusätzliche Belastung Euro-Bonds für den deutschen Haushalt bedeuten, ist umstritten. Ein Vertreter des ifo-Instituts nennt eine Summe von 47 Milliarden Euro jährlich, die allerdings übertrieben sein dürfte. Sicher ist, dass die Bundesregierung die zusätzlichen Kosten auf die Arbeiterklasse abwälzen und einen ähnlich harten Sparkurs verfolgen wird, wie sie ihn bisher Griechenland, Portugal und anderen hoch verschuldeten Ländern diktiert hat.

Mehrere Ökonomen haben errechnet, dass ein Scheitern des Euro die exportabhängige deutsche Wirtschaft weit teurer zu stehen käme.

Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies (CEPS) erwartet einen vollständigen Kollaps des europäischen Finanz- und Bankensystems, falls die Währungsunion zerbrechen sollte. Die deutsche Wirtschaftsleistung würde dann um 20 bis 30 Prozent einbrechen. 2009 war sie infolge der Finanzkrise nur um fünf Prozent zurückgegangen.

Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung und Michael Burda von der Berlin Humboldt Universität rechnen damit, dass eine wieder eingeführte D-Mark gegenüber dem Dollar und anderen europäischen Währungen in kurzer Zeit bis zu 50 Prozent an Wert zulegen würde. Für die Exportwirtschaft wäre dies laut Horn eine Katastrophe. „Es würde den deutschen Mittelstand mit einem Schlag auslöschen.“

Trotzdem ist die deutsche Regierungskoalition über die Frage von Euro-Bonds tief gespalten. Die bayerische CSU, die FDP sowie einige CDU-Abgeordnete lehnen europäische Gemeinschaftsanleihen weiterhin kategorisch ab. Viele Medienkommentare betrachten die Frage mittlerweile als politischen Sprengsatz, der Bundeskanzlerin Merkel ihre parlamentarische Mehrheit kosten könnte.

Sowohl die Grünen wie die SPD stehen bereit, in die Bresche zu springen. Beide haben sich mit Nachdruck für den Kurs ausgesprochen, der derzeit in deutschen Wirtschaftskreisen mehrheitlich befürwortet wird: die Einführung von Euro-Bonds, verbunden mit einem europäischen Finanzdiktat und weiteren strikten Sparmaßnahmen.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel befürwortete in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ die Einführung von Euro-Bonds. Voraussetzung sei aber, dass sich Länder, die solche Bonds in Anspruch nehmen, einer strengen europäischen Kontrolle unterwerfen und Haushaltsrechte abgeben, sagte er

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir nannte in der Rheinischen Post die Ernennung eines europäischen Finanzministers, die Kontrolle der Haushaltsbücher der Mitgliedstaaten durch die Europäische Union und effektive Maßnahmen und Anreize für Haushaltsdisziplin als Voraussetzung für die Einführung von Euro-Bonds. Ausdrücklich befürwortete er auch weitere Sparmaßnahmen. Wer den Euro wolle, müsse „auch bereit sein, einen Preis dafür zu bezahlen“, sagte er.

Die etablierten Parteien – ob konservativ, sozialdemokratisch oder grün – kennen auf die Wirtschaftkrise nur zwei Antworten: Die Einführung einer europäischen Finanzdiktatur im Namen der Verteidigung des Euro, oder die Balkanisierung Europas im Namen nationaler Interessen. Beide führen in die Katastrophe, vertiefen die soziale Krise und verschärfen die nationalen Spannungen.

Die Zuspitzung der Wirtschaftskrise setzt gewaltige Klassenkämpfe auf die Tagesordnung. In Tunesien, Ägypten, Griechenland, Spanien, Israel und vielen andern Ländern haben Arbeiter und Jugendliche begonnen, sich dem Diktat des Finanzkapitals zu widersetzen. Aber diese Kämpfe können nur erfolgreich sein, wenn sie von einer internationalen sozialistischen Perspektive angeleitet werden.

Die Arbeiter ganz Europas müssen sich über die Grenzen hinweg zusammenschließen und einen gemeinsamen Kampf gegen das Diktat der Banken und ihrer Handlanger in den politischen Parteien und Gewerkschaften aufnehmen. Ihr Ziel muss der Aufbau Vereinter Sozialistischer Staaten von Europa sein. Das erfordert den Aufbau des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und seiner Sektionen in ganz Europa.

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