Ägyptische Junta verteidigt Massaker und greift Streikende erneut an

Am Mittwoch verteidigten Generäle des Obersten Rates der ägyptischen Streitkräfte (SCAF) auf einer Pressekonferenz ihr Vorgehen gegen friedliche Demonstranten. Am letzten Sonntag hatte das Militär zehntausend zumeist koptische Demonstranten vor dem staatlichen Fernsehen in Maspiro in der Stadtmitte Kairos brutal angegriffen. Mindestens sechsundzwanzig friedliche Demonstranten wurden getötet, mehr als dreihundert verletzt.

Die Demonstranten forderten den Sturz von Feldmarschall Mohamed Hussein Tantawi, dem Führer des SCAF, und religiöse Gleichbehandlung der christlichen Minderheit der Kopten in Ägypten.

Die Generäle behaupteten auf der Pressekonferenz, dass Demonstranten für die Gewalt verantwortlich seien und hielten an ihrer Auffassung fest, dass „einige Personen unter den Demonstranten Soldaten und Panzer grundlos mit Stöcken, Molotowcocktails und Schwertern angegriffen hätten. Es hat keinen Fall gegeben, bei dem Menschen mit Fahrzeugen überrollt worden sind.“

Tatsächlich aber beweisen Dutzende von Augenzeugenberichten und Videos auf Youtube, dass die Junta ein Massaker veranstaltet hat. Sie setzte scharfe Munition und gepanzerte Fahrzeuge ein, um Demonstranten zu töten.

Ein Demonstrant, der während des Einsatzes verletzt wurde, sagte Al Ahram Online: “Wir sind friedlich marschiert. Sobald wir die Straße blockierten, hat die Armee uns mit Schlagstöcken angegriffen. Nach einiger Zeit machten die Armeefahrzeuge Jagd auf uns. Ich gehörte zu den Leuten, die vor der Armee davonliefen. Sie griffen uns immer wieder an.

Ein Fahrzeug zerschmetterte den Kopf eines Mannes. Sein Blut spritzte über sein T-Shirt. Danach schlossen die Armee und die Polizei ihre Reihen und setzten Tränengas und Geschosse gegen uns ein. Ich begann zu rennen und während ich weglief, warf jemand aus der Armee mit einem Stein, der mich am Kopf traf. Keiner von uns war bewaffnet, es war ein friedlicher Marsch.“

Ein weiterer Demonstrant sagte gegenüber Al Jazeera: “Sicherheitskräfte griffen uns an, als wären wir streunende Hunde. Wir waren wie flüchtende Katzen, wir wurden zermalmt. Wir sprangen in den Nil, es war ein richtiges Massaker. Warum? Weil wir unsere Rechte forderten.“

Der Menschenrechtsanwalt Khaled Ali sagte, es gebe Beweise, dass die Armee “voll und ganz verantwortlich” für das Massaker sei. „Forensische Berichte zeigen, dass sieben Menschen durch scharfe Munition getötet wurden, während zehn andere von Armeefahrzeugen überrollt wurden“, sagte er gegenüber der unabhängigen ägyptischen Tageszeitung Al Masry Al Youm.

Die SCAF-Generäle Mahmoud Hegazy und Adel Emara benutzten die Pressekonferenz auch, um Muslime und Kopten gegeneinander aufzuhetzen. Sie behaupteten, „radikale christliche Geistliche“ hätten die koptische Gemeinde aufgehetzt und planten gewalttätige Demonstrationen gegen den Staat.

Schon während der Demonstrationen begann das ägyptische Staatsfernsehen eine Hetzkampagne gegen die christliche Minderheit. Es behauptete, dass Kopten mit den Angriffen begonnen und versucht hätten, Soldaten umzubringen. Die Sendungen ermutigten Muslime, auf die Straße zu gehen und die ägyptische Armee zu schützen.

Vor Beginn der Pressekonferenz lobte General Ismail Etman das staatliche Fernsehen für seine Berichterstattung über die Ereignisse vom Sonntag und sagte: „Ich begrüße es, dass das Staatsfernsehen die Wahrheit zeigt und danke allen Sendern, die live berichtet haben. Die Medien sollten die ganze Wahrheit zeigen, unvoreingenommen sein und das öffentliche Interesse berücksichtigen.“ Dann behauptete er, der SCAF „zensiere keine Meinungen, selbst wenn sie oppositioneller Art seien.“

Etmans Aussagen könnte falscher und zynischer nicht sein. Während des Angriffs führte die ägyptische Armee Razzien gegen die Nachrichtensender Al-Hurra TV und Channel 25 in Kairo durch, die live über den Polizei- und Armeeeinsatz berichteten. Das Militär zwang die Sender, ihre Berichterstattung zu beenden, prüfte die Ausweise der Journalisten, um Christen zu identifizieren und schlug einige von ihnen zusammen.

Die jüngsten Aktionen der Junta – die Anwendung von Gewalt, der Versuch, konfessionelle Zweitracht zu säen und haarsträubende Lügen zu verbreiten – erinnern viele Ägypter an die schlimmsten Tage der Diktatur von Hosni Mubarak. Eine Demonstrantin sagte Al Ahram Online: „Die Armee behandelt uns genauso wie Mubarak Demonstranten während der Revolution behandelt hat.“ Sogar bürgerliche Medien erklärten, dass das Militär jegliche Glaubwürdigkeit gegenüber den Ägyptern verloren hätte. Tantawi werde „als neuer Autokrat verschmäht, der die Macht des Militärs genauso wie Mubarak selber gegen das Volk einsetze.“

Die Beerdigungen der koptischen Märtyrer am Montag schlugen um in Massenproteste gegen den SCAF und Tantawi (siehe Youtube-Video). Menschen riefen: „Revolution in allen Straßen Ägyptens!“ und „Nieder mit dem Feldmarschall!“ Viele Muslime nahmen aus Solidarität mit den Kopten an den Beerdigungen teil.

Angesichts des wachsenden Widerstands im Volk bereitet die Junta immer stärkere Unterdrückungsmaßnahmen vor, um die ägyptische Revolution zu zerschlagen. Am Dienstag enthüllte Al Masry Al Youm, dass das ägyptische Militär über ein Ausbildungsprogramm verfügt, das “Victory-5” heißt und „Unteroffiziere auf Ägyptens neue Sicherheitsherausforderungen vorbereiten soll“.

Am selben Tag griff eine Einheit der ägyptischen Militärpolizei gemeinsam mit Schlägern Hunderte von Textilarbeitern der Mega Textile Company in Shebin al-Kom an. Die Arbeiter demonstrierten vor den staatlichen Gebäuden in Menoufiya für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Medienberichten zufolge wurden sie mit Schlagstöcken, Elektroschockern und Peitschen angegriffen. Mindestens dreißig wurden verletzt, zwölf verhaftet. Eine Arbeiterin starb, nachdem sie von einem Wagen angefahren worden war.

Am Donnerstag griff die Militärpolizei mehr als eintausend Arbeiter der Telecom Egypt an, die das Büro des Firmendirektors Mohamed Abdel-Rahim belagerten. Im Morgengrauen beendete das Militär die Aktion und verhaftete zwölf Arbeiter. Die Arbeiter beschuldigen Rahim der Zusammenarbeit mit der ehemaligen herrschenden Partei. Außerdem soll er Gelder verschwendet haben und sich weigern, die Löhne zu erhöhen.

Diese Angriffe zeigen, dass sich die von der Junta entfesselte Gewalt gegen die Arbeiterklasse als Ganzes richtet. Es handelt sich um die Antwort des SCAF auf eine Welle von Massenstreiks, die Ägypten in den vergangenen Wochen erfasst hat. Seit dem Ende des Ramadan sind hunderttausende Arbeiter in den Streik getreten, um höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und soziale Gleichheit zu fordern. Die Arbeiter fordern auch den Sturz der SCAF-Junta.

Die ägyptische Bourgeoisie ist zunehmend besorgt und zerstritten in der Frage, wie die Situation unter Kontrolle zu bringen sei. Am 12. Oktober unterzeichneten zwölf Parteien – einschließlich der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei (dem politischen Arm der Moslembruderschaft), der salafistischen Nour-Partei, der liberalen Al-Wafd und der nasseristischen Karama-Partei – einen Vertrag mit dem SCAF, in dem festgelegt wird, dass bis Ende November dieses Jahres Wahlen abgehalten werden, während das Militär wenigstens bis Ende 2012 die Macht in Händen behält.

Al Ahram Online zufolge “erklärten die Unterzeichner des Dokuments auch ihre volle Unterstützung für den Höchsten Rat der Streitkräfte und ihre Wertschätzung seiner Rolle beim Schutz der Revolution und beim Prozess der Machtübergabe an das Volk.”

Diese offene, unkritische Akzeptierung der SCAF-Diktatur ist von Jugendgruppen wie der Bewegung vom 6. April und von pseudo-linken Gruppen wie des Workers Democratic Party (WDP), den Revolutionären Sozialisten (RS) und der Partei Sozialistische Volksallianz (SPAP) kritisiert worden. Diese Gruppen fürchten, dass der Hass von Arbeitern und Jugendlichen auf den SCAF zu einer weiteren Revolution führen und den bürgerlichen Staat und die kapitalistische Herrschaft in Ägypten bedrohen könnte.

Als Reaktion auf das Massaker vom Sonntag hielten diese Organisationen am Donnerstag eine Pressekonferenz ab und gaben eine Erklärung heraus, in der es hieß: „Der SCAF hat bei der Organisierung der Übergangsperiode versagt und die Situation dadurch verschlimmert.“ Die Junta solle deshalb „die Exekutivgewalt an eine zivile Regierung übergeben.“

Die Erklärung kann nur als eine Beleidigung der Märtyrer und des revolutionären Proletariats angesehen werden. Ihre Unterzeichner haben beständig behauptet, der SCAF könne dazu gedrängt werden, einen „demokratischen Übergang“ in Ägypten zu organisieren. Jedermann weiß jetzt, dass das eine Lüge ist. Mubaraks Generäle haben nicht die geringste Absicht, die Macht einem demokratischen Staat zu überlassen, sondern von Anbeginn die Konterrevolution angeführt und Mubaraks anti-soziale und anti-demokratische Politik fortgeführt.

Warum sollten die Generäle – die sich jetzt des Mordes an unschuldigen Demonstranten schuldig gemacht haben – zurücktreten und zivilen Behörden die Macht übergeben? Solche Hoffnungen zu schüren ist nicht nur Wunschdenken, sondern der bewusste Versuch, die Arbeiterklasse zu entwaffnen und sie an die Junta zu fesseln.

Ein bewusster revolutionärer Kampf gegen die von den USA unterstützte Militärjunta auf der Grundlage eines sozialistischen Programms ist das einzige Mittel, um die Konterrevolution zu bekämpfen und die Revolution voranzutreiben. (Siehe: „Die politischen Aufgaben der ägyptischen Revolution“)

Ein Kommentar in Al Masry Al Youmkurz vor dem Massaker beschrieb die Situation wie folgt: „In den Straßen intensiviert sich die Revolution. Streiks und Sit-Ins weiten sich auf Fabriken und Schulen aus. Ägyptens soziale Widersprüche kochen über, und institutionelle Korruption, miserable Lebensbedingungen und der Zusammenbruch aller sozialen Dienstleistungen werden überall enthüllt und von der Bevölkerung in Frage gestellt.“

Der Autor warnte, wenn der Staat “die Forderungen von Zehntausenden von Demonstranten und Streikenden, die weiter für ein anständiges Leben und eine bessere Zukunft kämpfen,” nicht ernst nehme… dann stünden die Ägypter vor folgender Alternative: Der Restaurierung des Polizeistaates oder einer revolutionären Eskalation“.

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