Perspektive

Wachsende Konflikte über europäischen Bailout

Je mehr sich die europäische Schulden- und Bankenkrise verschärft, desto offener werden die Differenzen zwischen den Großmächten innerhalb der Eurozone und im internationalen Rahmen.

Letzten Sonntag hatten der französische Präsident Nicolas Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel nach monatelangem hin und her bekanntgegeben, dass sie eine Vereinbarung zur „Rekapitalisierung“ der europäischen Banken ausgearbeitet hätten. Sie nannten allerdings keine Details darüber, weil es immer noch grundlegende Meinungsverschiedenheiten gibt.

Die Franzosen bestehen darauf, dass die Rekapitalisierung, d.h. die Verteilung von Milliarden von Euro staatlicher Gelder an die Banken, im Rahmen des europäischen Krisenfonds EFSF stattfinden müsse. Sie fürchten, eine direkte Intervention der nationalen Regierung könnte Frankreichs Kreditwürdigkeit gefährden und seine finanzielle Stabilität infrage stellen. Premierminister Francois Fillon sprach für die besorgten herrschenden Kreise Frankreichs, als er warnte: „Vergessen Sie nicht, wir sitzen auf einem Pulverfass, das jederzeit den europäischen Kontinent, seine demokratische Verfasstheit, seine Währungsunion und seine politische Union in die Luft jagen könnte.“

Deutschland andererseits fordert, dass die erste Adresse die Privatmärkte sein sollten, und nur wenn dieser Versuch scheitert, sollten Regierungen einschreiten. Der EFSF sollte als Geldgeber nur letzte Wahl sein. Deutschland fürchtet, dass als Haupteinzahler in den Fonds seine finanzielle Position geschwächt werde könnte.

Herman van Rompuy, der Präsident des Europäischen Rates, hat versprochen, dass die Führer der Europäischen Union bei ihrem Treffen am 23. Oktober ihre „gemeinsame Strategie zu Ende ausarbeiten“, um für das G-20-Treffen am 3. November vorbereitet zu sein. Aber dieses Versprechen hat nicht viel zu sagen. Wie der Wirtschaftskorrespondent der Financial Times, Martin Wolf, gestern schrieb, kann niemand sicher sein, dass die Krise bald vorbei ist. Die Anzeichen deuten viel eher darauf hin, dass sie sich verschlimmert.

Wolf schrieb: „Ein Anzeichen für die zunehmende Spannung (…) ist, dass die Preise für Kreditausfallversicherungen für die bisher kreditwürdigsten großen Länder der Eurozone, d.h. für Frankreich und Deutschland, steigen. Erstaunlicherweise ist der Preis für deutsche Kreditausfallversicherungen etwas höher als der für britische. Darin scheint sich die Besorgnis zu äußern, dass die Rettung von schwächeren Eurozonenstaaten eine schwere Bürde sein könnte. Meine eigene Ansicht ist, dass Deutschland alles in seiner Macht stehende tun wird, um die Eurozone am Laufen zu halten, solange es nicht seine eigene Zahlungsfähigkeit damit gefährdet.

Darin liegt das wichtigste Hemmnis für eine „ökonomische“ Lösung der Krise: Statt die Schuldenkrise zu lösen, könnte diese sich durch die Bailouts von den Randstaaten in die Kernstaaten ausbreiten.

Von der anderen Seite des Atlantiks haben Vertreter der Obama-Regierung gefordert, dass die europäischen Regierungen für ihre Banken einen ähnlich großen Bailout organisieren wie die USA mit ihrem „Troubled Asset Relief Program“ (TARP). Der Grund für diese Forderung ist, dass ein großer Staatsbankrott in Europa schwerwiegende Auswirkungen auf amerikanische Banken haben würde, da sie dann Kreditausfallversicherungen für europäische Staatsschulden zahlen müssten.

Der ehemalige stellvertretende Finanzminister Roger Altman ist der jüngste Befürworter eines „europäischen TARP.“ Gestern schrieb er in der Financial Times, ein von Frankreich und Deutschland ausgearbeiteter Bankenrettungsplan sei eine „goldene Chance, die schwindende Glaubwürdigkeit von Europas Führern wiederherzustellen.“ Sie müssten sich „an Amerikas Intervention auf dem Bankensektor orientieren“ und sicherstellen, dass „das fiskalische Äquivalent von überwältigender Stärke angewandt wird.“

Wie Daniel Gros, der Direktor des Brüsseler Zentrums für Europäische Politische Studien, jedoch schnell erklärte, unterscheiden sich die amerikanischen und europäischen Finanzkrisen voneinander. Der TARP sollte die Banken retten, nachdem sie auf dem Immobilien- und Kreditsicherheitenmarkt Verluste erlitten hatten.

„Die europäischen Banken sind aber in Schwierigkeiten, weil der Wert der Staatsanleihen, die sie besitzen, gesunken ist. Ihre Regierungen können ihnen nicht helfen, weil die Banken und Regierungen der Region so tief miteinander verbunden sind, dass sie praktisch eine gemeinsame Bilanz haben. Durch Rekapitalisierung würde das Geld nur von der linken in die rechte Tasche gesteckt werden. Deshalb würde ein ‚europäischer TARP‘ das Hauptproblem nicht lösen: Den Vertrauensverlust in Staatsschulden.“

Gros fuhr fort, ein Bailout könnte die Lage sogar noch schlimmer machen, weil er die Staatsschulden erhöhen würde.

Das ist auch die Meinung des prominenten deutschen Ökonomen Hans-Werner Sinn. Seine Ansichten decken sich mit denen eines mächtigen Teils der herrschenden Elite Deutschlands. Laut Sinn würde „die exzessive Vergabe von Rettungsgeldern“ keinen „Schutzwall“ für die zahlungsfähigen Staaten schaffen, sondern eine Einfallschneise, durch die sie „in den Schuldensumpf gezogen würden.“

Ein Bailout, in welcher Form auch immer, wird keine wirtschaftliche Erholung bringen. Er wird vielmehr von einem noch schärferen Angriff auf die Arbeiterklasse begleitet sein, nicht nur in Griechenland und anderen verschuldeten Staaten, sondern in ganz Europa.

Abgesehen von den Konflikten in der Eurozone gibt es Befürchtungen, dass die Krise die ganze Europäische Union destabilisiert. Der ehemalige britische Außenminister David Owen schrieb diese Woche in einem Artikel über die Staatsschuldenkrise, sie befinde sich in einer „sehr gefährlichen Phase“, und forderte, dass Großbritannien, Schweden, Polen und andere EU-Staaten, die nicht an der Währungsunion teilnehmen, eine gemeinsame Position einnehmen und eine Gruppe der Nicht-Euroländer in der EU bilden sollten.

Dieser Vorschlag wurde zwar als konstruktiver Beitrag zur Stärkung der EU dargestellt, ist aber eigentlich ein weiteres Anzeichen für ihr Auseinanderbrechen.

Wie zerbrechlich die EU und die Eurozone in Wirklichkeit sind, zeigte sich diese Woche bei der Abstimmung im slowakischen Parlament, bei der eine Erhöhung der Kapazität des EFSF von 250 Milliarden Euro auf 440 Milliarden Euro abgelehnt wurde. Die slowakische Entscheidung könnte als wirkungslose Aktion abgetan, und nach Bildung einer neuen Regierung verworfen werden. Aber sie zeigt auch die weitere Entwicklung: Die EU zerbricht an nationalen Streitfragen.

Die europäische Bourgeoisie hatte die EU und den Euro bisher als einen Weg nach vorne für die Völker des Kontinents dargestellt, auf dem sie die Konflikte, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgebrochen waren, hinter sich lassen können. Aber das ganze Projekt ist zu einem Alptraum geworden und bringt Europa Armut und die steigenden Gefahren der Balkanisierung und des Krieges. Für die arbeitende Bevölkerung ist der einzige Weg vorwärts der Kampf gegen die europäische Union der Banken und Konzerne und für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

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