Europa am Abgrund, Griechenland vor dem Bankrott

Aus dem G-20-Gipfel in Cannes ist ein verzweifelter Krisengipfel geworden: Griechenland ist offenbar kaum mehr in der Lage, die schweren Bedingungen zu erfüllen, welche die Europäische Union, der Internationale Währungsfonds und die Europäische Zentralbank an die nächste Geldspritze geknüpft haben.

Am Dienstag stürzten die Aktienmärkte steil ab. Premierminister Giorgos Papandreou hatte überraschend beschlossen, ein Referendum abzuhalten und das Volk über die Bedingungen der Eurozone entscheiden zu lassen. Die geringe Erholung Anfang der Woche konnte die wachsende Angst nicht verringern, dass sich ein griechischer Staatsbankrott auf Italien und ganz Europa ausweiten könnte.

Die Staatschefs der Welt fürchten jetzt, dass ein „Nein“ Griechenland zwingen würde, die Eurozone zu verlassen. Sie reagierten mit Drohungen und Erpressungsversuchen.

Der Sprecher des Bundesfinanzministeriums, Martin Kotthau, drohte mit dem Einfrieren der nächsten, acht Milliarden Euro schweren Hilfsgelder für Griechenland, bis das Referendum stattgefunden habe. Am Donnerstagmorgen erklärten EU-Sprecher, die bereits gebilligte Rate werde bis zum Ausgang des Referendums auf Eis gelegt.

Der französische EU-Minister Jean Leonetti sagte, es komme nicht in Frage, dass die Eurozone das Hilfspaket für Griechenland neu aushandeln werde. „Die Entscheidungen, die letzte Woche getroffen wurden, können nicht neu verhandelt werden“, sagte er. „Das Referendum wirft eine fundamentale Frage auf: Wollen Sie in der Eurozone bleiben oder nicht? Denn wenn Sie die Bedingungen nicht akzeptieren, werden Sie nicht bleiben.“

Der Präsident der Europäischen Kommission, Jose Manuel Barroso, forderte „nationale und politische Einigkeit in Griechenland“ und die Zustimmung zum Rettungspaket. Er drohte: „Ohne Griechenlands Zustimmung zu dem Programm der EU und des IWF werden die Bedingungen für die griechische Bevölkerung noch schmerzhafter sein und vor allem die Schwächsten betreffen.“

Jay Carney, Sprecher von US-Präsident Barack Obama, warnte Europa, es müsse „die höchst wichtigen Entscheidungen, die es letzte Woche gefällt hat, umsetzen, um eine abschließende Lösung zu finden“.

China forderte die Staatschefs der EU auf, sie müssten Griechenland dazu bringen, „die Idee eines Referendums aufzugeben“. China wird zurzeit von den europäischen Mächten als potenzielle Geldquelle umworben.

Ein hoher G-20-Funktionär sagte: „Mit Papandreous Entscheidung, ein Referendum abzuhalten, hat Griechenland wieder einmal eins unserer Treffen gekapert.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy bestellten Papandreou zu einer Standpauke unter vier Augen ein, und vom Rest der G-20 steht ihm Ähnliches bevor. Auch Christine Lagarde, die leitende IWF-Direktorin, nahm an den Gesprächen teil.

Das Hilfspaket für Griechenland war mit weiteren Verpflichtungen verknüpft, durch die das Vertrauen in die Wirtschaften der Eurozone wiederhergestellt werden sollte. Im Zentrum stand die Stärkung des Europäischen Finanzmechanismus (EFSF), der auf eine Billion Euro aufgestockt werden soll, um weitere Bailouts finanzieren zu können.

Dieser Plan wird offenbar bereits umgesetzt. Am Mittwoch sollte der EFSF Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit herausgeben, um den Bailout von Irland zu finanzieren. Die Sache wurde jedoch abgebrochen, weil sich nicht genug Käufer fanden.

Ein Investor sagte der Financial Times: „Dieser Fonds soll notfalls über eine Billion Euro verfügen können, aber er kann nicht einmal drei Milliarden auftreiben. Das ist sehr beunruhigend.“

Die Europäische Zentralbank musste einschreiten und am Mittag in London italienische Staatsanleihen im Wert von einer bis zwei Milliarden Euro kaufen. Die italienische Regierung hielt außerdem am Mittwochabend eine Notfallsitzung ab, um die Haushaltskürzungen zu diskutieren, die angesichts ihrer Schulden in dreistelliger Milliardenhöhe von ihr verlangt werden. Italien muss für seine Staatsanleihen zurzeit Zinsen in Höhe von über sechs Prozent aufbringen, der höchste Satz seit seinem Beitritt zur Eurozone.

Papandreous Regierung könnte zusammenbrechen. Er steht unter Druck, sein Referendum bis spätestens 11. Dezember zu halten, und er wird es wahrscheinlich verlieren. „Ursprünglich sollte es im Januar stattfinden, aber das steht außer Frage“, sagte ein Vertreter des IWF. Ohne die acht Milliarden, die bisher zurückgehalten werden, kann die Regierung nicht einmal die Gehälter im öffentlichen Dienst bezahlen.

Mit seinem Vorstoß versucht Papandreou, sich einen politischen Vorteil zu verschaffen. Es ist noch vieles unklar, aber mehrere Quellen behaupten, es ginge bei dem Referendum nicht um das Rettungspaket, sondern um Griechenlands weitere Mitgliedschaft in der EU und der Eurozone. Papandreou sagte gestern, mit dem Referendum werde „Griechenland eine klare Botschaft über unser europäisches Engagement und unsere Zugehörigkeit zum Euro nach innen und nach außen senden“.

Bei dem Referendum geht es zwar zunächst um das Rettungspaket, doch Papandreou will damit offensichtlich die Oppositionsparteien und die Gewerkschaftsbürokratie zwingen, Farbe zu bekennen. Sie sollen sich offen hinter seine Pläne stellen, obwohl sie sich bisher als Gegner der Sparmaßnahmen präsentierten. In Wirklichkeit sind sich alle großen Parteien in Griechenland darin einig, dass die Arbeiter für die Wirtschaftskrise zahlen müssen.

Es ist jedoch nicht von vorneherein sicher, dass Papandreou Erfolg hat. Am Freitag steht ihm eine Vertrauensabstimmung im griechischen Parlament bevor, die er verlieren könnte. Seit dem Rücktritt eines Parlamentsmitglieds hat die PASOK nur noch eine Mehrheit von zwei Sitzen. Weitere sechs Parlamentsmitglieder fordern seinen Rücktritt.

Die Oppositionsparteien, allen voran die konservative Nea Dimokratia, aber auch abtrünnige PASOK-Mitglieder, fordern bereits vorgezogene Neuwahlen. Diese sind mittlerweile wahrscheinlicher als Papandreous Referendum.

Da keine Partei großen Rückhalt in der Bevölkerung hat, könnte das Ergebnis eine Regierung der nationalen Einheit sein. Einer solchen Regierung könnten auch pseudolinke Parteien wie Syriza und die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) angehören.

Papandreous verzweifelter Schachzug mag erfolgreich sein oder nicht, und er mag noch eine Weile an der Macht bleiben oder durch eine neue Koalition unter Führung von Nea Dimokratia abgelöst werden, – für die griechische Arbeiterklasse läuft es aufs Gleiche hinaus. Sie wird weiter ins soziale Elend abgleiten.

Eine Eskalation des Klassenkampfes ist unabwendbar.

Die Maßnahmen, auf die sich die Regierung und die „Troika“ geeinigt haben, sind in der Bevölkerung zutiefst verhasst. Sie hat darauf schon mit Massenprotesten und mehreren Generalstreiks reagiert. Zum Beispiel wird die Obergrenze für die Einkommenssteuer von 12.000 Euro auf 5.000 Euro gesenkt, die Mehrwertsteuer von 19 auf 23 Prozent erhöht und das Renteneintrittsalter von 61 auf 65 Jahre angehoben. Die verheerenden Angriffe beinhalten auch Rentenkürzungen zwischen zwanzig und vierzig Prozent, Gehaltskürzungen um dreißig Prozent und weitere Entlassungen im öffentlichen Dienst.

Vor diesem Hintergrund muss man die jüngste, außergewöhnliche Entscheidung von Papandreou und Verteidigungsminister Panos Beglitis sehen, die Oberbefehlshaber der Streitkräfte zu entlassen. Bei einem außerplanmäßigen Treffen des Rates für Äußere Angelegenheiten wurde beschlossen, die von Nea Dimokratia eingesetzten Oberbefehlshaber der Armee, der Marine, der Luftwaffe und des Generalstabes zu ersetzen.

General Ioannis Giagkos, Chef des griechischen Generalstabs, wird durch Generalleutnant Michalis Kostarakos ersetzt. Generalleutnant Fragkos Fragkoulis, Chef des Generalstabs des Heeres, wird durch Generalleutnant Konstantinos Zazias ersetzt. Generalleutnant Vasilios Klokozas, Oberbefehlshaber der griechischen Luftwaffe, wird durch den Generalleutnant der Luftwaffe, Antonis Tsantirakis, ersetzt. Und Vizeadmiral Dimitrios Elefsiniotis, Oberbefehlshaber der griechischen Marine, durch Konteradmiral Kosmas Christidis.

Zunächst wurde dies in der Presse als Routinevorgang abgetan, doch dann kam die Frage auf, ob Papandreou damit einen Militärputsch habe verhindern wollen. Die Daily Mail spekulierte ganz offen darüber, ob die Regierung „einem Putsch zuvorkommen“ wollte. Im Mai hieß es in einem Bericht der CIA, falls die Regierung die Kontrolle verliere, sei ein Putsch in Griechenland möglich.

Falls es Papandreou jedoch gelingen sollte, sich damit die Unterstützung des Militärs zu sichern, kann er dieses auch gegen die griechische Arbeiterklasse einsetzen. Dies hätte nicht weniger brutale Folgen als die Maßnahmen seiner politischen Gegner.

Die offene Diskussion über den Einsatz des Militärs bis hin zur Einsetzung einer Militärregierung muss der ganzen europäischen Arbeiterklasse eine Warnung sein. Wie die weltweit durchgeführten Haushaltskürzungen seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise zeigen, lautet das Prinzip der herrschenden Klasse: Wo Griechenland heute ist, werden morgen Italien, Spanien, Portugal und der Rest Europas sein.

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