Perspektive

Die Krise des Euro

Seit Beginn dieses Jahres ist kein einziger Monat vergangen, in dem nicht ein Gipfeltreffen neue Maßnahmen zur Rettung des Euro beschlossen hätte. Aber am Ende des Jahres steckt der Euro tiefer in der Krise denn je zuvor.

Der Euro-Rettungsfonds EFSF, seine Aufstockung und Hebelung, Anleihenkäufe durch die Europäische Zentralbank, drastische Sparprogramme in Griechenland, Portugal, Spanien, Italien und Frankreich, die Kontrolle des griechischen Haushalts durch die Troika aus EU, EZB und IWF, neue Regierungen in Portugal, Griechenland, Italien und Spanien – all diese dramatischen Maßnahmen und Veränderungen der vergangenen Monate, die tagelang die Schlagzeilen beherrschten, konnten den Ansturm der Finanzmärkte nicht stoppen. Im Gegenteil, er nimmt inzwischen panikartige Formen an.

Die Schuldenkrise ist vom Rand der Eurozone in deren Zentrum vorgerückt. Nach Griechenland, Irland und Portugal müssen inzwischen auch Spanien, Italien und zunehmend auch Frankreich für Staatsanleihen derart hohe Zinsen bezahlen, dass sie der Schuldenfalle nicht mehr entrinnen können. Am Mittwoch ist es auch Deutschland nicht mehr gelungen, Anleihen im Wert von 6 Milliarden Euro zu verkaufen. Analysten sprachen von einem „Desaster“ und einem „Misstrauensvotum für die ganze Eurozone“.

Viele Experten glauben inzwischen nicht mehr an ein Überleben des Euro in seiner jetzigen Form. Eine Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters unter zwanzig führenden Wirtschaftsprofessoren und Entscheidungsträgern der Wirtschaft ergab, dass nur noch sechs von einem Weiterbestehen der Währungsunion ausgehen, während zehn weitere ein kleineres Kerneuropa für möglich halten.

Ein Auseinanderbrechen der Eurozone – auch darüber sind sich die Fachleute einig – hätte verheerende wirtschaftliche, soziale und politische Folgen. Es würde den Kontinent in ähnliche gesellschaftliche Erschütterungen und nationale Auseinandersetzungen stürzen, wie in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Auch für die Weltwirtschaft hätte ein Scheitern des Euro verhängnisvolle Folgen.

Vor diesem Hintergrund verschärfen sich die nationalen Konflikte in Europa.

Frankreich und Italien, unterstützt von der britischen und der US-Regierung, fordern seit längerem europäische Gemeinschaftsanleihen (Euro-Bonds) und die Finanzierung verschuldeter Staaten durch die Europäische Zentralbank, um den unersättlichen Hunger der Finanzmärkte zu stillen. Deutschland verweigert bisher strikt seine Zustimmung und besteht darauf, dass jedes Land seinen Haushalt selbst durch drakonische Sparmaßnahmen sanieren müsse, auch wenn dies – wie in Griechenland – Rezession und sicheren Ruin bedeutet.

Als EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Mittwoch in Brüssel eigene Pläne für Euro-Bonds präsentierte, stieß er in Berlin auf scharfen Protest. Die Presse schäumte über „Barrosos Provokation“, während Bundeskanzlerin Merkel seinen Vorstoß vor dem Bundestag scharf verurteilte. „Noch nie in der Geschichte der EU hat ein deutscher Regierungschef einen Präsidenten der Kommission öffentlich dermaßen abgewatscht, wie Angela Merkel das nun mit Barroso getan hat“, kommentierte die Süddeutsche Zeitung.

CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt beschimpfte Barroso in der Bild-Zeitung als „Söldner der Dolce-Vita-Länder, die nur schnell an unsere Steuerkasse heranwollen“. Auch Wirtschaftsminister Philipp Rösler unterstrich, dass Deutschland nicht für andere Länder einstehen werde. „Wir sagen ‚Nein’ zu Euro-Bonds“, sagte er. „Eine Transferunion wäre falsch, weil wir nicht wollen, dass der deutsche Steuerzahler für die Schulden in anderen Staaten aufkommt. Wir wollen keine Euro-Bonds, weil wir nicht wollen, dass die Zinsen dramatisch in Deutschland steigen.“

Auch am Donnerstag blieb Bundeskanzlerin Merkel bei einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Sarkozy und dem neuen italienischen Regierungschef Mario Monti bei ihrem Nein zu Euro-Bonds. Stattdessen kündigte sie an, Deutschland und Frankreich würden in den nächsten Tagen Vorschläge zur Änderung der EU-Verträge vorlegen. Brüssel soll damit in die Lage versetzt werden, die Mitgliedsländer zu noch schärferen Sparmaßnahmen zu zwingen. Wer gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt verstoße, müsse „zur Rechenschaft gezogen werden“, betonte Merkel.

Es gibt zwar Hinweise, dass Merkel in der Frage der Euro-Bonds schließlich nachgeben wird, wie sie dies nach anfänglichem Widerstand auch beim Eurorettungsschirm und anderen Maßnahmen getan hatte. Doch der Preis dafür wird hoch sein. Als Gegenleistung verlangt die deutsche Regierung eine Verschärfung des Euro-Stabilitätspakts, die es Brüssel erlaubt, eine regelrechte Diktatur über die Haushalte der einzelnen Mitglieder auszuüben.

Die Last der Krise würde so – wie derzeit schon in Griechenland und anderen Schuldenländern – ohne Rücksicht auf demokratische Rechte und Verfahren auf die Masse der Bevölkerung abgewälzt. Euro-Bonds dienen dazu, das Kapital der Banken und die Vermögen der Reichen mit öffentlichen Geldern zu retten, während die arbeitende Bevölkerung die Zeche trägt. Trotzdem setzen sich Sozialdemokraten, Grüne und die deutsche Linkspartei vehement dafür ein.

Die Krise würden Eurobonds ebenso wenig lösen, wie dies der Eurorettungsschirm und andere bereits beschlossene Maßnahmen getan haben.

Allein schon die Vorstellung, Deutschland könne Italien, Frankreich und Spanien dank seiner Wirtschaftskraft aus der Krise ziehen, ist illusorisch. Selbst wenn man davon absieht, dass Deutschland selbst hoch verschuldet und aufgrund seiner Exportabhängigkeit in hohem Maß von der Weltkonjunktur abhängig ist, reicht seine Wirtschaftskraft dazu nicht aus. Das deutsche BIP macht mit 3,3 Billionen US-Dollar gerade einen Fünftel der Wirtschaftsleistung der gesamten Europäischen Union aus und ist nur gut halb so hoch wie das gemeinsame BIP von Frankreich, Italien und Spanien.

Die tiefere Ursache der Krise ist zudem nicht die Verschuldung der europäischen Länder, die im Durchschnitt deutlich unter jener der USA, Japans oder Großbritanniens liegt. Vielmehr handelt es sich um eine weltweite Krise des Kapitalismus, deren Epizentrum sich in den USA befindet. Europa ist in den Mittelpunkt der Angriffe der Finanzmärkte geraten, weil es innerlich zerrissen und gespalten ist.

Die Europäische Union hat den Kontinent nicht „vereint“, sie hat ihn lediglich den mächtigsten Finanz- und Konzerninteressen untergeordnet. Sie hat auch die nationalen Gegensätze nicht überwunden, die immer wieder aufbrechen, wenn sich die Krise verschärft. Die Bourgeoisie ist organisch unfähig, den Kontinent im Interesse seiner Einwohner zu vereinen, weil das kapitalistische Privateigentum untrennbar mit dem Nationalstaat verbunden ist.

Ohne Eingriff in die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse kann die Krise nicht gelöst werden. Die Banken, Großunternehmen und großen Vermögen müssen enteignet, demokratisch kontrolliert und in den Dienst der Gesellschaft gestellt werden. Statt der Profitansprüche der Kapitalbesitzer müssen die gesellschaftlichen Bedürfnisse Vorrang haben.

Im wirtschaftlich und gesellschaftlich eng verflochtenen Europa kann eine sozialistische Perspektive nur durch die enge internationale Zusammenarbeit der Arbeiterklasse verwirklicht werden. Ziel muss der Aufbau Vereinigter Sozialistischer Staaten von Europa sein. Sonst droht, wie in den 1930er Jahren, die Balkanisierung des Kontinents und sein Abgleiten in Diktatur und Krieg.

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