Italien vor Regierungswechsel

Nach Griechenland wird wohl auch in Italien bald ein Vertrauensmann der internationalen Banken eine sogenannte Expertenregierung führen. Regierungschef Silvio Berlusconi hat für den heutigen Samstagabend eine Kabinettssitzung einberufen, auf der er möglicherweise zurücktritt. Als Favorit für seine Nachfolge gilt der parteilose Wirtschaftsexperte und ehemalige EU-Kommissar Mario Monti.

Berlusconi hatte bereits am Dienstagabend angekündigt, er werde zurücktreten, sobald das Parlament die von der EU geforderten Sparmaßnahmen verabschiedet habe. Er hatte aber kein konkretes Datum genannt. Den Finanzmärkten genügte diese vage Ankündigung nicht. Am Mittwoch kletterten die Zinsen für italienische Anleihen über 7 Prozent, was eine Refinanzierung der Staatsschulden praktisch unmöglich macht.

Auch von Seiten der Europäischen Union wuchs der Druck. So forderte der Chef des Euro-Rettungsfonds EFSF, Klaus Regling, im Gespräch mit europäischen Zeitungen, das Land brauche „so schnell wie möglich eine funktionsfähige Regierung“. Italien laufe „die Zeit davon, um die Märkte zu beruhigen“, warnte er.

Das italienische Parlament erklärte sich daraufhin bereit, das Sparpaket im Eilverfahren zu verabschieden. Es sieht unter anderem den Abbau von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst, die Deregulierung des Arbeitsmarkts sowie soziale Kürzungen vor. Experten sind sich einig, dass es nur den Auftakt zu weiteren Einschnitten bildet.

Am Freitag stimmte der Senat dem Sparpaket mit 156 zu zwölf Stimmen zu. Am heutigen Samstag wird ihm das Abgeordnetenhaus voraussichtlich folgen. Damit wäre der Weg für Berlusconis Rücktritt frei, und eine neue Regierung könnte bereits in der kommenden Woche gebildet werden.

Treibende Kraft hinter der Regierungsumbildung ist Staatspräsident Giorgio Napolitano. Er hat die Regierung in den vergangenen Monaten immer wieder gedrängt, die von der EU verlangten Maßnahmen zur Schuldenbekämpfung in Angriff zu nehmen. Unter internationalen Regierungen gilt er mittlerweile als bevorzugter Ansprechpartner. So hatte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel während des G-20-Gipfels in Cannes Napolitano konsultiert, um die wirtschaftliche Lage Italiens zu besprechen.

Dass Napolitano zum Vertrauensmann der internationalen Regierungen aufgestiegen ist, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Der 86-Jährige gehörte seit 1945 der Kommunistischen Partei an, die auf Druck der Nato-Mächte stets von der Regierung ausgeschlossen blieb, obwohl sie die größte italienische Partei war. Nun stützen sich EU und USA auf diesen alten stalinistischen Funktionär, um Italien auf die Einhaltung des Diktats der Finanzmärkte zu verpflichten.

Als Staatspräsident hat Napolitano weitgehend repräsentative Aufgaben. In Krisensituationen kommt ihm aber eine Schlüsselstellung zu, da er sowohl das Parlament auflösen wie einen Kandidaten seiner Wahl mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen kann.

In den vergangenen Tagen hat Napolitano die sofortige Auflösung des Parlaments als Drohung eingesetzt, um Unterstützung für eine Übergangsregierung zu gewinnen. Er weiß, dass die Parteien des Mitte-Links-Lagers – die aus der Kommunistischen Partei hervorgegangenen Demokraten und verschiedene christdemokratische Gruppierungen – Neuwahlen fürchten. Sie unterstützen massive Sparmaßnahmen, wollen sich aber nicht offen in einem Wahlkampf dafür rechtfertigen. Außerdem hätte ein Wahlkampf die Verzögerung der Sparmaßnahmen zur Folge.

Napolitano hat auch Mario Monti als Kopf einer Expertenregierung ins Spiel gebracht. Am Mittwoch ernannte er ihn zum Senator auf Lebenszeit, um ihn politisch zu stärken.

Der 68-jährige Monti ist international hervorragend vernetzt. Er war Vorsitzender des Brüsseler Think Tanks BRUEGEL und ist regelmäßiger Teilnehmer der Bilderberg-Konferenz, in deren Rahmen sich höchste Vertreter aus westeuropäischer und amerikanischer Politik, Finanz, Wirtschaft, Militär und Medien regelmäßig zu Konsultationen treffen.

Monti studierte unter anderem an der amerikanischen Universität Yale und lehrt an mehreren italienischen Universitäten Ökonomie. Als EU-Kommissar leitete er zwischen 1995 und 2004 zwei Schlüsselressorts – Binnenmarkt und Wettbewerb. Als Wettbewerbskommissar machte er sich durch ein Verfahren gegen den US-Konzern Microsoft und den deutschen Volkswagenkonzern einen Namen.

Ob Napolitano tatsächlich eine parlamentarische Mehrheit für eine Expertenregierung unter Monti gewinnt, ist bisher nicht klar. Die größte Oppositionspartei, die Demokraten, haben ihre Zustimmung signalisiert, ebenso mehrere kleinere Parteien der Mitte.

Berlusconis Partei PDL ist dagegen gespalten: Während einige Abgeordnete eine Übergangsregierung unterstützen, fordern andere Neuwahlen. Berlusconi selbst hat seinen Widerstand gegen eine Regierung Monti – zumindest offiziell – aufgegeben.

Gianfranco Fini, der Führer der Postfaschisten, hat Monti als „die richtige Persönlichkeit zur Lösung der Krise“ bezeichnet und Neuwahlen als „Sprung ins Ungewisse“ abgelehnt. Fini hatte seine Partei 2009 mit Berlusconis PDL verschmolzen, sich mit diesem aber seither wieder zerstritten.

Berlusconis Koalitionspartner Lega Nord hat sich gegen Monti ausgesprochen. Lega-Chef Umberto Bossi sagte: „Es ist schön wieder in der Opposition zu sein, und wir werden Opposition sein.“ Die rechtspopulistische Partei hofft offenbar, von der Empörung über die Sparmaßnahmen profitieren zu können.

Auch die Bürgerrechtspartei des ehemaligen Staatsanwalts Antonio di Pietro plädiert für baldige Neuwahlen.

Sogenannte Expertenregierungen hatte es in Italien schon in den 1990er Jahren gegeben. Nachdem das alte Parteiensystem in einem Sumpf von Korruptionsskandalen implodiert war, hatte Zentralbankchef Carlo Azeglio Ciampi 1993 für ein Jahr die Leitung einer solchen Regierung übernommen. Er wurde von Silvio Berlusconi abgelöst, der 1994 erstmals die Parlamentswahlen gewann. Doch die Regierung Berlusconi scheiterte nach wenigen Monaten am massiven Widerstand gegen ihre Einsparungen im Sozialbereich. Danach übernahm erneut eine Expertenregierung, diesmal unter Lamberto Dini, Ciampis Nachfolger an der Spitze der Zentralbank, für 16 Monate die Macht.

Sowohl die Regierung Ciampi wie die Regierung Dini wurden von der gesamten parlamentarischen Linken unterstützt, die sich dadurch massiv diskreditierte. Das schuf die Voraussetzungen, unter denen Berlusconi 2001 – und dann erneut 2008 – an die Macht zurückzukehren konnte.

Eine Regierung Monti hätte noch weit verheerendere Auswirkungen. Ohne selbst demokratisch legitimiert zu sein, würde sie mit Unterstützung der Mitte-Links-Parteien, der Gewerkschaften und von deren „linkem“ Umfeld das Diktat der internationalen Finanzmärkte umsetzen. Angesichts des gewaltigen Schuldenbergs des Landes – 1,9 Billionen Euro oder 120 Prozent des BIPs – ist dies nur durch eine ähnlich drastische Reduzierung des Lebensstandards breiter Bevölkerungsschichten möglich, wie sie bereits in Griechenland stattfindet.

Angesichts des zu erwartenden Widerstands wäre die Regierung Monti selbst hochgradig instabil. Sie wäre lediglich ein Übergangsstadium zu einer Regierung, die mit offen diktatorischen Maßnahmen gegen die Arbeiterklasse vorgeht.

Das führende europäische Wirtschaftsblatt Financial Times warnte in seinem Editorial vom Freitag, die Ernennung eines ungewählten Technokraten sei alles andere als ideal. Sowohl in Griechenland wie in Italien “wäre es ein fataler Fehler anzunehmen, eine Koalition der alten etablierten Elite unter Führung eines Technokraten werde eine Wunderlösung für tiefverwurzelte Probleme bieten. … Beide Regierungen werden einen Drahtseilakt zwischen der inneren Politik und der Glaubwürdigkeit gegenüber den Märkten vollziehen müssen“.

„Die neuen Führer müssen auch anerkennen, dass ohne Unterstützung im Volk nichts erreicht werden kann“, schließt die Financial Times. Doch woher soll „Unterstützung im Volk“ für eine Politik kommen, die die Lebensgrundlage breiter Bevölkerungsschichten zerstört? Hier kann nur eine offen rechte oder faschistische Bewegung gemeint sein. Die Gefahr einer Technokratenregierung, die von der gesamten offiziellen „Linken“ unterstützt wird, liegt darin, dass sie einen fruchtbaren Boden für eine solche Bewegung schafft.

Loading