Ed Miliband von der Labour Party entdeckt den “Raubtierkapitalismus”

Der Vorsitzende der britischen Labour Party, Ed Miliband, hat auf dem letzten Parteitag einen Angriff auf den “Raubtierkapitalismus” gewagt. Jetzt ist er wegen seiner Unfähigkeit, die Agenda des rechten Parteiflügels stärker voranzutreiben, in allen Teilen der Medien zunehmend ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Außerdem beklagen sie Milibands fehlendes Charisma und dass er in den Parlamentsdebatten eine Reihe nicht gerade überzeugender Beiträge abgeliefert hat.

Aber dabei handelt es sich nicht unbedingt um persönliche Schwächen. Zum Teil waren es Ed Milibands Selbstbewusstsein und seine Fähigkeit, sich auf der Suche nach fraktionsübergreifenden Partnern bei anderen einzuschmeicheln, die ihm im Kampf um die Führerschaft der Labour Party geholfen haben, den Sieg über seinen agressiveren Bruder David zu erringen.

Miliband steht vor der Schwierigkeit, einerseits eine Perspektive salonfähig zu machen, die das Großkapital diktiert, das der Arbeiterklasse brutale Sparmaßnahmen aufzwingen will, und dies gleichzeitig einer frustrierten Wählerschaft verkaufen zu müssen.

Viele Labour-Parlamentarier, Gewerkschaftsbosse und diverse kleinbürgerliche Intellektuelle haben sich das rechtspopulistische Konzept „Blue Labour“ aus der Feder von Maurice Glasman, zu Eigen gemacht. Sie hoffen, dass es ihnen hilft, eine soziale Basis und Unterstützung für eine Regierungskoalition zustande zu bringen – sollte die gegenwärtige Allianz aus Konservativen und Liberaldemokraten auseinander brechen –, um die wachsende, nach links tendierende Oppositionsbewegung in den Griff zu kriegen.

Beeindruckt von der Kritik hat Miliband einige Schlüsselaussagen gemacht, um seine zentrale Botschaft darzulegen. Die erste findet sich in einem am 6. November im Observer erschienenen Artikel mit der Überschrift. “Ed Miliband: Wirtschaft, Finanzen und Politik haben den Kontakt zu den Menschen verloren.”

“Dies ist eine beängstigende Zeit für Großbritannien”, schrieb er und führte die steigende Arbeitslosigkeit, die Inflation, den sinkendem Lebensstandard und die eskalierende Euro-Krise an. “Sie verschärfen den Eindruck, dass die Wirtschaft am Abgrund steht; die Regierung steht am Spielfeldrand, weigert sich zu helfen oder ist unfähig dazu.”

“Miliband beschwor seine Kritiker, die Bedeutung der entstanden Oppositionsbewegungen wie die Occupy London Demonstrationen vor der St. Pauls-Kathedrale “und Hunderte von ähnlichen Demonstrationen in Städten auf der ganzen Welt” nicht zu unterschätzen.

Wie auch immer ihre “vielfältigen und oft undurchführbaren Vorschläge” aussähen, sie seien Ausdruck “der Krise und Sorgen von Millionen Menschen über das größte Problem unserer Zeit: die Kluft zwischen ihren Werten und der Art und Weise, wie unser Land regiert wird .... Ich bin überzeugt, dass die Mainstream-Politik und insbesondere die Labour Party, eine Antwort auf diese Krise haben und dass sie an diesen Herausforderungen wachsen werden.”

Miliband erklärt der Bourgeoisie, dass sie ihre Politik nicht nur auf das bloße Zählen der numerische Größe der Protestbewegungen oder die scheinbare relativ geringe Anzahl der Ausfalltage durch Streiks stützen könne. Als jemand, der enge Verbindungen zu der Gewerkschaftsbürokratie hat, weiß er, dass die andauernde, internationale Wirtschaftskrise politische Auswirkungen hat und kennt ihren zersetzenden Einfluss auf den sozialen Frieden in Ländern wie Griechenland oder Italien. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass England selbst kurz vor einer gewaltigen sozialen Explosion steht.

Er läutet die Alarmglocken, weil sich in der Arbeiterklasse eine revolutionäre Bewegung entwickeln könnte. Er warnt: “Viele von denen, die der höchsten Einkommensklasse angehören, üben große Macht aus, genießen enorme Privilegien – in London und anderswo – und tun dies tun mit Wertvorstellungen, die denjenigen fast aller Anderen widersprechen. Die Warnleuchten am Armaturenbrett blinken. Und nur die Leichtsinnigsten werden einfach die Warnsignale missachten.”

Das ist der Grund, weshalb Miliband einen “gefühllosen” und “räuberischen” Kapitalismus entdeckt hat, “der eher auf kurze Sicht ausgerichtet ist, anstatt auf produktives, verantwortliches Handeln, das der Wirtschaft und der Bevölkerungsmehrheit langfristig dient.”

Unter Hinweis auf die Gewinne der Banken und Energieunternehmen sowie eine fünfzigprozentige Lohnerhöhung für Spitzenmanager, fuhr er fort: “Die Leute fühlen sich im Stich gelassen, wenn es um Wirtschaft, Finanzen und Politik geht, die in enger Verbindung zum reichsten Prozent zu stehen scheinen – aber sich von der Realität, vor der die anderen neunundneunzig Prozent stehen, sehr weit entfernt haben. Sie fragen sich, ob es auch anders geht – und ob eine andere Politik etwas bewirken kann.”

Das wirft die Frage auf: Wo war Miliband in den letzten zehn Jahren und davor, als die von ihm unterstützten Labour-Regierungen die wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen durchgesetzt haben, durch die eine so große soziale Kluft in England entstanden ist? Er arbeitete in Gordon Browns Finanzministerium, in Tony Blairs Regierung, bis Brown 2007 Premierminister wurde. Brown ernannte ihn zum Minister für das Cabinet Office [dem Kanzleramtsminister in Deutschland vergleichbar], später zum Kanzler des Herzogtums Lancaster, bevor er ihn schließlich zum Minister für Energie und Klimawandel machte. Er ist einer von denen, die direkt für die Entwicklung der Haushaltspolitik verantwortlich ist, die zu der gegenwärtigen Situation geführt hat.

Die Bewegung Occupy Wall Street ist der erste Ausdruck einer entstehenden, linksgerichteten und internationalistischen Bewegung gegen die kapitalistische Ausbeutung. Allerdings ist der Slogan “antikapitalistisch” nicht aus sich selbst heraus mit „sozialistisch“ gleichzusetzen. Er bedeutet auch nicht immer eine linke Strömung. Rechtsextreme Bewegungen haben oft Zuflucht zu einer Rhetorik und Slogans genommen, die sich “gegen das Großkapital” richtet und sie als Mittel benutzt, um die soziale Unzufriedenheit in reaktionäre Bahnen zu lenken. Milibands Bemühungen sind Ausdruck einer derartigen Denkrichtung.

Zwischen dem superreichen einem Prozent und den darbenden neunundneunzig Prozent besteht nicht einfach eine Lücke. Es gibt dazwischen sehr wohlhabende soziale Schichten, auf die sich das oberste eine Prozent immer verlassen konnte, und deren innige Hoffnung es ist, eines Tages selbst in die erste Liga der Superreichen aufzusteigen – so wie ihr ehemaliger Führer und politisches Idol Tony Blair. Das ist der Grund, weshalb die Gewerkschaftsbürokraten, mit ihren dicken Gehältern und Aktiendepots, jeden Arbeitskampf verraten, den die Arbeiter führen.

Die Statistiken zur Einkommensungleichheit auf der Poverty Site zeigen, dass im letzten Jahrzehnt die ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung nach Abzug der Miete ein Sinken ihres Realeinkommens hinnehmen mussten. Im Gegensatz dazu hat das reichste Zehntel der Bevölkerung eine viel größere proportionale Einkommenssteigerung als jede andere Gruppe erfahren. Aktuell entfallen auf das ärmste Zehntel der Bevölkerung 1,3 Prozent des Gesamteinkommens des Landes und auf das zweitärmste Zehntel vier Prozent des Gesamteinkommens. Im Gegensatz dazu entfallen auf das reichste Zehntel einunddreißig und auf das zweitreichste Zehntel fünfzehn Prozent. Das Einkommen des reichsten Zehntels ist größer als das Einkommen aller Beteiligten mit einem unterdurchschnittlichem Einkommen (d.h. der unteren fünf Zehntel) zusammen.

Die Kluft zwischen den Klassen findet ihren Ausdruck in der stärker werdenden Opposition, die sich gegen die großen Parteien richtet und verantwortlich ist für die Stimmung gegen die immer größere soziale Ungleichheit in Großbritannien. Unter Bedingungen, unter denen die Gewerkschaftsbürokraten alle Arbeitskämpfe ausverkaufen konnten, hat sich dies vor allem durch Protestaktionen wie die Studentendemonstrationen und die Occupy Bewegung geäußert. Aber weil die tatsächliche soziale Kluft zwischen den Gewerkschaftsbossen und ihrer Mitgliedschaft immer größer geworden ist, ist ihr Einfluss auf die Arbeiter sehr schwach geworden.

Miliband wird von der Furcht getrieben, dass die Arbeiterklasse, wenn sie einmal aus den Fängen der Labour Party und der Gewerkschaftsbosse ausgebrochen ist, in eine Konfrontation mit der Kapitalistenklasse gehen könnte. Aber er hat sehr wenig vorzuweisen, womit er der Unzufriedenheit von Millionen Menschen mit der Labour Party begegnen könnte.

Er gibt zu, dass seine Ansicht darüber, wie die Reduzierung des britischen Haushaltsdefizits erreicht werden könnte, sich von den Plänen von Premierminister David Cameron nur durch die Geschwindigkeit unterscheidet, mit der die Schulden abgebaut werden sollen. “Wir wollen, dass das Defizit abgebaut wird”, schreibt er. “Eine Labour-Regierung würde maßvolle Einsparungen und Steuererhöhungen vornehmen.”

Milibands neu entdeckte oppositionelle Haltung gegen den “Raubtierkapitalismus” ist ein zynischer Trick, mit dem er zu vertuschen versucht, dass seine Partei sich immer schneller scharf nach rechts bewegt. Er beklagt, dass es “angesichts der höchsten Arbeitslosenquote seit siebzehn Jahren nicht genug Menschen in Arbeit gibt, die helfen, die Schulden zurückzuzahlen.”

Seine Antwort besteht darin, die zwanzig Prozent jungen Arbeitslosen in “neue Arbeitsplätze“ zu vermitteln. „Unser Sozialsystem muss geändert werden. Es darf nicht nur das Mitgefühl unseres Landes ausdrücken, sondern auch Werte wie harte Arbeit, soziale Wertschätzung und dass man etwas wiederbekommt, wenn man etwas gibt.”

Das eigentliche Ziel dabei ist, die Arbeitslosen in schlecht bezahlte und auch unbezahlte Arbeit zu treiben, dadurch die Tariferhöhungen im ganzen Land zu drücken, während die Wirtschaft riesige Gewinne macht. Schuldenabbau wird dadurch in so etwas wie eine “moralische Pflicht” verwandelt.

“Zur Tagesordnung überzugehen, ist keine Option. In jeder Generation kommt der Moment, wo die Art, wie die die Dinge geregelt werden, in Frage gestellt wird”, erklärt Miliband. “Wir können es nicht den Demonstranten überlassen, diese Debatte zu führen.”

Er schließt mit einem Versprechen: “Das ist der Grund, weshalb Labour fest entschlossen ist, in den kommenden Monaten und Jahren eine Koalition aufzubauen und zu führen, die die Wirtschaft und Zivilgesellschaft mit einschließt, um so die Voraussetzungen für eine verantwortungsvolle Wirtschaft, eine gerechtere Gesellschaft und eine gerechtere Welt zu schaffen.”

Am Donnerstag wandte sich Miliband an die Social Market Foundation und fasste diese Punkte in einem “Fünf-Punkte-Plan” zusammen, den er als “Schlag gegen die Wirtschaftsfreundlichkeit” bezeichnete. Dieser Plan enthält den Vorschlag, dass ein Arbeiter im Gehaltsausschuss der Unternehmen sitzt, um so das “Vertrauen” in die Bezahlung wieder herzustellen.

Die von ihm vorgeschlagene “Koalition” ist in Wahrheit eine Allianz der großen Konzerne mit Teilen der oberen Mittelschicht, der Gewerkschaftsbürokratie und offen rechtsgerichteten Kräften – Ein Beleg dafür ist Glasmans Forderung nach einer “Zusammenarbeit” mit der faschistischen English Defence League. Das ist es, was er gegen die Arbeiterklasse in Stellung zu bringen versucht.

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