Perspektive

Warum hielt sich Berlusconi zehn Jahre an der Macht?

Nach dem Rücktritt des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi haben zahlreiche Zeitungen eine vernichtende Bilanz seiner Amtszeit gezogen – darunter nicht wenige, die ihn viele Jahre unterstützt haben. Von „verlorenen 17 Jahren“ ist die Rede und von dem moralischen, politischen und wirtschaftlichen Schaden, den der Milliardär seinem Land zugefügt habe.

Doch eine Erklärung der Ursachen, warum Berlusconi drei Mal an der Spitze der italienischen Regierung gelangte und sich insgesamt zehn Jahre lang dort halten konnte, sucht man vergeblich. Stefan Kornelius verweist in der Süddeutschen Zeitung auf die Wähler, die einem Clown auf den Leim gegangen seien und „das Bedürfnis nach Zerstreuung und Vereinfachung“ empfänden, wo „Politik anstrengend und kompliziert“ werde.

Eine solche Erklärung ist nicht nur billig, sondern auch politisch opportun. Sie eignet sich gut zur Rechtfertigung der neuen Regierung unter Mario Monti, einer Expertenregierung, die demokratisch nicht legitimiert ist, sich auf den Staatsapparat und die etablierten Parteien stützt und dem „zerstreuungssüchtigen Publikum“ (Kornelius) den Willen der Finanzmärkte aufzwingt.

Die Beschimpfung der Wähler kann Berlusconis Karriere nicht erklären. Eine weit wichtigere Rolle spielte die Unterstützung, die er aus der italienischen Wirtschaft und der internationalen Politik erhielt. So gehörten der russische Präsident Wladimir Putin und der britische Premier Tony Blair zu seinen engsten Freunden. Die CDU Helmut Kohls und Angela Merkels verhalf seiner Forza Italia zur Mitgliedschaft in der Europäischen Volkspartei. Auch Berlusconis Medienmacht und eine beachtliche Menge an krimineller Energie trugen zu seinen politischen Erfolgen bei.

Doch der wichtigste Grund für Berlusconis Aufstieg war die Ohnmacht, die Feigheit, das Versagen und der ständige Verrat der angeblichen politischen Opposition. Kaum ein anderes europäisches Land hat in den letzten zwanzig Jahren so viele politische Erschütterungen und Massenproteste erlebt wie Italien. Doch die „linken“ Parteien und die Gewerkschaften haben jedes Mal dafür gesorgt, dass die Lage unter Kontrolle und Berlusconi an der Macht blieb.

1992 versanken die Parteien, die Italien ein halbes Jahrhundert lang regiert hatten, in einem Strudel der Korruption. Rund 3.000 Spitzenvertreter aus Wirtschaft und Politik saßen in Untersuchungshaft. Die Christdemokraten zerbrachen, die Sozialisten lösten sich auf und ihr Führer Bettino Craxi floh aus dem Land.

Doch die Kommunistische Partei, die als einzige nicht in den Skandal verstrickt war, hatte sich schon 1990 scharf nach rechts gewandt, dem Kommunismus abgeschworen und ihren Namen in Linksdemokraten geändert. 1993, auf dem Höhepunkt der politischen Krise, beteiligte sie sich dann zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wieder an einer Regierung – einer Expertenregierung unter dem ehemaligen Notenbankchef Carlo Azeglio Ciampi, der auch die diskreditierten Christdemokraten und Sozialisten angehörten.

Das Bündnis der ehemaligen Kommunisten mit den untergehenden Parteien schuf die Voraussetzung für den Aufstieg Berlusconis. Der Bau- und Medienunternehmer, der wie kein anderer von der Korruption profitiert hatte, ging als Sieger aus dem größten Korruptionsskandal der italienischen Geschichte hervor. Berlusconis Partei Forza Italia, die nichts weiter als ein Flügel seines Medien- und Wirtschaftsimperiums war, gewann 1994 die Parlamentswahl. Gemeinsam mit dem faschistischen Movimento Sociale Italiano und der ausländerfeindlichen Lega Nord bildete Berlusconi seine erste Regierung.

Berlusconi hatte die Rechnung allerdings ohne die italienische Arbeiterklasse gemacht. Als er, seinem Vorbild Margaret Thatcher folgend, zum Sturm auf die italienischen Sozialsysteme blies, legten Millionen das Land lahm. Seine Koalition brach auseinander und Berlusconi musste nach sieben Monaten zurücktreten.

Nun unterstützten die Linksdemokraten erneut eine Expertenregierung, diesmal unter Lamberto Dini, der wie Ciampi einige Jahre die Zentralbank geleitet und dann Berlusconi als Finanzminister gedient hatte. Nach erneuten Wahlen im Jahr 1996 wurden die Linksdemokraten zur wichtigsten Stütze der Mitte-Links-Regierung von Romano Prodi, einem Wirtschaftsexperten und früheren Christdemokraten. Die Regierung Prodi verfolgte einen Kurs der strikten Haushaltskonsolidierung und führte in Italien den Euro ein.

In dieser Zeit fiel der Partei Rifondazione Comunista eine wachsende Bedeutung zu. Sie war 1990 wie die Linksdemokraten aus der Kommunistischen Partei hervorgegangen, hatte aber den Begriff „kommunistisch“ im Namen behalten. Sie wurde zu einem Sammelbecken für zahlreiche linke kleinbürgerliche Gruppierungen, die Rifondazione überall in Europa als Modell für eine linke Partei der Zukunft darstellten.

Unter den Bedingungen einer wachsenden sozialen Radikalisierung gewann Rifondazione an Einfluss. 1996 erhielt sie 8 Prozent der Wählerstimmen. Doch ihre Abgeordneten stellten sich in den Dienst der Regierung Dini und der Regierung Prodi, denen sie im Parlament zur Mehrheit verhalfen. Erst 1998, als die wachsende soziale Opposition dem Einfluss von Rifondazione zu entgleiten drohte, versagte sie Prodi die Unterstützung. Dieser trat zurück und der Linksdemokrat Massimo d’Alema übernahm die Führung der Regierung.

Fünf Jahre Sparpolitik unter Prodi und d‘Alema ebneten Berlusconi schließlich den Weg zurück an die Macht. 2001 gewann er die Parlamentswahl und blieb erstmals für eine ganze fünfjährige Legislaturperiode an der Regierung. Erneut gab es Massenproteste – unter anderem gingen in Rom 2003 drei Millionen gegen den Irakkrieg auf die Straße –, aber Rifondazione und die Gewerkschaften sorgten dafür, dass sie keine Gefahr für die Regierung darstellten.

2006 war Berlusconi scheinbar erledigt. Er verlor die Wahl deutlich und Romano Prodi übernahm erneut die Führung einer Regierung, deren wichtigste Stütze die Linksdemokraten waren. Rifondazione stimmte diesmal nicht nur im Parlament für Prodi, sondern trat der Regierung mit einem eigenen Minister bei.

Die zweite Regierung Prodi ging noch heftiger gegen die Arbeiterklasse vor als die erste. Sie setzte massive Kürzungen bei den Renten durch, setzte den Afghanistankrieg fort und baute gegen massiven öffentlichen Widerstand eine amerikanische Militärbasis aus. Nach zwei Jahren war sie derart unpopulär, dass Berlusconi die vorgezogenen Neuwahlen gewann und ein drittes Mal an die Macht zurückkehrte.

Nun scheint sich all das zu wiederholen. Berlusconi ist politisch diskreditiert und von den internationalen Finanzmärkten und den italienischen Wirtschaftsverbänden zum Rücktritt gedrängt worden, weil er nicht radikal genug sparte. Die Linksdemokraten, die sich mittlerweile Demokraten nennen, die Gewerkschaften und ihr Umfeld sind erneut fest entschlossen, eine Expertenregierung zu unterstützen, die Renten, Löhne, Sozialausgaben und staatliche Leistungen drastisch senkt.

Der politische Bankrott dieser Organisationen ist derart offensichtlich, dass er selbst von ihren führenden Vertretern eingestanden wird. Laut Nichi Vendola, lange Zeit ein führendes Mitglied von Rifondazione und mittlerweile Präsident der Region Apulien, befindet die italienische Linke in einer „offenbar ausweglosen Krise“, die sich auch in einem „Mangel an Ideen, Visionen und neuen Politikformen“ manifestiere. Das Ergebnis sei „die völlige politische Lähmung“.

Diesmal droht nicht nur die Gefahr einer Rückkehr von Berlusconi. Die sozialen Angriffe, welche die Regierung Monti unter den Bedingungen der größten internationalen Wirtschaftskrise seit den dreißiger Jahren plant, setzen heftige Klassenkämpfe auf die Tagesordnung. Die Regierung Monti, die sich auf den Staatsapparat und eine wacklige Mehrheit im Parlament stützt, ist hochgradig instabil. Wenn die Arbeiterklasse nicht die Initiative ergreift, wird sie einem offen diktatorischen Regime weichen.

Ohne die Krise der politischen Führung zu lösen und auf der Grundlage eines internationalen, sozialistischen Programms eine neue politische Partei aufzubauen, können die Arbeiter Italiens und Europas keine soziale Errungenschaften und kein politisches Rechte verteidigen. Dazu müssen sie die Lehren aus dem Bankrott und dem Niedergang der alten Parteien und der Gewerkschaften ziehen.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die World Socialist Web Site haben stets vor der Rolle dieser alten Organisationen gewarnt. Als andere Rifondazione bejubelten und als Vorbild für ganz Europa darstellten, hatten wir sie bekämpft und ihre reaktionäre Rolle aufgezeigt. Nun ist es an der Zeit, Sektionen des Internationalen Komitees in Italien und ganz Europa aufzubauen.

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