Schottisches Unabhängigkeits-Referendum erzeugt Spannungen

Über das geplante Referendums über die Unabhängigkeit Schottlands sind hitzige Auseinandersetzungen entbrannt. Der ehemalige Außenminister Michael Forsyth und jetzige Lord Forsyth behauptete kürzlich im Parlament, der Vorsitzende der Schottischen Nationalen Partei (SNP) und der schottische Premierminister Alex Salmond drohten mit der Sabotage einer entsprechenden, von der britischen Regierung veranlassten Abstimmung.

Diese Behauptung wird nach dem Wahlsieg der SNP im Mai dieses Jahres erhoben, nachdem diese erstmals im für Schottland zuständigen Parlament in Holyrood eine Mehrheit erreichte. Der separatistischen Partei ist es gelungen, die verbreitete Ablehnung gegenüber der Labour-Partei, die lange die größte Partei in Schottland war, für sich zu nutzen. Die SNP konnte sich so als progressive Alternative darstellen.

Die SNP ist eine rechte Partei der schottischen Wirtschaftselite. In der Regierung hat die SNP, ähnlich den in Nordirland und Wales in die Verantwortung gekommenen regionalen Regierungen, die Kürzungen forciert, die von der Londoner Regierung aus Konservativen und Liberaldemokraten verlangt wurden. Der Haushaltsplan der SNP für 2011-2012 enthält Ausgabenkürzungen von sieben Prozent in einem Jahr als Teil einer realen 12,3-prozentigen Kürzung bis 2015.

Trotzdem versucht die Partei von ihrer eigenen Rolle bei den Kürzungen abzulenken, indem sie behauptet, London sei für die Vorgaben verantwortlich. Dabei wird sie von kleinbürgerlichen ex-linken Organisationen, wie der Schottischen Sozialistischen Partei (SSP) unterstützt, die für die spalterische Perspektive der Sezession Schottlands ist.

Infolgedessen nahm die Unterstützung für die Unabhängigkeit zu, die über lange Jahre stabil bei 30 Prozent gelegen hatte. Eine neuere Umfrage, die allerdings nur einen geringen Umfang hatte, ergab in ganz Großbritannien 39 Prozent und in Scottland 49 Prozent Befürwortung für eine Abspaltung.

Das ist der Kontext des Streits über das Referendum. Niemand stellt mehr in Frage, ob die SNP berechtigt ist, ein Referendum durchzuführen, obwohl mit dem „Scotland Act“ von 1998, der die Trennung ermöglichte, dieses Recht allein der britischen Regierung zugestanden wurde.

2008 wurde die damalige schottische Labour-Vorsitzende Wendy Alexander zum Rücktritt gezwungen, weil sie, von der Minderheitsregierung der SNP eine Abstimmung über die Unabhängigkeit gefordert hatte. Alexander wollte damit die nur begrenzte Unterstützung unter breiten Bevölkerungsschichten für eine Abspaltung aufzeigen und forderte die SNP auf, „Klarheit zu schaffen.“

Auf Veranlassung des damaligen britischen Premierministers Gordon Brown wurde Alexander umgehend als schottische Labour-Vorsitzende fallengelassen. Dass sich Alexander das Recht herausnahm, eine Wählerbefragung zu fordern, war für Brown und Labour Grund genug, ihr den Laufpass zu geben.

2011 jedoch tauchten bei Browns Nachfolger in der Downing Street keine derartigen Bedenken mehr auf. Sofort nach Salmonds Wahlsieg ließ ihn Tory-Premier David Cameron wissen, dass die neue Regierung in London einer von der SNP initiierten Abstimmung keine Steine in den Weg legen würde. Auf einer kürzlich abgehaltenen SNP-Konferenz teilte Salmond mit, er habe die Absicht, den Antrag auf einen „Rechtsanspruch“ im schottischen Parlament einzubringen, der Holyroods Recht auf Durchführung einer Abstimmung bestätigen soll.

Cameron und Salmond streiten allerdings weiter über Zeitpunkt und Formulierung. Vor kurzem bekräftigte Salmond bei einer Konferenz seinen Standpunkt, dass die Abstimmung auf einen späteren Zeitpunkt der Sitzungsperiode des schottischen Parlaments gelegt werden sollte, etwa 2015. Er rechnet damit, dass dann die Regierung Cameron auf noch umfassendere Ablehnung stößt, die SNP sich dagegen, getragen von Ex-Linken und dem Barnett-Prinzip, nach dem die öffentlichen Ausgaben in Schottland auf einem etwas höheren Niveau bleiben werden als in England, als linke Alternative zu den Tories präsentieren kann. Außerdem erhofft sich die SNP einen Vorteil aus der Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre.

Cameron, der genau denselben Standpunkt wie Wendy Alexander 2008 einnimmt, fordert von Salmond, die Abstimmung so schnell wie möglich durchzuführen, was er mit der Warnung verband, ein unsicheres Ergebnis könne die Investitionsfreude hemmen.

Anscheinend wurden auch die Implikationen der Durchführung einer rechtskräftigen Wahl durch die britische Regierung selbst diskutiert, bevor die SNP ihre eigene, konsultative, durchführt.

Teile der Tory-Partei in Schottland hoffen, den Zug in Richtung Unabhängigkeit zum Entgleisen bringen zu können und fordern die baldmöglichste Durchführung einer Wahl zwischen „ja“ oder „nein“. Sollte die Mehrheit gegen die Trennung stimmen, solle es beim Status Quo bleiben.

Darauf reagierte Salmond auf einer SNP-Konferenz, und stimmte den Ton der Referendum-Kampagne an. Er rief aus: „Die Tage, wo die Politiker in Westminster Schottland vorgaben, was es zu tun habe und was es zu denken habe, sind vorbei.“

Sein Auftritt kann als Drohung verstanden werden, seine nationalistischen Phrasen in praktischere Schritte umzusetzen. Dem Daily Telegraph zufolge erfuhr der ehemalige schottische Tory-Minister Michael Forsyth aus „Regierungsquellen“, dass Salmond dem britischen Kanzler George Osborne persönlich mitgeteilt habe, dass die SNP-Regierung sich weigern würde, einem von Westminster organisierten Wahlgang Polizeischutz und die Unterstützung der Staatsorgane anzubieten.

Forsyth wiederholte diese Behauptung im Oberhaus. Er fuhr dann fort: „Alex Salmond weiß ganz genau, dass das schottische Parlament nicht wirklich und legal ein Referendum über die schottische Unabhängigkeit oder sonst eine verfassungsrechtliche Frage bezüglich der Union organisieren kann. Das bleibt Westminster vorbehalten.“

Salmond leugnete, etwas über eine Infragestellung der Wahl zu wissen und erwiderte: „Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat keinerlei Mandat zur Frage des Referendums, und auch wenn Lord Forsyth sich das noch so sehr wünscht, ändert das daran nichts.“

Die SNP ließ wissen, ihr Entwurf für das Referendum enthielte eine dritte Option, die „maximale Dezentralisierung“, die Edinburg die Erhebung fast aller Steuern, die Berechtigung zur Kreditaufnahme und Festsetzung der Ausgaben überträgt, und Westminster nur noch Verteidigung und Außenpolitik überlässt.

Früher hätten Salmonds angebliche Drohungen einen politischen Eklat verursacht und wären zum Gegenstand eines akribischen Untersuchungsverfahrens gemacht geworden, da sie eine offene Herausforderung der Autorität Westminsters darstellen und eine äußerst bedeutsame Frage für die Zukunft des 304 Jahre alten Vereinigten Königreichs betreffen.

Heute scheinen sich jedoch nur Forsyth und der ehemalige Abgeordnete und Historiker Lord Cormack daran zu stören. Beide stehen jedoch ziemlich ausgegrenzt am rechten Flügel der Tories. Cormak verglich Salmond mit Ian Smith, der die Unabhängigkeit Rhodesiens vom Vereinten Königreich erklärte, und mit seinem Nachfolger Robert Mugabe.

Cameron erwähnte die Angelegenheit dagegen nicht. Anlässlich der Wahl von Ruth Davidson zur neuen Vorsitzenden der Tories in Schottland forderte er Alex Salmond nur auf, „ein Datum zu benennen, und sich über die Formulierung der Frage zu einigen.“

Auch die mediale Berichterstattung über die Auseinandersetzung blieb sehr zurückhaltend; nur der Daily Telegraph und die schottische Presse verfolgten sie sehr aufmerksam. Hinter dem Desinteresse der Medien stecken die von SNP und Tories verfolgten Klasseninteressen, nach denen die Förderung der Unabhängigkeit Schottlands als wertvoller Hebel gegen die Arbeiterklasse aufgefasst wird.

Für Cameron und Labour, wie auch für die Tories in England ist der Verweis auf das überfinanzierte „herumjammernde“ Schottland, das die Staatsausgaben absaugt, ein nützlicher Trick, wenn im Vereinten Königreich Ausgabenkürzungen durchgesetzt werden sollen.

Für Salmond und große Teile der schottischen politischen Führungsschicht ist der Angriff auf die Londoner Tories in allen politischen Fragen das Standardrepertoire und ermöglicht ihnen, ihre eigenen Klasseninteressen zu verbergen. Anfang 2011 griff Salmond den Obersten Gerichtshof des Vereinten Königreichs wegen angeblicher Einmischung in das schottische Rechtssystem an, während die SNP kürzlich in einen Streit mit Labours Ian Davidson verwickelt war, bei dem es um die Rolle des Ausschusses für Schottische Angelegenheiten ging sowie seine Berechtigung, SNP-Vorlagen zu prüfen.

London und Edinburg betrachten die zunehmende Dezentralisierung der Zuständigkeiten für Steuersenkungen als einen Versuch, der erfolgreich, auch zur weiteren Senkung von Unternehmenssteuern und Staatsausgaben auch in Wales und Nordirland imitiert werden kann. Es wird in Kauf genommen, dass dies viele komplizierte und möglicherweise explosive Kontroversen über die Verteilung von Mitteln, Schulden, Ausgaben und sogar der Streitkräfte nach sich ziehen kann, insbesondere wenn Schottland seine Unabhängigkeit durchsetzt. In offiziellen Kreisen setzt sich aber die Auffassung durch, dass diese Probleme gemanagt und notfalls manipuliert werden müssen und nicht unbedingt umgangen werden müssen.

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