Die australischen Pseudolinken und der Verrat an den Krankenschwestern in Victoria

Ein entlarvender Zwischenfall jüngst vor einer Belegschaftsversammlung von Krankenschwestern in Melbourne beleuchtete krass den Klassenunterschied zwischen der Socialist Equality Party auf der einen und der Socialist Alliance und den anderen pseudolinken Organisationen auf der anderen Seite.

An der Versammlung am 2. Dezember nahmen mehrere Mitglieder der Socialist Alternative (SAlt) offenbar mit dem ausdrücklichen Ziel teil, eine Provokation gegen die Socialist Equality Party (SEP) zu organisieren. Sie wollten Mitglieder und Sympathisanten der SEP daran hindern, mit den Krankenschwestern zu sprechen und Flugblätter an sie zu verteilen. Besonders ein gewisser Eric Le Roy, der mehrere Artikel für das Magazin und die Web Site von Socialist Alternative über den Streik der Krankenschwestern geschrieben hat, wurde geradezu hysterisch und riss einem Verteiler der SEP 200 Flugblätter (“The Australian trade unions and the betrayal of the Victorian nurses’ struggle”) aus der Hand. Er kreischte, die SEP habe „kein Recht, hier zu sein“, und schrie plötzlich: „Sektierer, Sektierer“.

Dieses ungewöhnliche Verhalten zeigt vor allem, dass die SAlt eine Situation verzweifelt zu verhindern versucht, in der die Arbeiter ihre Löhne und Arbeitsbedingungen unabhängig vom Gewerkschaftsapparat verteidigen. Der Versuch der SAlt, die Verteilung des SEP-Flugblatts zu unterbinden, ist der Versuch, die Autorität der Australian Nursing Federation (ANF) genau in dem Moment zu stärken, in dem die Gewerkschaft den Kampf der Krankenschwester bewusst abwürgt. Salt will verhindern, dass eine unabhängige Bewegung der Krankenschwestern und anderer Arbeiter entsteht, die sich gegen die liberale Landesregierung und die von der Labor Party gestellte Bundesregierung richtet.

Die Krankenschwestern im öffentlichen Dienst in Victoria werden von der liberalen Landesregierung angegriffen. Premierminister Ted Baillieu plant, die Ausgaben für Krankenhäuser zu senken, indem er das vorgeschriebene Verhältnis von Beschäftigtenzahl zu Patientenzahl relativiert und versucht, so genannte Flexibilisierungs- und Produktivitätsmaßnahmen einzuführen und Reallohnsenkungen durchzusetzen. Die brutale Kürzungspolitik, denen die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst in Europa und den USA ausgesetzt sind, wird jetzt auch gegen ihre australischen Kollegen aufgefahren. Landesregierungen und Bundesregierung sind entschlossen, Schulden durch den Abbau von Arbeitsplätzen, Löhnen und Arbeitsbedingungen zu reduzieren.

Die nationale Labor-Regierung von Ministerpräsidentin Julia Gillard spielt in diesem Arbeitskampf eine Schlüsselrolle. Sie brachte ihre drakonischen Arbeitsgesetze namens „Fair Work Australia“ ins Spiel, um eine beispiellose Aussperrung von Pflegepersonal vorzubereiten. Fair Work Australia (FWA) wurde auch eingesetzt, um Arbeitskampfmaßnahmen von Krankenschwestern zu unterbinden, die zur Stilllegung von einigen Krankenhausbetten geführt hätten.

Nur drei Wochen, bevor Erlasse gegen die Krankenschwestern herausgegeben wurden, hatte Fair Work Australia auch bei Qantas Arbeitskampfmaßnahmen dauerhaft untersagt, nachdem das Management den Betrieb der Airline in einer beispiellosen Aktion eingestellt hatte. Das Streikverbot sollte die Beschäftigten der Airline daran hindern, ihre Arbeitsplätze gegen die Restrukturierungspläne der Gesellschaft zu verteidigen, die beinhalteten, ihre Operationen in Billiglohnländer Asiens zu verlagern. Die Gewerkschaften begrüßten das Eingreifen von Fair Work enthusiastisch, obwohl dies dem Zweck diente, der gesamten Arbeiterklasse eine Lehre zu erteilen und klar zu machen, dass kein Widerstand gegen das wirtschaftsfreundliche Umstrukturierungsprogramm zugelassen werde.

Umso bemerkenswerter war die Entscheidung des Pflegepersonals, sich über das Verbot ihrer Arbeitskampfmaßnahmen von Fair Work hinwegzusetzen und hohe Geldstrafen und Gefängnis zu riskieren. Dies war eine direkte Herausforderung an die reaktionäre Agenda der Wirtschaftselite, der Labor-Regierung und der Gewerkschaften. Die Führung der Australian Nursing Federation (ANF) richtete ihre Tätigkeit von Anfang an darauf aus, den Kampf der Krankenschwestern zu demobilisieren und abzulenken. An jedem Punkt wurde sie dabei von Socialist Alternative unterstützt. SAlt ist eine staatskapitalistische Gruppierung mit Verbindungen zur amerikanischen International Socialist Organisation.

Anfänglich hängte sich die ANF an die Entscheidung des Pflegepersonals an, setzte sich über Fair Work Australia hinweg und ließ an den Krankenhäusern weitere Aktionen zu. SAlt erklärte daraufhin am 17. November begeistert, während die Regierung entschlossen sei, die Arbeitsbedingungen der Krankenschwestern zu zerstören, habe die Gewerkschaft ihr und ihrem ungerechten Fair-Work-Gesetz „eine Ohrfeige versetzt“. In einem anderen Artikel jubelte SAlt, das Vorgehen der ANF werde möglicherweise der Auftakt zu einer neuen Ära von „klassenkämpferischem Gewerkschaftertum“ werden. Sie erläuterte: „Die ANF hat jetzt die reale Chance, die Führung der Arbeiterbewegung im Kampf gegen diese Antigewerkschaftsgesetze zu übernehmen und anderen Gewerkschaften zu zeigen, dass Gesetze gebrochen werden müssen, um Arbeiterrechte zu erringen.“

In Wirklichkeit stellte die ANF das Fair-Work-Regelwerk keineswegs in Frage, sondern berief sich auf ein juristisches Schlupfloch in den ersten beiden Erlassen gegen Arbeitskampfmaßnahmen. Dies bedeute, so SAlt, dass die Erlasse des Arbeitsgerichts sich lediglich auf offizielle Gewerkschaftsvertreter bezögen, aber nicht auf einfache Krankenschwestern und –pfleger.

Dieses juristische Manöver verschaffte der Gewerkschaftsführung etwas Zeit, um ihren Verrat an den Krankenschwestern vorzubereiten. SAlt verschleierte die Anzeichen bewusst, die auf das hindeuteten, was die ANF wirklich vorbereitete. Die pseudolinke Gruppe ließ aus ihren Berichten über den Arbeitskampf schlicht alle an die Landesregierung gerichteten Friedensangebote der ANF-Vorsitzenden von Victoria, Lisa Fitzpatrick, aus. Darunter befand sich auch ein Vorschlag, sofort alle Aktionen an den Krankenhäusern zu beenden. Genauso ließ der Bericht von SAlt über die Kundgebung der Krankenschwestern vom 24. November im Zentrum von Melbourne einige unpassende politische Fakten einfach weg. Der Bericht erwähnte nicht die Entscheidung der ANF, dem Landesvorsitzenden der Labor Party, Daniel Andrews, eine Plattform zu bieten. Dieser hatte 2007 als Gesundheitsminister in der vorigen Labor-Landesregierung das Gesetz über WorkChoices gegen die Krankenschwestern eingesetzt, als diese gegen den Versuch Labors kämpften, das Pfleger-Patienten-Verhältnis zu kippen. Dass die ANF Andrews fördert, gehört zu ihrem Plan, den Kampf der Krankenschwestern für einen Wahlsieg Labors 2014 einzuspannen.

Am Tag nach der Kundgebung wies die ANF die Krankenschwestern an, alle Arbeitskampfmaßnahmen entsprechend den Anordnungen von Fair Work Australia zu beenden, ohne dass die Regierung irgendwelche Zugeständnisse gemacht hätte. Die Entscheidung der Gewerkschaft setzte sich über die Resolution der Mitgliederversammlung des Pflegepersonals hinweg, ihren Kampf solange weiterzuführen, bis die Regierung nachgibt.

SAlt reagierte auf diesen Verrat, indem sie ihre bisherige regelmäßige Berichterstattung über den Arbeitskampf einstellte. Die letzten Ereignisse wurden erst wieder in einem Artikel von Tom Bramble am 1. Dezember mit dem Titel „Warum Fair Work Australia ein Werkzeug der Bosse ist“ angesprochen. Bramble unternahm einen durchsichtigen Versuch, der ANF-Bürokratie ein Alibi zu liefern. Der Artikel erwähnte ganz nebenbei: „Die Krankenschwestern in Viktoria sind mit den Antistreikgesetzen der Labor-Regierung in Konflikt geraten“.

Erst elf Tage, nachdem die ANF den Arbeitskampf abgewürgt hatte, widmete SAlt dem Thema am 6. Dezember einen Artikel unter der Überschrift „Kampf der Krankenschwestern in Viktoria erleidet Rückschlag“. Der Autor, Eric Le Roy, bezeichnete das Vorgehen der Bürokratie lediglich als „Nachgeben“, das zu einem „Zurückfahren des Kampfes“ geführt habe. Er erklärte, der Kampf des Pflegepersonals sei zu wenig militant gewesen sei – und das, obwohl 4.000 Krankenschwestern und –pfleger auf einer Belegschaftsversammlung am 21. November einstimmig beschlossen hatten, den illegalisierten Arbeitskampf fortzusetzen. Daher: „Als die FWA am 25. November ihre dritte Anweisung erließ, war der Boden dafür bereitet, dass Gewerkschaftsvertreter den Kampf zurückfahren konnten.“

Der Artikel schloss: “Um unsere Kraft und unser Selbstbewusstsein wiederzugewinnen, müssen wir eine starke Basisorganisation schaffen, die sich gegen die Regierung und die Bosse stellen kann, wenn – und zwar besonders, wenn – die Gewerkschaft das nicht will.”

Mit anderen Worten sollen Krankenschwestern und andere Arbeiter aus diesem unverhüllten Ausverkauf keinerlei Lehren ziehen. Wenn irgendjemand dafür verantwortlich ist, dann sollen das die Krankenschwestern selbst sein, weil sie nicht genug Druck auf die Gewerkschaftsbürokraten ausgeübt haben und dadurch „den Weg dafür bereitet haben“, den Streik zu unterdrücken.

Die ANF berief für den 2. Dezember eine Belegschaftsversammlung der Krankenschwestern ein, um ihre Entscheidung, sich dem Spruch von Fair Work Australia zu unterwerfen, absegnen zu lassen. Die Bürokratie fürchtete ohne Zweifel die Entstehung von Widerstand an der Basis. Auf sozialen Netzen hatte sich im Vorfeld der Versammlung schon beträchtlicher Unmut und Widerstand artikuliert. Dann verlegte die Gewerkschaft die Versammlung noch einmal kurzfristig, womit sie erreichte, dass nur halb so viele Krankenschwestern wie vorher teilnahmen. An der vorherigen Belegschaftsversammlung war die Entscheidung getroffen worden, den „illegalen“ Streik fortzusetzen. Die ANF versuchte die Teilnehmer mit der Aussicht auf einen reaktionären Schiedsspruch der FWA einzuschüchtern. Auf die Weise gelang es ihr, eine Mehrheit für ihren Vorschlag zu erreichen, Alibi-„Stadtteilkundgebungen“ vor staatlichen Krankenhäusern durchzuführen.

Der Beitrag von Socialist Alternative zu den Manövern der ANF gegen die Krankenschwestern bestand in der Provokation, die sie vor dieser Versammlung gegen die Socialist Equality Party organisierte. In dem Flugblatt, das SAlt nicht an die Krankenschwestern verteilt sehen wollte, heiß es, dass nicht ein einziger Schritt vorwärts möglich sei, ohne mit der ANF zu brechen und neue Organisationsformen zu entwickeln, zum Beispiel Basiskomitees in allen Krankenhäusern. Diese müssten Verbindung mit anderen Teilen der Arbeiterklasse aufnehmen, um einen politischen Kampf und Arbeitskämpfe gegen die Regierungen von Baillieu und Gillard aufzunehmen.

Die Verwandlung der Rolle der Gewerkschaften in den letzten dreißig Jahren ist die Folge der weitreichenden Bedeutung der Globalisierung der Produktion, die das Todesglöckchen für alle nationalen Programme und Organisationen geläutet hat. Die Gewerkschaften sind in keinem Sinne mehr wirkliche Arbeiterorganisationen. Sie arbeiten in aller Welt Hand in Hand mit Unternehmern und Regierungen, um „die internationale Wettbewerbsfähigkeit“ zu steigern, den Klassenkampf zu unterdrücken, die Löhne zu senken, Arbeitsbedingungen zu verschlechtern und Arbeitsplätze und ganze Industrien zu vernichten.

Was SAlt angeht, so ist die Anerkennung dieser Tatsachen “Sektierertum”. Die Gruppe geht davon aus, dass in den letzten Jahrzehnten hinsichtlich der Gewerkschaften oder der globalen Wirtschaft nichts von Bedeutung geschehen sei. Sie beharrt sogar darauf, dass die Globalisierung ein „Mythos“ sei. SAlt und die anderen pseudolinken Gruppen lehnen jede Bewegung der Arbeiterklasse entschieden ab, die sich unabhängig von dem alten, von Würmern zerfressenen Gewerkschaftsapparat entwickelt. Sie halten unerschütterlich daran fest, dass die Gewerkschaften nach wie vor die legitimen und unangreifbaren Organisationen der Arbeiterklasse seien.

Die ex-pablistische Socialist Alliance hat jedes einzelne Manöver der ANF noch vorbehaltloser verteidigt. In der Green Left Weekly loben sie den Ausverkauf des Streiks der Krankenschwestern und die später angekündigten „Stadtteilkundgebungen“ als eine clevere Taktik der Bürokratie.

Die unerschütterliche Propagierung der Gewerkschaften durch die Opportunisten hat eine definitive materielle Grundlage. Wir ihre internationalen Gesinnungsgenossen – die Antikapitalistische Partei in Frankreich, die Linkspartei in Deutschland, SYRIZA in Griechenland und die International Socialist Organisation in den USA – sind die kleinbürgerlichen Schichten, aus denen sich die Pseudolinken rekrutieren, mit tausend Fäden mit den Gewerkschaften verbunden und stehen häufig direkt im Sold verschiedener Teile der Bürokratie. Ihre Organisationen erhalten von den Gewerkschaften auch nicht unbeträchtliche finanzielle Unterstützung.

Krankenschwestern und die ganze Arbeiterklasse stehen vor der dringenden Aufgabe, eine neue Partei auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms aufzubauen. Diese Partei wird für die Reorganisierung der Gesellschaft kämpfen und die sozialen Bedürfnisse anstelle des Profits zur obersten Priorität des wirtschaftlichen Lebens machen. Sie wird ein kostenloses, hochqualitatives, voll finanziertes und mit gut bezahlten Beschäftigten ausgestattetes Gesundheitssystem zum sozialen Grundrecht für alle machen.

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