Streik- und Protestwelle in Bulgarien

Seit zwei Wochen finden in Bulgarien ein unbefristeter Streik der Eisenbahner sowie zahlreiche Proteste gegen die Sparmaßnahmen der Regierung statt.

Am 30. November demonstrierten in Sofia vor dem Parlamentsgebäude mehr als 20.000 Menschen gegen die Verabschiedung des Haushalts 2012, der ein drastisches Sparprogramm zum Inhalt hat. Bestandteil des Sparpakets sind unter anderem eine Anhebung des Renteneintrittsalters und schlechtere Löhne im öffentlichen Dienst.

Ministerpräsident Boyko Borissow, der seit zwei Jahren eine Minderheitsregierung führt, hatte das Sparprogramm eingebracht, nachdem seine konservative Partei GERB (Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens) am 30. Oktober die Präsidenten- und Kommunalwahlen gewonnen hatte. Seither kontrolliert GERB alle wichtigen Staatsämter.

Den Protesten schloss sich auch die Polizei an. „Wir sind gegen diese Reform und die Art, wie die Regierung darüber entscheidet“, sagte ein Sprecher der Polizeigewerkschaft.

Beschäftigte im Gesundheits- und Bildungssektor hatten bereits am 25. November gegen schlechte Bezahlung und drohende Entlassungen protestiert. Auch Studenten haben Proteste angekündigt.

Am 24. November begannen die Beschäftigten der Eisenbahn einen landesweiten unbefristeten Streik, der mittlerweile schon über zwei Wochen andauert. Täglich wird der Personen- und Güterverkehr zwischen 8 und 16 Uhr zu etwa vier Fünfteln unterbrochen. Zum Streik aufgerufen haben die beiden maßgeblichen bulgarischen Eisenbahnergewerkschaften KNSB (Union Unabhängiger bulgarischer Gewerkschaften, Nachfolgeorganisation der stalinistischen Gewerkschaften) und Podkrepa („Unterstützung“, eine christliche Gewerkschaft).

Anfang November hatten Finanzminister Simeon Djankow, Verkehrsminister Iwaylo Moskowski und die staatliche Eisenbahngesellschaft BDZ angekündigt, im Januar kurzfristig 2.000 Arbeiter zu entlassen und 150 Züge ersatzlos stillzulegen. Dies widersprach Vereinbarungen, die sie zuvor mit den Gewerkschaften getroffenen hatten. Außerdem sollen die Fahrpreise schon ab dem 1. Dezember um bis 15 Prozent erhöht werden.

Die staatliche Eisenbahn, insbesondere ihr Geschäftszweig Personenverkehr, ist mit fast 400 Millionen Euro hoch verschuldet. Allein bei deutschen Gläubigern haben sich inzwischen 170 Millionen Euro Schulden angehäuft. Die KfW-Bank fordert die Rückgabe von 50 Siemens-Lokomotiven, da die Raten nicht bezahlt wurden. Die Weltbank machte die Gewährung eines 300-Millionen-Kredits zu Jahresbeginn von der Entlassung eines Viertels der Beschäftigten abhängig.

Als Grund für den unbefristeten Streikaufruf nennen Sprecher von Podkrepa und KNSB, dass die Gewerkschaften nicht in die Entscheidungen mit einbezogen worden seien, lehnen diese aber nicht grundsätzlich ab. Staat und Bahnmanagement hätten die Gewerkschaften in provokativer Weise, ohne Vorwarnung mit Entlassungen und Kürzungen konfrontiert. Sie fordern die Einbindung der Gewerkschaften in Entscheidungen über Sparmaßnahmen, einen neuen „kollektiven Arbeitsvertrag“ und die Rücknahme der Pläne, den einzigen gewinnbringenden Geschäftsbereich „Güterverkehr“ zu privatisieren.

Gewerkschaftssprecher berichteten am 8. Dezember, die Arbeiter seien nicht bereit, Einschnitte bei den Löhnen hinzunehmen und forderten den Rücktritt von Bahnchef Wladimir Wladimirow.

Bislang war es den Gewerkschaften gelungen, größere Streiks zu unterdrücken oder abzuwürgen. Sie sind im Nationalrat für Trilaterale Zusammenarbeit (NTZ) eingebunden und arbeiten aufs Engste mit der Regierung und Wirtschaftsvertretern zusammen.

Zum Jahreswechsel 2010/11 war es den beiden großen Gewerkschaften gelungen, einen wilden Streik Sofioter Bahnarbeiter abzuwürgen, der wegen ausstehender Löhne ausgebrochen war. Im März musste die Regierung Kürzungen und Entlassungen wegen eines drohenden Streiks zurückziehen. Als dann Verkehrsminister Moskowski den „technischen Bankrott“ der Bahngesellschaft erklärte, sagten die beiden Gewerkschaften im Oktober dieses Jahres einen angekündigten Generalstreik zugunsten weiterer Verhandlungen mit der Regierung ab.

Finanzminister Djankow hat angesichts der Proteste bereits deutlich gemacht, dass er dem Druck der Beschäftigten nicht nachgeben wird. „Es gibt kein Geld zu verteilen“, sagte er zu den Protesten gegen die Ausgabenkürzungen und drohte, dass die staatliche Bahn bei einer Weiterführung des Streiks Bankrott anmelden werde.

Auch Landwirte setzen sich gegen die Sparmaßnahmen zur Wehr. Am 28. November begannen landesweite Proteste, an denen sich Tausende Landwirte unter Einsatz ihrer Traktoren beteiligten. Sie protestieren gegen die Kürzungen von Fördermitteln im Haushalt 2012 um etwa 135 Millionen Euro. Vor den Präsidentschaftswahlen im Oktober waren ihnen diese Mittel vom Finanz- und Landwirtschaftsminister noch zugesichert worden.

Im Lauf ihrer Protestaktionen blockierten die Landwirte wichtige Straßen und Grenzübergänge. In der vergangenen Woche demonstrierten sie mit ihren Fahrzeugen drei Tage lang in der Hauptstadt Sofia. Mit der Begründung, man wolle der Regierung Gelegenheit geben, ihre Sparbeschlüsse zu revidieren, wurden darauf die Protestaktionen vorerst bis Ende Januar eingestellt.

Die Sparbeschlüsse der Regierung treffen die Bevölkerung eines Landes, das jetzt schon den niedrigsten Lebensstandard innerhalb der EU aufweist. Auch beim Bevölkerungsschwund, einem aussagekräftigen Armutsindikator, liegt Bulgarien in Europa auf Platz 1. Seit dem Zusammenbruch des stalinistischen Regimes 1989 hat die Einwohnerzahl durch Auswanderung und Geburtenrückgang von knapp 9 Millionen auf etwa 7,5 Millionen abgenommen. Nach neuen Eurostat-Angaben hat die Arbeitslosigkeit im Oktober einen offiziellen Wert von 12,9 Prozent erreicht.

Sowohl die Sozialistische Partei Bulgariens (BSP), die Nachfolgeorganisation der stalinistischen Staatspartei, als auch die verschiedenen rechtslastigen, an der EU orientierten Parteien, die sich an der Regierung abwechselten, unterstützen die Unterwerfung des Landes unter das Diktat der europäischen und internationalen Finanzinstitutionen. Dasselbe gilt für die Gewerkschaften, die in den Nationalrat für trilaterale Zusammenarbeit (NTZ) eingebunden sind.

Finanzminister und stellvertretender Regierungschef ist der ehemalige Weltbankökonom Djankow, der eine Steuer-Flatrate von 10 Prozent und eine Schuldengrenze von maximal 2 Prozent des BIP durchgesetzt hat. Er agiert als direkter Sachwalter der internationalen und europäischen Finanzelite.

Der Internationale Währungsfonds hat die vorbildliche Einhaltung der Maastrichtkriterien gelobt, aber gleichzeitig die Wachstumserwartungen des Landes von drei auf zwei Prozent zurückgeschraubt. Bulgariens Haushaltsdefizit lag 2010 noch bei 4 Prozent und wird wohl in diesem Jahr unter 2,5 Prozent fallen. Durch die beschlossenen rigorosen Kürzungsmaßnahmen soll es 2013 noch weiter gesenkt werden.

Vor der globalen Finanzkrise verzeichnete Bulgarien noch ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von fünf bis sechs Prozent, das durch internationale Kredite gefördert wurde. Nun bricht die Produktion ein, da die Banken nur noch äußerst restriktiv Kredite an die exportabhängige Wirtschaft vergeben. Von Januar bis Ende September 2011 haben ausländische Unternehmen insgesamt 534,5 Millionen Euro investiert, verglichen mit 1,03 Milliarden Euro im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres.

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