Erste Runde der ägyptischen Parlamentswahlen beginnt

Am Montag begannen in Ägypten die Parlamentswahlen; am Dienstag gingen sie noch in neun der 27 Gouvernements (Regierungsbezirke) weiter. Diese Wahlen finden unter Notstandsgesetzen der herrschenden Militärjunta, des Obersten Militärrates, statt und sind die ersten Wahlen, seit Diktator Hosni Mubarak am 11. Februar durch Massenproteste und Streiks gestürzt wurde.

Die Gouvernements, in denen gewählt wurde – Kairo, Alexandria, Assjut, das Rote Meer, Luxor, Fayoum, Damietta, Port Said und Kafr El-Sheikh – stehen für den Südosten Ägyptens und die meisten der größten Städte des Landes im Nildelta. Am 5. und 6. Dezember sollen Stichwahlen stattfinden. Die Wahlen in auf drei Stufen aufgeteilt, weitere Gouvernements sollen am 14. und 15. Dezember, bzw. am 3. und 4. Januar wählen, Stichwahlen sollen dann am 21. und 23. Dezember, bzw. am 10. und 11. Januar stattfinden. Wahlergebnisse werden für den 13. Januar erwartet.

Die größten teilnehmenden Parteien sind die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), die Beziehungen zur islamistischen Moslembruderschaft hat und das Demokratische Bündnis für Ägypten anführt, die rechte salafistische Al-Nur-Partei, die das Islamistische Bündnis anführt; der Ägyptische Block, zu dem die Sozialdemokratische Partei und die Al-Tagammu gehört und von der Partei Freier Ägypter angeführt wird, die ihrerseits von dem Tycoon Naguib Sawiris angeführt wird; sowie das Bündnis zur Fortsetzung der Revolution, zu dem die Koalition der Revolutionären Jugend, die Ägyptische Freiheitspartei und die Sozialistische Volksfrontpartei gehören.

Zahlreiche Lokalpolitiker und ehemalige Mitglieder von Mubaraks Nationaldemokratischer Partei (NDP) treten ebenfalls zur Wahl an, oft als Parteilose.

Die ägyptische Presse sprach von einer regen Teilnahme an den Wahlen und langen Schlangen vor den Wahllokalen. Laut staatlichen Funktionären nahmen in Kairo 80 Prozent der Wahlberechtigten teil.

Die Wahlen finden eine Woche nach den Massenprotesten gegen das brutale Vorgehen der Junta gegen die Familien von Märtyrern der Revolution statt, bei dem über vierzig Demonstranten getötet wurden. Im ganzen Land demonstrierten Millionen für den Sturz der Junta. Sie protestierten auch dagegen, dass die Wahlen unter dem Ausnahmezustand stattfinden, und dass Islamisten versuchen, Stimmung gegen koptische Christen zu machen.

Die Wahlteilnahme ist zum Teil Ausdruck einer trotzigen Entschlossenheit, seine negative Meinung über die von den USA unterstützte Junta zum Ausdruck zu bringen. Zum anderen ist sie Ausdruck eines allgemeinen Verlangens nach Veränderungen, das stärker ist als das allgemeine Misstrauen und die Desillusionierung gegenüber dem Staat und den bestehenden Parteien.

Ein Wähler sagte der New York Times: „Es gibt keine Gerechtigkeit, keine Ehrlichkeit, kein Vertrauen. Aber ich bin gekommen, weil ich dann meine Pflicht getan habe und auf meinem Recht bestehen kann.“

Eine andere Wählerin sagte: „Der Grund für die Revolution war, dass unsere Stimme etwas wert sein soll. Also müssen wir jetzt auch danach handeln.“ Allerdings schätzt sie die Chancen, dass die Wahlen ein angemessenes Ergebnis herbeiführen, auf nur 50 Prozent.

Einige nannten als Grund für ihren Gang zur Wahl die Drohungen des SCAF: Die Junta hatte gedroht, Wahlenthaltung mit einer Geldstrafe von 500 ägyptischen Pfund zu bestrafen – das sind etwa 16,80 Euro, oder mehr als ein halbes Monatsgehalt für die Mehrheit der ägyptischen Bevölkerung, die weniger als 1,50 Euro am Tag verdient.

Ein Büroangestellter sagte in der Warteschlange: „Glauben Sie, einer von diesen Kandidaten kann irgendwas ändern? Natürlich nicht. Die Leute würden nicht in der Schlange stehen, wenn sie nicht wüssten, dass ihnen sonst eine Geldstrafe droht.“

Am Montag wurden mehrere tausend Demonstranten, die sich noch auf dem Tahrir-Platz aufhielten, von Sicherheitskräften angegriffen, als sie Parolen für einen Boykott der Wahl riefen. Auf Videos war zu sehen, wie die Polizei Demonstranten verprügelte und eine Demonstrantin an den Haaren über die Straße zog. Ein Demonstrant, der von einem Gummigeschoss der Polizei am Auge getroffen wurde, sagte, er vertraue nicht darauf, dass die Polizei die Wahlen absichere. „Viele von uns wurden getötet oder verletzt, und niemand wurde dafür angeklagt. Wie können sie nur einfach so weitermachen?“

Die ägyptische Bourgeoisie, die vor den Protesten Angst hatte und hoffte, die Wahlen als Feigenblatt für die fortgesetzte Hegemonie des Militärs nutzen zu können, war über die Beteiligung überrascht. Der Chef der Wahlkommission Abdel-Mooazez Ibrahim nannte sie „massiv und unerwartet.“ Ägyptens Hauptaktienindex, der EGX30, stieg im Verlauf des Tages um 5,48 Prozent und schloss mit einem „Seufzer der Erholung“ ab, wie es die Zeitung Al-Ahram formulierte.

Generalmajor Mukhtar al-Mulla vom SCAF nannte die Wahlen „beispiellos in der Geschichte des Parlamentarismus in der arabischen Welt.“ Er bezeichnete sie außerdem als „ersten Schritt auf dem Weg zu einem neuen demokratischen Staat.“

Bisher sind noch keine Ergebnisse verfügbar, allerdings kündigte die Moslembruderschaft an, sie rechne mit landesweit 30 Prozent der Stimmen und hoffe, die größte Partei im Parlament zu werden. Bei den Wahlen in Tunesien, wo kurz vor den Ereignissen in Ägypten der ebenfalls vom Westen unterstützte Diktator Zine El Abidine Ben Ali durch Massenproteste gestürzt worden war, wurde eine andere islamistische Partei, die Ennahda, stärkste Kraft.

Allerdings meldet Al Ahram aus Alexandria, der zweitgrößten Stadt Ägyptens und Hochburg der Moslembrüder: „Einige Beobachter glauben jedoch, dass die Chancen der Moslembrüder, eine Mehrheit zu holen, nicht so gut sind, wie sie erwarten, da die hohe Wahlbeteiligung – vermutlich 50 Prozent der Wahlberechtigten im Vergleich zu 23 Prozent im Jahr 2005 – sich negativ für die Bruderschaft auswirken würde.

Dennoch werden islamistische und andere wirtschaftsfreundliche Parteien die Wahl dominieren. Darüber hinaus haben die Chefs der Junta klargemacht, dass sie keine Verfassungsänderungen dulden werden, durch die die Befugnisse der Armee eingeschränkt würden.

Das zeigt deutlich, dass die Wahlen ein politischer Betrug sind, was auch die Wähler und Demonstranten auf dem Tahrir-Platz erregt diskutieren. Die Wahlen werden Parteien die formelle Macht geben, die bei den revolutionären Erhebungen, die im Februar zu Mubaraks Sturz führten, an den Rand gedrängt wurden. Sie waren gegen die grundlegenden Forderungen der Revolution: Soziale Gleichheit, höherer Lebensstandard und politische Freiheit. Das Militär – das Rückgrat von Mubaraks Diktatur – wird ebenfalls bleiben.

Die Verantwortung dafür liegt hauptsächlich bei den verschiedenen kleinbürgerlichen Gruppen, die in Ägyptens politischem Establishment die „Linke“ bilden: Den Revolutionären Sozialisten, der Sozialistischen Erneuerung und ähnlichen Tendenzen. Diese Gruppen unterstützten immer wieder gemeinsame Aktionen oder Proteste mit den islamistischen Parteien und gaben den rechten Kräften der Moslembrüder damit Auftrieb. Gleichzeitig vertraten sie die Ansicht, dass Arbeiter auch unter der Herrschaft des SCAF für ihre Forderungen kämpfen könnten.

Dementsprechend kommentierte der Chef der RS, Mustafa Omar, die Junta „weiß, dass der Aufstand des 25. Januar [der zu Mubaraks Sturz am 11. Februar führte] Ägypten in gewisser Hinsicht für immer verändert hat… Der Rat will das politische und wirtschaftliche System reformieren und demokratischer und weniger unterdrückerisch machen.“

Diese Kräfte haben die politische Initiative an die Rechten abgegeben und jeden Kampf der Arbeiterklasse für die Bildung ihrer eigenen staatlichen Machtorgane und den Sturz der Junta blockiert. Sie haben den rechten Kräften eine Atempause verschafft, die sie nutzen, um eine neue demokratische Fassade für die weitere diktatorische Herrschaft und arbeiterfeindliche Politik des ägyptischen Militärs zu errichten.

Shadi Hamid, Forschungsdirektor am Brookings Doha Center, sagte der Daily News Egypt: „Die ägyptische Bruderschaft wird von Ärzten, Ingenieuren und reichen Geschäftsleuten geführt, nicht von armen Menschen. Sie haben sehr prokapitalistische wirtschaftspolitische Vorstellungen, dennoch sprechen sie sehr überzeugend von sozialer Gerechtigkeit, und sie organisieren auch Hilfe [d.h. Wohltätigkeitseinrichtungen] für arme Zivilisten. Deshalb sind sie bei den Leuten auf den Straßen beliebt.“

Hamid fügte hinzu, dass die Mitglieder der Bruderschaft von „wirtschaftlicher Offenheit“ profitiert haben. „Sie gehören zu einer neuen Generation von Geschäftsleuten. Die Bruderschaft orientiert sich direkt an der türkischen AKP [der islamistischen Regierungspartei]. Sie sind Teil der Wirtschaftselite, sie haben dieselben Prinzipien wie die AKP, allerdings ist diese konservativer und rechter.“

Die Bildung eines Parlaments unter Führung der Moslembrüder oder „liberaler“ Geschäftsmagnaten würde nur die Bedingungen für neue Kämpfe zwischen der Junta und ihren imperialistischen Geldgebern – und nun auch den offiziellen „Oppositionsparteien“ im Parlament und der Arbeiterklasse schaffen.

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