China: Protest in Wukan vorläufig beigelegt

Um die seit fünfzehn Wochen anhaltenden Proteste im Dorf Wukan zu beenden, machte die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) am 15. Januar einen Anführer der Proteste, Lin Zuluan, zum neuen Parteisekretär des Dorfes. Er tritt an die Stelle von Xue Chang, einem lokalen Geschäftsmann, der das Dorf vier Jahrzehnte lang regiert hatte, gegen den nun aber wegen Korruption ermittelt wird.

Lin wird die Neuwahlen in dem Dorf überwachen. Trotz der Versprechungen von “einer Stimme pro Person” und der Zusage, das Dorf mit demokratischer Offenheit zu regieren, kam es zu seiner Ernennung erst, nachdem die Regierung die Wahlen, die die Dorfbewohner während ihrer Rebellion abgehalten hatten, als “illegal” gebrandmarkt hatte. Die Dorfbewohner haben, so wird berichtet, die offizielle Unterstützung ihres gewählten Anführers begrüßt. Das zeigt, dass die Illusion besteht, Peking reagiere auf ihre Appelle an die Parteiführung, indem es gegen die vorgetragenen Missstände angeht.

Eine Taktik, die heute oft von den Behörden bei viel beachteten Protesten eingesetzt wird, ist es, Sympathie zu heucheln, solange sie im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Das Regime ist sich bewusst, dass die sozialen Spannungen zunehmen, da das Wirtschaftswachstum angefangen hat nachzulassen und dass isolierte Proteste zum Auslöser für die Ausbreitung der Unzufriedenheit werden können. Wenn die öffentliche Aufmerksamkeit erst einmal abgelenkt ist, wendet sich das Regime den Anführern der Proteste zu. Das könnte Lin und anderen in Wukan bevorstehen.

Die Demonstrationen in Wukan waren im September ausgebrochen, weil Wukans ehemalige Führer der KPCh in korrupter Weise den gemeinsamen Besitz an Grundstücken großen Investoren verkauften oder verpachteten, und dadurch die Lebensgrundlage der 13.000 Einwohner gefährdeten. Die Behörden reagierten zunächst, indem sie Tausende paramilitärischer Polizisten schickten, um die Unruhen zu unterdrücken. Sie hofften Wukan so zum Aufgeben zu zwingen. (Bilder der Demonstrationen vom 15. Dezember gibt es hier.)

Aber Wukans Kämpfe weckten die Solidarität von Arbeitern aus der umliegenden Industrie. Sie wurden nicht nur in China unterstützt, sondern auch international, so dass sich die Regierung zurückhielt, gewaltsam die Kontrolle über das Dorf zu übernehmen. Außerdem waren die Führer der KPCh nervös, weil die Region (in der Nähe des Landkreises Lufeng und der Region Haifeng) als die Wiege der Bauernbewegung während der zweiten chinesischen Revolution von 1925-27 gilt.

Der Kampf kam Wukan teuer zu stehen. Im letzten Monat starb ein Anführer der Proteste, Xue Jinbo, in Polizeigewahrsam. Ein anderer Mann, ein Verwandter von Lin, beging am 28. Dezember Selbstmord, nachdem er von den lokalen Behörden aufgefordert worden, war sich der Polizei zu stellen, weil er sich an den Protesten beteiligt hatte.

Die Demonstrationen wurden am 21. Dezember eingestellt, nachdem die Provinzbehörden von Guangdong versprochen hatten, die Beschwerden der Dorfbewohner zu untersuchen und die Projektentwicklung auf ihrem Land zu stoppen.

Dennoch erzählte am vergangenen Montag Yang Semao, ein Abgeordneter von Lin, der New York Times, dass die Provinzbehörden lediglich zugesagt hatten, nur ein Viertel des Landes, das verkauft oder verpachtet wurde, zurückzugeben. Gleichzeitig weigerte sich die Bezirksregierung von Lufeng, Strafanzeigen gegen drei andere Anführer der Führer fallen zu lassen. Außerdem weigerte sich die Regierung Lufengs, Den Leichnam Xues an seine Familie freizugeben, solange sie nicht bereit war, die Dokumente zu unterzeichnen, die seinen Tod auf natürliche Ursachen und nicht auf Brutalität der Polizei zurückführen. Die Behörden haben auch den Wunsch der Familie, das Video aus einer Überwachungskamera, die Xues Zelle filmte, zu sehen, abgelehnt.

Inmitten der öffentlichen Proteste im letzten Monat drängte Premierminister Wen Jiabao auf einem “nationalen Arbeitstreffen der Landbevölkerung” Beamte dazu, sich um die Interessen der Bauern zu kümmern. “Wir können nicht länger die Eigentumsrechte der Landwirte an ihrem Land opfern, um die Kosten der Urbanisierung und Industrialisierung zu reduzieren”, erklärte er. “Wir müssen die Gewinne aus der Erhöhung des Bodenwerts für die Bauern deutlich erhöhen.”

In Wirklichkeit ist es so, dass die gesamte Wirtschaft von einer Immobilienblase abhängig geworden ist, die durch die wilden Spekulationen großer Investoren, lokaler Regierungsbehörden und anderen Unternehmen angefeuert wurde. Im Jahr 2010 sackten lokalen Regierungen 460 Milliarden Dollar aus dem Verkauf von Grundstücken ein und versuchten gleichzeitig, Schulden in Höhe von 1,7 Billionen Dollar zurückzuzahlen, die sie im Rahmen des riesigen, nach der der globalen Finanzkrise von 2008 aufgelegten Konjunkturpakets angehäuft hatten.

Die Ursachen dieser Vorgänge liegen in der kapitalistischen Restauration, die das stalinistische Regime seit den 1970er Jahren betreibt. Nach dem Rückbau der kollektivierten landwirtschaftlichen Kommunen Anfang der 80iger Jahre wurden in China lokale Regierungsbehörden geschaffen. Diese Apparate, die im gegenseitigen Einvernehmen mit den Interessen von Geschäftsleuten und sogar Verbrechern agieren, haben die Bauern enteignet und Millionen als billige Arbeitskräfte in die Städte getrieben.

Guangdongs stellvertretender KP-Sekretär, Zhu Mingguo, der den Frieden mit den Dorfbewohner Wukans vermittelte, stellte auf einem Treffen am 26. Dezember fest, dass die sozialen Spannungen in den ländlichen Gebieten einem “im Kern verfaulter Apfel” gleichen. Er fügte hinzu: “Auf der Außenseite sieht er rot aus, aber wenn er einmal aufgebrochen ist, ist der Schlamassel unvermeidbar.”

Zhu warnte, “es wird immer schwieriger die Massen im Schach zu halten”, weil “ständig das öffentliche Bewusstsein für Demokratie, Gleichheit und Rechte stärker wird, was dazu führt, dass ihre Forderungen größer werden.”

Das Regime steht vor dem Dilemma, dass selbst durch zeitlich begrenzte Zugeständnisse wie die an Wukans Dorfbewohner andere ermutigt werden ebenfalls aufzubegehren.

Die herrschende Bürokratie von Guangdong lobte den KP-Sekretär Wang Yang für die “friedliche” Beilegung der Streitigkeiten um Wukan. Am vergangenen Montag veröffentlichte Wang Yang einen längeren Artikel in dem Partei Journal Suche nach der Wahrheit. Darin erklärte er, dass angesichts deserwachenden öffentlichen Bewusstseins, demokratische und soziale Rechte gefordert werden und “die Regierung sollte bei der Ausarbeitung ihrer öffentlichen Politik auf die Öffentlichkeit Rücksicht nehmen.”

Kurz nachdem Wangs Artikel veröffentlicht wurde, versammelten sich am letzten Dienstag 1.000 Bauern aus Wanggang , einem in der Nähe von Guangzhou - der Hauptstadt von Guangdong - gelegenen Dorf, vor dem städtischen Regierungssitz Guangzhous. Sie forderten, dass der auf dem Gelände stattfindende Volkskongress der Provinz, die Grundstücksverkäufe korrigieren solle, die durch den Dorfsekretär Li Zhihang getätigt wurden und bei denen er sich Gerüchten zufolge 400 Millionen Yuan (sechzig Millionen Dollar) in die eigene Tasche steckte. Sie trugen bunte Fahnen und Transparente und drohten mit “einen zweiten Wukan”, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt würden.

In Guangdong - einem wichtigen Produktionsstandort – haben seit November auch eine Reihe militanter Streiks stattgefunden. Die Arbeiter reagierten damit auf die konzertierten Angriffe auf Löhne, Arbeitsbedingungen und Arbeitsplätze, deren Hintergrund die sinkenden Exporte in die USA und die europäischen Märkten sind.

Als am 14. Januar der letzte Streik ausbrach, streikten 4.000 Arbeiter von Sanyo Electric aus Shenzhen, weil sie nach dem Verkauf des Unternehmens nur unzureichende Entschädigungen erhalten hatten. Dabei kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Und letzten Montag begannen achttausend Arbeiter der in japanischem Besitz befindlichen Foster Electric Niederlassung in Nanning (Hauptstadt der benachbarten Provinz Guangxi) einen Streik gegen die Streichung der Prämien zum Jahresende und gegen den Urlaubsanspruch, der zu kurz ist, als dass Arbeitsmigranten zum chinesischen Neujahr nach Hause reisen könnten.

Die angeblich “friedliche” Beilegung des Wukan Protests wird die Krise, vor der die chinesische Regierung steht, nicht lösen. Obwohl jeder einzelne dieser zahlenmäßig ständig zunehmenden Proteste und Streiks weitgehend isoliert und spontan entsteht, hat jeder einzelne von ihnen das Potenzial, zum Mittelpunkt einer viel breiteren Bewegung in der viele Millionen zählenden Arbeiterklasse und der armen Landbevölkerung zu werden.

Für die Arbeiterklasse und die Landbevölkerung ist die entscheidende Frage die Ausarbeitung einer echten sozialistischen Perspektive. Deren Ziel ist nicht durch Druck auf das Regime in Peking Zugeständnisse zu erreichen, sondern es abzuschaffen und eine Arbeiter- und Bauernregierung als Teil des internationalen Kampfes für den Sozialismus zu errichten. Das ist das Programm des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, der trotzkistischen Weltbewegung.

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