Jemenitisches “Einheits”-Kabinett:

Immunität für Saleh-Regime

Das „Einheits“-Kabinett im Jemen, in dem sich der regierende Allgemeine Volkskongress (AVK) und die oppositionellen Vereinigten Konferenzparteien (VKP) die Macht teilen, billigte am 8. Januar Gesetze, nach denen dem Regime Präsident Ali Abdullah Sahles insgesamt Immunität gewährt wird.

Mit den Gesetzen werden nicht nur, wie erwartet, die Salehs Familienmitglieder vor Strafverfolgung bewahrt, sondern auch das gesamte Personal, das während seiner lang andauernden Präsidentschaft in zivilen, und militärischen Institutionen sowie in den Sicherheitsorganen tätig war. Allein seit Beginn der Proteste im Jemen im Januar letzten Jahres ließ das Regime Hunderte von Demonstranten umbringen.

Der neu eingesetzte Premierminister Mohammed Basindwa verteidigte die Gesetze und erklärte, es habe “keine andere Option” zur Vermeidung eines “Bürgerkriegs” gegeben. Es wurde erwartet, dass das Gesetzgebungsverfahren das Parlament sofort passiert, die Abstimmung wurde jedoch mehrmals wegen laufender Gesetzgebungsverfahren und Abwesenheit des Justizministers während der Parlamentssitzungen verschoben. Diese Woche verlangte Premierminister Basindwa erneut, die ursprünglich für Mittwoch geplante parlamentarische Lesung zu verschieben. Nach Presseberichten hat die Abstimmung am letzten Samstag stattgefunden. Am Sonntag demonstrierten Tausende gegen das Gesetz.

Wegen der Gefahr, dass der Widerstand in der Bevölkerung noch weiter anwächst, macht man sich offensichtlich große Sorgen in der Koalition aus AVK und VKP – zu der auch die („reformistische“) Islamistische Al-Islah-Partei sowie die Jemenitische Sozialistische Partei (JSP) gehören. Die JSP regierte den Jemen bis zum Zusammenschluss mit dem Norden 1990.

Die Immunitätsgarantie ist Teil einer von den USA vermittelten Vereinbarung, die Saleh im November unterzeichnete, und in der das Regime Salehs, wenn auch ohne seine persönliche Beteiligung, weitgehend fortgeschrieben wird. Die Amtsgeschäfte hat ein nationales „Einheits“-Kabinett mit gleich vielen Vertretern von AVK und VKP übernommen. Über den Sicherheitsapparat des Landes gebieten weiterhin die Verwandten Salehs.

Ursprünglich sollte Saleh zum Zeitpunkt der für den 21. Februar angesetzten Wahlen zurücktreten. Vizepräsident Mansour Al-Hadi tritt als gemeinsamer Kandidat von VKP und AVK zu dieser Wahl an. Ob Saleh diesen Termin aber einhalten wird, ist nicht sicher. Mit seiner Behauptung, die Präsidentschaftswahlen könnten verschoben werden, offenbarte der provisorische Außenminister Abu Bakr Al-Qirbi am 17 Januar den undemokratischen Charakter der Einheitsregierung: „Unglücklicherweise gibt es ein paar sicherheitsrelevante Ereignisse, und wenn diese nicht geregelt werden können…wird es schwierig sein, die Wahlen abzuhalten“. Al Hadi widersprach diese Aussage umgehend und Qirbi hat diese Ausführungen inzwischen wieder zurückgenommen.

Die New York Times befasste sich mit den Befürchtungen der jemenitischen herrschenden Schicht über die politische Krise in Sanaa und berichtete über die Bemerkungen des Vorsitzenden der Partei für Gerechtigkeit und Aufbau, Mohammed Abulahoum, über die Dringlichkeit der Durchführung der Wahl: „Wir sind über die Zeit…im ganzen Land gibt es ein Machtvakuum. Wir wissen derzeit nicht, wo wir stehen.“

Durch Protestaktionen im letzten Monat lehnten Hunderttausende die Vereinbarung über den Machttransfer und das Immunitätsgesetz ab. Associated Press berichtete, am 8. Januar sei noch mal ein Protestmarsch in Sanaa von Truppen blockiert worden, als die Demonstranten in Richtung des Parlaments ziehen wollten. Wie die Nachrichtenagentur berichtete, sollen die Truppen unter dem Kommando des Generals Ali Mohsen, der die Front gewechselt hat, gestanden haben. Früher ließ Mohsen den Protestierenden beschränkten Schutz zukommen, jetzt allerdings unterstützt er den geplanten Machttransfer.

Am 9. Januar berichtete AFP über die südöstliche Stadt Taizz, wo “Schläger in Zivil in eine protestierende Menge von Tausenden von Demonstranten vor dem Amt des regionalen Gouverneurs schossen, einen töteten und drei verletzten.“ Es wurde über Demonstrationen in bis zu 18 Regionen berichtet, die Anzahl der Beteiligten nahm seit Ende des letzten Jahres jedoch ab. Einige „revolutionäre“ Jugendverbände mit Verbindungen zur VKP hatten damals an den Protesten teilgenommen, unterstützen jedoch jetzt die Vereinbarung zum Machttransfer.

Die Sprecherin des amerikanischen Außenministeriums Victoria Nuland verteidigte am 9. Januar auf ihrer täglichen Presseerklärung das Immunitätsgesetz: „Die Immunitätsbestimmungen handelten wir bei dem Abkommen im Rahmen des GCC (Gulf Cooperation Coucil) aus, um Saleh zur Aufgabe der Regierung zu veranlassen. Sie müssen in Gesetzesform abgefasst werden.“

Die Heuchelei der Obama-Regierung ist extrem. Zusammen mit Frankreich und Großbritannien unterstützten die USA immer das Saleh-Regime und machen jetzt im Namen des Schutzes Protestierender Propaganda für eine Intervention in Syrien. Das Ganze ist Teil umfassenderer Bemühungen, Syriens Bündnispartner Iran zu isolieren.

Die USA befürchten, die andauernden Proteste im Jemen könnten das an Saudi Arabien angrenzende Land destabilisieren. Sie sind entschlossen, den Sicherheitsapparat zu erhalten, über den die engen Bindungen des letzten Jahrzehnts gefestigt wurden. Mit Salehs Unterstützung führten die USA eine nicht bekannte Anzahl von Drohnenangriffen in dem Land durch. Unter anderen wurde dabei letztes Jahr der amerikanische Staatsangehörige Anwar Al-Awlaki umgebracht.

Bei einer Pressekonferenz in der Elfenbeinküste am Dienstag letzter Woche gab Außenministerin Hillary Clinton zum ersten Mal öffentlich bekannt, dass Amerika Saleh auffordere, den Jemen zu verlassen. „Es gab Vereinbarungen zu Verbesserungen, denen noch nicht nachgekommen wurde“, führte sie an. „Wir bedauern, dass der Präsident bis jetzt seine eigenen Verpflichtungen nicht erfüllt hat, das Land zu verlassen, Wahlen für eine fortschrittliche Entwicklung zuzulassen, durch die die Bevölkerung die Chance auf Gehör und Vertretung bekommen soll.“

Clinton fügte jedoch die beunruhigende Warnung hinzu: “Wir konzentrieren uns weiter auf die Gefahren durch Al Qaida im Jemen und werden dort und auch anderswo mit unseren Partnern zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass Al Qaida sich dort nicht durch Aktionen zur Destabilisierung des Jemen und der Region festsetzen kann.“ Diese Bemerkungen offenbaren, dass die USA unter dem Deckmantel des „Antiterrorkrieges“ alles daransetzen werden, um sich den Jemen als Stützpunkt zu erhalten, denn dieser grenzt an das Arabische und an das Rote Meer.

Am vorletzten Wochenende sollen Al Qaida-Kämpfer die Stadt Rada 100 km südlich von Sanaa eingenommen haben. Die Einzelheiten sind unklar. Nach der Nachrichtenseite „Yemen Revolution News“ eines Internetnetzwerks protestierten am Montag darauf Tausende von Menschen und riefen in Sprechchören: „Verschwinde du Lügner (Saleh), in Rada gibt es keine AQAP“ (Al Qaida auf der arabischen Halbinsel). In der Vergangenheit haben Sicherheitskräfte falsche Behauptungen über die Anwesenheit Al-Qaidas als Vorwand für ihr scharfes Vorgehen benutzt.

 

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