Berlin: Verdi bereitet Warnstreik im Nahverkehr vor

Am heutigen Dienstag treffen sich die Tarifparteien zur Fortsetzung der vor einer Woche ergebnislos abgebrochenen Lohnverhandlungen für die rund 12.500 Beschäftigten der Berliner Verkehrsbetriebe BVG und ihrer Tochtergesellschaft Berlin Transport BT. Bereits seit letztem Herbst beratschlagen Funktionäre der SPD, der Gewerkschaften und des Kommunalen Arbeitgeberverbands KAV hinter verschlossenen Türen über einen neuen Tarifvertrag.

Die BVG, die durch den KAV in den Verhandlungen vertreten wird, hatte zuletzt einen Tarifvertrag mit dreijähriger Laufzeit und gestaffelten Lohnerhöhungen vorgeschlagen: plus 1,5 Prozent im Mai 2012, plus 1,2 Prozent im Mai 2014 und plus 1,5 Prozent im Januar 2015, zudem zwei Einmalzahlungen in 2012 und 2013 von insgesamt 500 Euro. 

Verdi-Sprecher Andreas Splanemann trat daraufhin vor die Kameras der Berliner Presse und kritisierte: "Auf dieser Basis können wir nicht verhandeln". "Die Verhandlungen sind festgefahren. Auch wenn es schwer fällt, müssen wir den nächsten Schritt gehen". Verdi fordert für die Berliner Verkehrsarbeiter Einkommenserhöhungen, die mindestens auf Höhe der jährlichen Inflationsrate von zuletzt 2,3 Prozent liegen und – so Splanemann – "eine kleine Anerkennung obendrauf". Diese Forderungen liegt schon weit unter den 6,5 Prozent, die Verdi in der kommenden Tarifrunde für zwei Millionen öffentlich Bedienstete auf Bundesebene fordert und gleicht die massiven Gehaltseinbußen der letzten Jahre für die BVG Beschäftigten nicht ansatzweise aus.

Letzte Woche übergaben 50 Mitarbeiter der Vorstandschefin Sigrid Nikutta (Jahresgehalt 380.000 Euro) eine Protestnote. Verhandlungsführer Lothar Andres erklärte dort, dass "die Situation sich unweigerlich zuspitzen wird“, wenn „die Arbeitgeberseite nicht zu weitestgehenden Zugeständnissen bereit ist.“

Die Verkehrsarbeiter wissen, dass diese Posen nur Schall und Rauch sind. Vor nahezu vier Jahren endete ein wochenlanger Arbeitskampf bei der BVG mit einer verheerenden Niederlage. Die Löhne wurden nicht um die geforderten zwölf Prozent, sondern lediglich um drei Prozent erhöht. Aufgeteilt wurde diese Erhöhung auch noch auf zwei Jahre, so dass trotz einiger lächerlicher Einmalzahlungen, ein Reallohnverlust dabei heraus kam. Zudem wurde der neue Tarifvertrag TVN mit seinem Niedriglohnsektor für neueingestellte Arbeiter separat verhandelt und zementiert. Verdi hat sich bei all dem immer als verlässlicher Partner der Senatsparteien erwiesen und den Protest der Arbeiter gebrochen.

Hinter der jetzigen Tarifrunde steht der parteilose Unternehmer und Finanzsenator Ulrich Nussbaum, der bereits im Stabilitätsrat an der Ausarbeitung eines Sanierungsprogramms beteiligt war, das nur minimale Lohnerhöhungen erlaubt. Der Stabilitätsrat ist ein gemeinsames Gremium aus Bund und Ländern, das Haushaltsnotlagen im Zuge der Neuverschuldungssperre ab 2020 durch eine rigorose Kürzungspolitik vorbeugen soll.

Der Rat trifft sich halbjährig und überwacht die Sparmaßnahmen der Landesregierungen. Im Fazit des Rats vom 1. Dezember 2011 wurde folgendes festgehalten: „Das Sanierungsprogramm Berlins ist eine geeignete Grundlage für das Überwinden einer drohenden Haushaltsnotlage und das Erreichen eines ausgeglichenen Haushaltes bereits vor 2020. Wenn die vorgesehene Ausgabendisziplin eingehalten wird, kann Berlin mit dem vorgelegten Sanierungsprogramm den vorgegebenen Abbaupfad der Nettokreditaufnahme bis 2016 einhalten. Die bereits umgesetzten bzw. geplanten Maßnahmen liegen in der Kompetenz des Landes.“ Und weiter unten: „Zur erfolgreichen Sanierung des Landeshaushalts bedarf es der Umsetzung der im Haushaltsentwurf 2012/2013 und in der Finanzplanung bis 2015 enthaltenen oder gleichwertiger Maßnahmen durch den neuen Senat.“

Alle Tarifparteien sind sich darüber einig, einen Tarifabschluss voranzubringen, der einerseits der Sanierungsvereinbarung von 2011 für das Land Berlin Rechnung trägt und andererseits den Schein einer Sozialpartnerschaft wahrt.

Aus diesem Grund lässt sich Splanemann in der Berliner Morgenpost vom 13. Februar wie folgt zitieren: „Wir sind mit einer sehr moderaten Forderung in die Tarifrunde gegangen, die die schwierige Finanzlage des Unternehmens und der Stadt berücksichtigt. Wir haben bewusst viel Handlungsspielraum gelassen.“ Empört zeigt er sich über die KAV-Vertreter, die „das bislang nicht honoriert haben.“ Hintergrund für diese Empörung ist die Sorge um die zugespitzte soziale Lage in Berlin.

Wie die gerade veröffentlichten Berichte zur Armut im Allgemeinen und zur Kinderarbeit zeigen, ist jeder siebte Berliner arm, jedes dritte Kind lebt in Armut, Billiglohnarbeit ist weit verbreitet, die Obdachlosigkeit ist angestiegen, zehntausende Wohnungen wurden privatisiert, alle Mieten sind bis zu 20 Prozent angestiegen, die Wasserpreise wurden verdoppelt und sind jetzt die teuersten in Deutschland. 

Gleichzeitig geisterten durch die Presse in den letzten Wochen Schlagzeilen wie „Berlin ist das Griechenland Deutschlands“ im Zusammenhang mit den Diskussionen zum Länderfinanzausgleich.

Berlins Schuldenstand ist bei 61 Milliarden Euro angelangt. Die SPD-Linkspartei Regierung, die die letzten zehn Jahre die Regierung stellte, hat der arbeitenden Bevölkerung Berlins gezeigt, auf wessen Seite sie steht. Milliarden Euro wurden nicht für mehr an die Bevölkerung zurückgegeben, sondern direkt an die Schuldentilgung oder an die Rettungsschirme für die Banken geleitet.

Wie die Tarifverhandlungen der Vergangenheit in allen Bereichen unter Führung Verdis oder der anderen Gewerkschaften zeigten, werden von ihnen immer nur Minimalforderungen zum Abschluss gebracht, die oftmals faktisch Lohnsenkungen sind. Militante Äußerungen während der Verhandlungen sowie Warnstreiks dienten immer zweierlei: Auffangen und Kanalisieren der berechtigten Wut unter den Beschäftigten und andererseits das eigene Image aufzupolieren.

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