EU und IWF erhöhen Druck auf Ungarn

Die rechte ungarische Regierung von Victor Orban (Fidesz) gerät zunehmend unter Druck der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds. Diese kritisieren Orbans Sparmaßnahmen, weil sie ihnen nicht weit genug gehen, und werfen ihm vor, er beschneide die Selbständigkeit der Nationalbank. Um ihrem Diktat im Interesse der internationalen Finanzmärkte einen demokratischen Anstrich zu verleihen, kritisieren sie nun auch einige undemokratische Aspekte der neuen Verfassung, obwohl diese bereits vor einem Jahr verabschiedet wurde.

Der ungarische Staatshaushalt ist vom Bankrott bedroht. Sowohl die EU als auch die Europäische Entwicklungsbank (EBRD) haben ihre Wachstumsprognosen für das Land korrigiert und rechnen mit einem Rückgang des Bruttoinlandprodukts um 1,5 Prozent. Ungarn hängt nun vollständig von weiteren Krediten des IWF ab. Bereits 2008 konnte das Land nur durch solche Kredite vor der Pleite bewahrt werden.

Ende Januar trafen sich EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sowie der ständige Ratspräsidenten Herman van Rompuy in Brüssel mit dem ungarischen Regierungschef zu informellen Gesprächen. Sie drohten mit Vertragsverletzungs- und Defizitverfahren, um den Druck auf Orban zu steigern.

Die EU-Kommission hat drei Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, und auch Haushaltskommissar Olli Rehn hat die Gangart verschärft, in dem er auf einem Treffen der Finanzminister einen negativen Bericht über Ungarns Anstrengungen zum Abbau des „exzessiven Defizits“ ankündigte. Damit wird die nächste Stufe des Defizitverfahrens einleitet. „Ungarns Maßnahmen waren nicht ausreichend, um das Defizit nachhaltig und glaubwürdig zu korrigieren“, sagte Rehn.

Die Vertragsverletzungsverfahren betreffen die Unabhängigkeit der Nationalbank, der Datenschutzbehörde und der Justiz. Dabei liegt der Schwerpunkt eindeutig auf der Unabhängigkeit der Nationalbank. Laut EU-Vertrag darf sich die Regierung eines Landes nicht in die Geldpolitik der Nationalbank einmischen. In diesem Zusammenhang wird vor allem die Aufstockung des Zentralbankrates um einen Vertreter der Regierung kritisiert.

Kommissionspräsident Barroso erklärte, Ungarn habe „die Unabhängigkeit seiner Zentralbank und seiner Datenschutzbehörden ebenso zu garantieren wie die Diskriminierungsfreiheit seiner Richter“. Die Kommission sei fest entschlossen, alle rechtlichen Schritte einzuleiten, die notwendig seien, um Verstöße gegen das EU-Recht zu unterbinden.

EU-Parlamentspräsident Schulz sagte, er habe das Treffen genutzt, um dem Premier „seine persönlichen Bedenken“ hinsichtlich der neuen Verfassung mitzuteilen. Er warf Orban ein doppeltes Spiel vor. In Budapest würde er das eine, in Brüssel das andere sagen, er solle aber die EU-Parlamentarier nicht für dumm verkaufen.

Dass es Brüssel nicht um die Einhaltung demokratischer Standards und den Schutz der ungarischen Bevölkerung vor den autoritären Maßnahmen der Regierung Orban geht, ist offensichtlich. Als die Fidesz-Mehrheit im Parlament die neue Verfassung vor einem Jahr beschloss, war die Kritik aus den Reihen der EU äußerst zurückhaltend. Zwar äußerten sich einige Vertreter „besorgt“, aber führende europäische Politiker meldeten sich kaum zu Wort.

Fidesz ist Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP), zu der auch die deutschen Unionsparteien CDU und CSU gehören. Orban ist Vizechef der EVP. Sowohl die neue Verfassung wie das ebenso undemokratische Mediengesetz wurden von der EVP verteidigt. Auch jetzt gibt es keinerlei Anzeichen, dass die EVP den Fidesz sanktioniert, was laut Satzung durchaus möglich wäre.

Die Kritik an den Angriffen auf Grundrechte in Ungarn wird lediglich vorgeschoben, nachdem Orban aus populistischen Motiven die Unabhängigkeit der Zentralbank angetastet hat. Das geht auch aus dem jüngsten Bericht des IWF sehr deutlich hervor.

Der IWF macht darin unmissverständlich klar, dass weitere Verhandlungen über Hilfszahlungen nur nach einer Einigung mit Brüssel erfolgen können. Selbst ungarische Regierungsvertreter rechnen nicht mehr mit einem Abkommen vor April. Der IWF fordert eine rasche und rücksichtslose Fortführung der Sparmaßnahmen. Gleichzeitig verbietet er sich jede Einmischung der Regierung in das Finanzsystem des Landes.

Der IWF-Bericht bemerkt, Ungarn habe sich noch nicht von der Krise der Jahre 2008 und 2009 erholt, und kritisiert, viele politische Maßnahmen hätten das Vertrauen der Märkte erschüttert. Der IWF stört sich an mehreren unter Orban beschlossenen Gesetzen. So hatte ein im September erlassenes Gesetz die Banken verpflichtet, in ausländischer Währung vergebene Kredite zu einem festen Kurs in ungarische Forint umzuwandeln. Die Differenz zum aktuellen Wechselkurs müssen dabei die Banken tragen.

Außerdem kritisiert der IWF Veränderungen im Steuersystem. Er stört sich an den Sondersteuern für Wirtschaftsbereiche, die größtenteils in ausländischer Hand sind, wie den Telekommunikations-, den Energie- und den Bankensektor. Gleichzeitig fordert er, dass die Steuerrate für Ungarn entweder erhöht oder ein zweiter Steuersatz für Besserverdiener eingeführt wird, um die Ausfälle im Haushalt von rund 1,7 Milliarden Euro zu verringern. Die Regierung hatte im vergangenen Jahr eine 16-prozentige Flat-Tax eingeführt und in der Verfassung verankert, die Unternehmen und Besserverdienende massiv von Steuern entlastet.

Hauptanliegen des IWF ist die Unabhängigkeit finanzieller Aufsichtsinstitutionen wie der Zentralbank und der staatlichen Finanzaufsichtsbehörde. Deren Handlungsspielraum ist erst kürzlich massiv beschnitten worden. De facto kann die Zentralbank nur noch auf Anweisung der Regierung handeln.

Im Gegensatz dazu lobt der IWF-Bericht die „Reformen” der Regierung. Die Abschaffung der Frührente und die Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger werden ausdrücklich begrüßt. Gleichzeitig fordert der Bericht weitere Maßnahmen, die das „Geschäftsumfeld” und die „Wettbewerbsfähigkeit” Ungarns im Interesse der Märkte verbessern.

Durch den Sparkurs und den Abbau demokratischer Rechte haben Orban und der Fidesz seit der Regierungsübernahme stark an Unterstützung verloren. Sämtliche Umfragen zeigen massive Verluste in der Wählergunst. Mehr als 50 Prozent halten danach ihre Politik für schädlich, mehr als 80 Prozent glauben, das Land gehe in die falsche Richtung.

Deutlich wurde dies auch an der Demonstration zur Unterstützung der Regierung, die vor zwei Wochen von regierungsnahen Kreisen organisiert wurde. Obwohl die von Fidesz kontrollierten Medien offen für die Demonstration warben und regierungsnahe Unternehmer ihren Angestellten frei gaben und Fahrten nach Budapest organisierten, nahmen nur etwa 40.000 Menschen teil.

Der so genannte „Friedensmarsch für Ungarn” hatte einen deutlich gegen die EU gerichteten Charakter. Auf der Abschlusskundgebung, auf der mehrere hochrangige Fidesz-Mitglieder anwesend waren, polterten die Sprecher gegen die EU und beschworen die nationale Unabhängigkeit Ungarns.

Während Orban in Ungarn die nationalistische Karte spielt, ist seine Regierung völlig von EU und IWF abhängig und wird deren Forderungen nachkommen. In dieser Frage kann er sich, bei aller Kritik, auch auf die oppositionellen Parteien verlassen. Das von Orban angestrebte Abkommen mit dem IWF und die Teilnahme am EU-Fiskalpakt werden auch von den Sozialisten (MSZP) unterstützt. Als diese von 2002 bis 2010 die Regierung führten, war Ungarn der EU beigetreten, und sie hatten alle von der EU geforderten Maßnahmen verwirklicht. Mit ihrer rechten Politik bereiteten sie den Boden für den Wahlsieg Orbans und seine Zweidrittelmehrheit im Parlament.

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