Montis Arbeitsmarktreform und die italienischen Gewerkschaften

Die Arbeitsmarktreform des italienischen Premiers Mario Monti vom vergangenen Freitag steht im Mittelpunkt eines Generalangriffs auf die Arbeiterklasse in Italien.

Der Gesetzesentwurf der Regierung kippt den historischen Artikel 18, welcher italienischen Arbeitern bisher einen relativ weitgehenden Kündigungsschutz garantierte. Er besagte bisher, dass Arbeiter in Betrieben von über fünfzehn Beschäftigten das Recht haben, „bei ungerechtfertigter Entlassung“ ihre Wiedereinstellung einzuklagen.

Der Paragraph 18 wurde im Mai 1970 als Teil des Arbeitnehmerstatuts (Statuto dei lavoratori) eingeführt, zusammen mit dem Recht auf Versammlungsfreiheit, dem Recht auf freie Wahl der Gewerkschaftsvertretung, dem Schutz vor Gesundheitsgefährdung und vor Unternehmerwillkür. Dies waren Errungenschaften des „heißen Herbstes“ von 1969, einer Streikwelle in Norditalien mit Zentrum in den Fiat-Werken, an der sich zwei Millionen Metallarbeiter beteiligten.

In der Praxis wurde der Paragraph 18 in den letzten Jahren schon weitgehend ausgehöhlt. Zwar konnten viele Arbeiter nicht ganz so leicht entlassen werden, jedoch wurden sie immer wieder monatelang auf Kurzarbeit gesetzt, wo sie von Cassa Integrazione, dem mageren Kurzarbeitergeld, leben mussten. Betriebsschließungen und Massenentlassungen (wie zuletzt die des Fiat-Werks auf Sizilien Ende 2011) wurden nicht verhindert. Wie in andern Ländern ersetzen die Unternehmer die Festeingestellten immer stärker durch Beschäftigte in befristeten und prekären Arbeitsverhältnissen.

Die neue Arbeitsmarktreform erleichtert nun Unternehmern Entlassungen „aus wirtschaftlichen Gründen“. Sie sieht einen verkürzten Gerichtsprozess vor und gesteht entlassenen Arbeitern nur noch beschränkte Abfindungen zu.

Wenn das Parlament die „Reform“ als Gesetz beschließt, wird dies zweifellos eine Welle von Entlassungen zur Folge haben. Zahlreiche italienische Unternehmen, wie zum Beispiel Fiat, planen bereits massiven Arbeitsplatzabbau. Fiat-Chef Sergio Marchionne drohte vor kurzem damit, in Italien zwei Werke zu schließen und den Hauptsitz des Unternehmens von Lingotto, Turin, nach Detroit, dem Sitz des amerikanischen Partners Chrysler, zu verlegen. Der einzige Weg, in Italien zu bleiben, bestehe darin, „eine flexible Arbeitsatmosphäre zu schaffen, um mit Angebot und Nachfrage umzugehen“, sagte Marchionne, der die Abschaffung des Kündigungsschutzes durch die Regierung ausdrücklich begrüßte.

Als Mario Monti vergangenen Freitag von der Kabinettssitzung kam, auf der er den Paragraphen 18 gekippt hatte, sagte er der Presse in seiner arroganten Art, für ihn sei das Thema erledigt. Er habe nicht die Absicht, zur Versöhnungskultur („Consociativismo“) der 1970er Jahre zurückzukehren. „Ein Vetorecht hat niemand“, sagte Monti. Es war ausgerechnet der 23. März 2012, auf den Tag genau zehn Jahre, nachdem drei Millionen Menschen in Rom zur Verteidigung eben dieses Paragraphen gegen Berlusconi demonstriert hatten.

Der Grund für das provokative Auftreten Montis liegt darin, dass er nicht nur von den Banken und Konzernen, sondern vom gesamten politischen Establishment unterstützt wird. Von Seiten der so genannten „Linken“ werden ihm keine Steine in den Weg gelegt, weder von den Gewerkschaften (einschließlich der „linken“ CGIL), noch von den Nachfolgeparteien der KPI oder der Partei Rifondazione Comunista. Sie alle haben den Premier ausdrücklich begrüßt, der von den europäischen Banken beauftragt ist, der italienischen Arbeiterklasse eine Rosskur zu verpassen. Die jüngste „Reform“ ist ein wichtiger Bestandteil davon.

Schon ein paar Tage vor der entscheidenden Kabinettssitzung hatte Monti am 9. März den Hoffnungsträger der „linken“ Kräfte, den apulischen Regionalpräsidenten Nichi Vendola (ehemals Rifondazione, heute SEL) in den Palazzo Chigi eingeladen. Zweifellos hat er sich da schon seiner Unterstützung im Fall der Arbeitsmarktreform versichert.

Während die zwei Gewerkschaften CSIL und UIL der Reform offen zustimmen, droht die größte CGIL und ihr Metallarbeiterflügel FIOM jetzt mit einem zweitägigen Generalstreik. Dies entspricht einem Spiel mit verteilten Rollen. CGIL und FIOM schaffen ein Ventil für den Unmut der Arbeiter. Ihre befristete Aktion dient dazu, Dampf abzulassen und die Stimmung unter den Belegschaften nicht überkochen zu lassen.

Alle Gewerkschaften, einschließlich der CGIL, haben schon 2009 einem Abkommen mit dem italienischen Unternehmerverband Confindustria zugestimmt, das die Arbeitsbeziehungen „beschleunigen“ sollte. Schon dieses Abkommen widersprach dem bisher bestehenden nationalen Arbeitsvertrag.

CGIL-Chefin Susanna Camusso hat während dreier Monate in enger Partnerschaft mit Arbeitsministerin Elsa Fornero das neue Arbeitsrecht mit ausgearbeitet. Jetzt warnt sie die Regierung vor einer zu raschen Durchsetzung. Vor allem pocht sie auf die Zusammenarbeit der Regierung mit den Gewerkschaften und klagt darüber, dass Regierungschef Monti diese Zusammenarbeit zu wenig pflege.

Die CGIL hat bisher nicht gesagt, wann sie ihren angedrohten Streik ausrufen wird. Dies soll offenbar geschehen, wenn die Arbeitsmarktreform im Parlament verhandelt wird. Dort hat die Regierung nicht nur die Unterstützung der Berlusconi-Partei PdL und des Dritten Pols des Neofaschisten Gianfranco Finis, sondern auch der Demokratischen Partei (PD), die ursprünglich aus der KPI entstanden ist.

Die PD diskutierte am Dienstag ihr Vorgehen in dieser Frage. Anschließend sagte PD-Führer Pierluigi Bersani der Zeitung Unità, die Unterstützung für Monti stehe nicht in Frage. Diese Regierung werde wie geplant bis 2013 im Amt bleiben.

Monti, der sich keiner demokratischen Wahl hat stellen müssen, kann sich auf eine breite Koalition von Rechts bis ganz Links stützen. Die Zeitung Corriere della Sera schilderte am Sonntag eine Szene am Rande der Wirtschaftskonferenz vom 24. März in Cernobbio. Beim Essen bietet Mario Monti der Gewerkschaftschefin Camusso den Platz neben sich an, während weitere Politiker sich um die beiden gruppieren. Journalisten verfolgen gespannt die Unterhaltung. Hier ein kurzer Ausschnitt:

Monti zu Camusso: „Mir scheint, wenn du gehst, haben wir noch keinen Frieden gemacht?“ Gianfranco Fini (mischt sich ein): „Die Regierung hat entschieden, jetzt ist das Parlament dran. Und die Sozialpartner haben die Möglichkeit… – zuzuschauen.“ Camusso: „Zuschauen? Druck machen!“

Die Szene zeigt, wie vertraulich die Führer von Gewerkschaft, Regierung und Parteien miteinander umgehen (zum Beispiel duzen sich alle). Sie sind Teil einer superreichen Elite, die der arbeitenden Bevölkerung feindlich gegenübersteht.

Auf der anderen Seite wächst der Widerstand gegen die Regierung. Laut einer Umfrage im Auftrag von Corriere della Sera ist die Zahl derer, die Montis Politik gut finden, in nur zwei Wochen von 62 auf 44 Prozent gefallen. Der Grund ist die soziale Lage, die sich durch die zwei ersten Sparpakete von Mario Monti („Rette Italien“, „Wachse Italien“) dramatisch verschlechtert. Jugendliche und Senioren sind am stärksten betroffen. Die Kosten explodieren, während Arbeitsplätze schwer zu finden sind. Die Benzinpreise nähern sich zusehends der zwei Euro-Grenze pro Liter und werden mit über 57 Prozent am höchsten von ganz Europa besteuert.

Für hunderttausende ältere Menschen hat außerdem die Rentenreform des ersten Monti-Pakets das Leben unerträglich erschwert. Wie die Sendung „Report“ auf Rai-3 am Sonntagabend enthüllte, sind allein 350.000 ältere Arbeitnehmer deswegen in eine Sackgasse geraten, weil sie unter der früheren Rentenregelung eine Art Altersteilzeit oder Frührente an ihrem Arbeitsplatz abgeschlossen hatten. Ihren Arbeitsplatz haben sie aufgegeben, doch nach Montis neuer Regelung erhalten sie nun keine Rente, und Aussicht auf eine neue Stelle gibt es nicht.

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