Neuer Außenminister beseitigt politische Instabilität in Australien nicht

Zweiwöchige politische Tumulte in der australischen Regierung gipfelten am Freitagmorgen in der überraschenden Ankündigung von Premierministerin Julia Gillard, dass der ehemalige Premierminister von New South Wales (NSW), Bob Carr, nun doch in den Senat aufgenommen und das Amt des Außenministers übernehmen werde. Noch 24 Stunden zuvor hatten die Medien über Gillards Rücknahme ihres ursprünglichen Angebots an Carr vom Montag berichtet. Grund war, dass wichtige Kabinettsmitglieder sich gegen Carrs Ernennung gewandt hatten.

Carr kehrt in die Bundespolitik zurück, nachdem Kevin Rudd am 22. Februar als Außenminister zurückgetreten und sein Kampf um die Führung der Labour Party am Montag gescheitert war. Gillard, die Rudd im Juni 2010 als Premierminister in einem politischen Putsch gestürzt hatte, besiegte ihn in einer Abstimmung der Parlamentsfraktion der Labor Party mit 71 zu 31. Rudd zog sich daraufhin auf die Hinterbänke zurück.

Einer der wesentlichen Faktoren hinter der Krise der Labor Party ist das fundamentale Dilemma des australischen Establishments: die zunehmenden Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten, dem wichtigsten militärischen Verbündeten Australiens, und China, dem größten Handelspartner des Landes. Rudd wurde durch die Intrigen einer kleinen Verschwörergruppe fraktioneller Strippenzieher in der Labor Party mit engen Verbindungen zur US-Botschaft aus dem Amt entfernt. Er wurde gestürzt, weil die Obama-Regierung zunehmend mit seinen Forderungen unzufrieden war, die USA sollten sich mit Chinas wachsendem Einfluss arrangieren. Außerdem störten sie sich an seinem nachlassenden Enthusiasmus für die Besetzung Afghanistans.

Unter Gillard ist die australische Außenpolitik viel stärker auf den Kurs Washingtons eingeschwenkt. Im November kamen Gillard und Obama überein, amerikanische Truppen in Darwin zu stationieren und die Bewegungsfreiheit der amerikanischen Marine im Norden und Westen des Landes auszudehnen. Rudds Versuch, das Regierungsruder wieder zu übernehmen widerspiegelt die anhaltende Nervosität herrschender Kreise über Australiens allzu enge Verbindung mit der immer konfrontativeren Haltung der USA gegenüber China.

Gillard behauptete in ihrer Siegesrede am Montag, dass die Konflikte in der Labor Party nun aufhören würden und dass die Regierung geschlossen hinter ihr stehe. Nur Stunden später trat Senator Mark Arbib, eine der zentralen „Quellen“ der US-Botschaft, der an der Verschwörung zu Rudds Sturz beteiligt war, unvermittelt als Abgeordneter zurück. Dadurch machte er einen Sitz im Senat frei, der jetzt ohne Neuwahl mit einem Labor-Party-Kandidaten besetzt werden konnte.

Noch am gleichen Tag wurde Carr angesprochen, ob er den Platz nicht einnehmen wolle. Er stimmte zu, aber nur unter der Bedingung, dass er auch das Amt des Außenministers bekomme. Nach mehreren Telefonaten mit Gillard wurde schließlich noch am selben Abend Einvernehmen erzielt. Das Angebot traf sofort auf den heftigen Widerstand des Verteidigungsministers Stephen Smith und des Regionalministers und ehemaligen Labor-Chefs Simon Crean, sowie mehrerer ungenannter „Schwergewichte verschiedener parteiinterner Fraktionen“, wie der Sydney Morning Herald berichtete. Am Dienstagmorgen wurde Carr, der gerade nach Canberra zu einer Pressekonferenz fliegen wollte, von Vizeregierungschef und Finanzminister Wayne Swan angerufen, der ihm mitteilte, dass der Deal vom Tisch sei.

Die Enthüllung, dass Gillard in der Frage der Besetzung eines Schlüsselministeriums überstimmt worden war – was normalerweise als Schlüsselkompetenz des Premierministers gilt -, brachte die erst am Montag geschaffene Aura der Einheit und Stärke wieder zum Einsturz. Die parlamentarische Fragestunde am Mittwoch war völlig von den Bemühungen der liberalen Opposition beherrscht, sie zur Wiederholung ihrer früheren Erklärung zu verleiten, dass ein Bericht im Australian über eine „Meuterei im Kabinett völlig unwahr“ sei. Bei einer Lüge im Parlament erwischt zu werden, ist traditionell Grund für einen Rücktritt.

Am Donnerstag schlug das Chaos wieder über der Regierung zusammen und Gillards Führungsposition geriet erneut in akute Gefahr. Der Leitartikel im Australian erklärte, dass die „bedauernswerte Geschichte erneut die Autorität und Führungsfähigkeit der Premierministerin infrage stelle.“ Der führende australische Kolumnist Greg Sheridan geißelte Gillards „Versagen“, Carr durchzusetzen und mutmaßte, dass Rudds Niederlage „wahrscheinlich den Weg für einen dritten Kandidaten innerhalb von sechs Monaten öffnet.“ Er schloss: „Man kann es sich kaum schlimmer vorstellen. Aber man weiß ja nie.“

Der Kolumnist der Australian Financial Review, Geoff Kitney, erklärte: “Gillards Neuanfang sieht schon jetzt eher wie der alte missratene aus.” Sie hat den „Eindruck von Schwäche und dem taktischen Ausweichen vor Problemen hinterlassen“.

Gillard und ihre Verbündeten bemühten sich daraufhin um Schadensbegrenzung. Carr erhielt ein erneutes Angebot für die Position. Er war am Freitagmorgen in Canberra und stand neben Gillard, als sie die Details ihrer Kabinettsumbildung bekanntgab.

Carrs Ernennung zum Außenminister wird die politische Instabilität der Labor-Regierung allerdings nicht beenden. Sie garantiert vielmehr, dass die außenpolitische Kontroverse über das Dilemma der Beziehungen zwischen den USA und China in den höchsten Regierungskreisen weiter gehen wird.

Der 64-jährige Carr war von 1995 bis 2005 Premierminister von New South Wales (NSW), dem bevölkerungsreichsten australischen Bundesstaat. Er führte eine rechte Regierung, die engste Beziehungen zu Wirtschaftsinteressen und besonders zur Macquarie Bank unterhielt, einem bedeutenden Investmenthaus. Als er aus der Politik ausschied, übernahm Carr eine hoch bezahlte Beratungsfunktion bei Macquarie. Zusätzlich erhielt er weiterhin hohe Bezüge vom Staat. Alleine in den drei Jahren von 2009 bis 2011 kostete er das Finanzministerium von NSW 1,47 Millionen Dollar.

In der Bundesregierung wird Carr zweifellos die Forderungen der Banken und der Großkonzerne nach drastischen wirtschaftlichen Umstrukturierungen und Haushaltskürzungen unterstützen. Er kann Gillard vielleicht aufgrund seines Einflusses im wichtigen Landesverband NSW eine stabilere Basis im Fraktionsdschungel der Labor Party verschaffen. Außenpolitisch vertritt er aber im Wesentlichen den Standpunkt Rudds. Natürlich unterstützen beide entschieden das amerikanisch-australische Bündnis, aber sie sprechen für Interessen im wirtschaftlichen und politischen Establishment, die über Obamas konfrontative Haltung gegenüber China tief besorgt sind.

Carr sagte auf der Pressekonferenz am Freitag, dass der wirtschaftliche Aufstieg Chinas und Indiens seine Arbeit als Außenminister stark beanspruchen werde. „Das Feintuning der australischen Reaktion auf diese Entwicklung erfordert eine Menge harter politischer Arbeit. Gleichzeitig muss die Unantastbarkeit unserer Bündnisverpflichtungen mit den USA, wie wir Australier sie verstehen, gewahrt bleiben“, sagte er.

Diese Aussage ließ Fragen über Einträge in seinem persönlichen Blog vom vergangenen Jahr aufkommen, in denen er die militärischen Absprachen vom November letzten Jahres infrage stellte und Barack Obamas „seltsame Rede (im australischen Parlament) gegen China“ kritisierte und eine Annäherung Washingtons und Pekings verlangte. Gestern versuchte Carr, diese Äußerungen als Ansichten eines „Privatmanns“ herunterzuspielen, wohingegen er „von jetzt an als verantwortliches Mitglied der Regierung sprechen werde.“

Mit seiner Ernennung zum Außenminister musste Carr natürlich erklären, die Regierungslinie vertreten zu wollen. Aber gleichzeitig werden seine „Ansichten als Privatmann“ natürlich seine Haltung am Kabinettstisch und seine Amtsführung beeinflussen. Einer der prominentesten Befürworter einer amerikanisch-chinesischen Annäherung, der strategische Analyst Hugh White, sagte dem Australian, dass Carr „meilenweit entfernt sei von einer Haltung nach dem Motto immer-an-der-Seite-der-USA.“

Der Konflikt in den herrschenden Kreisen über die Außenpolitik kommt daher, dass es für das Dilemma der australischen Kapitalistenklasse keine Lösung gibt, die ihren Interessen dient. Ihr Bündnis mit den USA zu schwächen, würde gleichzeitig ihre finanziellen und strategischen Interessen in der Region schwächen. Gleichzeitig bedroht ihr Bündnis mit den USA ihre expandierenden Exportmärkte in China, von denen die wirtschaftliche Lebensfähigkeit des australischen Kapitalismus abhängt.

Philip Stephens von der Financial Times kommentierte am 2. März in einem Artikel über die amerikanisch-chinesischen Handelsspannungen und die Spannungen im Südchinesischen Meer: „Es gibt das ganz reale Risiko von falschen Einschätzungen aufgrund von tiefem Misstrauen und die Gefahr, dass ein kleiner Zwischenfall in einen größeren Konflikt eskaliert.“ Die enge Gefolgschaft der Gillard-Regierung zu den USA bedeutet, dass Australien sofort in eine solche Katastrophe hineingezogen würde.

 

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