Die Eiserne Lady. Regie : Phyllida Lloyd, Drehbuch:Abi Morgan
Der Film Die Eiserne Lady, eine fiktive Erzählung über den Aufstieg und Fall der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher, hätte ein zumindest interessantes, sogar ein wichtiges Werk werden können. Wieso kam dann bloß ein solch spektakulärer Fehlschlag, mit der einzigen Ausnahme der wirklich bemerkenswerten Darstellung Thatchers durch Meryl Streep, heraus?
Die Eiserne LadyDies ist wirklich eine armselige Arbeit. Nur Streep, deren Darbietung im Mittelpunkt steht, sowie die durchweg brillante Besetzung, die zu ihrer Unterstützung aufgeboten wurde, bewahrt Die Eiserne Lady davor, gerade einmal die emotionale Überzeugungskraft und künstlerische Vollkommenheit zu erreichen, die das besondere Gütesiegel für TV-Produktionen sind.
Es bleibt unerklärlich, wie die beiden Verantwortlichen für das Werk, das Gespann Phyllida Lloyd (Regie) und Abi Morgan (Drehbuch), solche eine Folge hoffnungslos kompromittierender Entscheidungen treffen konnten.
Man mache sich jene Frau zum Thema, die am engsten mit einer Periode dramatischer sozialer und politischer Veränderungen sowie explosiver Klassenkonflikte in Verbindung steht – nicht nur in Großbritannien, sondern weltweit – und reduziere all dies auf eine weitestgehend unzusammenhängende und unkritisch präsentierte Kulisse. Sodann richte man seine Aufmerksamkeit in gleichem Maße auf die Gebrechlichkeit einer einst mächtigen Persönlichkeit, die jetzt an Demenz leidet. Auch eine Liebesgeschichte darf nicht fehlen. Sie wird dargeboten in einer Reihe imaginierter Zusammenspiele zwischen Thatcher und ihrem verstorbenen Ehemann Denis (dargestellt von Jim Broadbent).
Dieser Kunstgriff bezweckt offenbar, Thatcher zu vermenschlichen. Phyllida Lloyd sagte dem Guardian, ihr Film handele „von Verlust, von Identität und hohem Alter und vom Vergessen, mit dem man konfrontiert ist…Er handelt von uns. Er handelt von unseren Müttern. Er handelt von unseren Vätern. Und von uns. Wie wir sein werden…Wir fordern die Menschen nicht auf, anders zu wählen. Es ist einfach eine Reflexion über die Sterblichkeit. Dies ist keine Bitte um Vergebung für Politik. Es ist eine Reflexion über die Bilanz eines großen Lebens.“
Wäre dies alles, was Die Eiserne Lady zu tun versuchte, so bliebe es eine ziemlich oberflächliche Sache. Schließlich wissen wir, dass Thatcher ein leibhaftiger Mensch ist, inklusive menschlicher Unzulänglichkeiten. Warum aber wurde die frühere Premierministerin, die nur aufgrund der Besonderheiten ihres öffentlichen Lebens interessant ist, als die Verkörperung allgemeinmenschlicher Erfahrungen ausgewählt?
Die weitestgehend sympathisierende Behandlung Thatchers, darunter auch die Darstellung ihrer politischen Ansichten und Handlungen in der Regierung, verschlimmern die Sache weiter. Lloyd beschreibt Thatcher in ziemlich begeisterten Worten als „eine kraftvolle Führerin, die gegen alle Erwartungen an die Regierung kommt. Sie bleibt bei der Stange, als alle anderen ihren Glauben verlieren, sie wird ein weltweiter Superstar, und dann, entweder aufgrund ihrer eigenen Hybris oder wie manche es sehen, aufgrund des Verrats aller sie Umgebenden, stürzt sie in einem entwürdigenden Ende ab.“
Lloyd, selbst eine Feministin, weist Thatcher eine Rolle zu, in der sie so etwas wie feministische Symbolik ausstrahlt. Sie beschreibt ihre eigene Reaktion auf Thatchers Wahlsieg im Jahr 1979 als: „Ja! Sie ist die erste von uns, die es geschafft hat.“
Morgans Drehbuch ist von ähnlicher Stimmung geprägt. Sie sagte dem Empire-Magazin, dass „ein Teil von mir sie bewundert, ein anderer Teil denkt, dass sie etliche Dinge zerstört hat…Man kann nicht Gutes tun, ohne Schlechtes zu tun.“
Weiterhin erklärte sie der Zeitung Telegraph: “Phyllida hatte die sehr zwingende Idee, dass wir die Dinge von Margarets Standpunkt aus betrachten müssten.“
Zumindest darin hat der Film sein Ziel erreicht. Thatcher wird im überwiegenden Teil so dargestellt, wie sie sich selbst sehen würde: als eine Person mit starker Überzeugung, auf allen Seiten von rückgratlosen Männern umgeben, deren Standardreaktion prinzipienlose Kompromissbereitschaft ist.
Die Behandlung der einzigen anderen substanziell entwickelten Figur, Denis Thatcher, den Broadbent als jovialen alten Griesgram spielt, ist besonders lachhaft. Thatcher war ein ganz grauenvoller Mann, ein antikommunistischer Multimillionär und Bewunderer der südafrikanischen Apartheid, der die Bevölkerung von Brixton im Süden Londons als „Hottentotten“ bezeichnete. Vor diesem Hintergrund kann diese als liebenswert süßliche Kontrastfigur zur kalten und kargen Thatcher konzipierte Rolle manchmal bloß Ekel erregen.
Außer Denis haben alle anderen Figuren verklärte Statistenrollen. Ihr einziger offensichtlicher Zweck besteht darin, Thatcher im Vergleich besser aussehen zu lassen. Tatsächlich wurde Thatcher als Repräsentationsfigur des rechten Flügels in der Konservativen Partei bekannt. Eine Seilschaft von Hintermännern entwickelte ihre Politik und gab die Richtung vor.
Indes ist Airey Neave (Nicholas Farrell) die einzige andere Person, von der die Filmemacherinnen meinten, sie dürfe gewissen Einfluss auf Thatcher haben. Dieser Rechtsaußenpolitiker wird in heroischem Licht porträtiert. Den größten Teil des Films über wird Thatcher als eine alles in den Schatten stellende Naturmacht geschildert, als ein Stern, der in ruhmvoller Einsamkeit glänzt. Es fehlt jede Erklärung dafür, warum die Tory Party und die gesamte herrschende Elite eine solch anerkanntermaßen polarisierende Figur zu ihrer Führerin wählten, „die den Sozialismus in die Schranken weisen“ sollte.
Die einzige ausführlicher dargestellte Person aus der Labour Party ist [der Labour-Linke] Michael Foot (Michael Pennington). In einer Szene wirft er Thatcher ihre regressive Wirtschafts- und Sozialpolitik vor. Die Arbeiterklasse findet am Rande Erwähnung, als Lloyd kurz auf Ereignisse wie den Bergarbeiterstreik von 1984/85 und die Antikopfsteuer-Unruhen (1989/90) eingeht. Sie stützt sich hierbei meistenteils auf Medienberichte üner verschiedene Kämpfe mit der Polizei.
Das einzige politische Ereignis, dem größere Aufmerksamkeit gewidmet wird, ist der Falklandkrieg. Hier sollen uns besonders dreist die Augen verkleistert werden. Zunächst wird Thatcher uns als Kind während der Bombenangriffe gezeigt, die die deutsche Luftwaffe auf Grantham durchführte und dann als Terrorismusopfer in den Fängen der IRA. Dann erscheint die Die Eiserne Lady als eine neue Version des britischen Premierministers Winston Churchill. Thatcher, die aufrichtige Bewunderin des chilenischen Diktators General Augusto Pinochet, wird dargestellt, wie sie in leidenschaftlicher Entschlossenheit die „Faschisten“ der argentinischen Junta zu besiegen verspricht. Die Versenkung des argentinischen Kreuzers ARA General Belgrano[1] im Mai 1982 wird im Film gerechtfertigt. Das geschah, als das Schiff sich außerhalb der von Großbritannien deklarierten Sperrzone befand und sich von dieser entfernte. 323 Argentinier wurden dabei getötet. Das Militär erklärt Thatcher, dass das Schiff hätte einfach wieder umkehren und eine Zangenbewegung vollführen können.
Später sitzt Foot sprachlos auf der Oppositionsbank und muss mit anhören wie die siegreiche Thatcher erklärt, dass jetzt die Zeit der nationalen Einigkeit, und nicht der Nörgelei, gekommen sei. Das tatsächliche Verhältnis Labours und der Gewerkschaften zu Thatcher, sowie Foots Unterstützung für ihr Falklandabenteuer, wird niemals thematisiert. Ihre Siege über die Arbeiterklasse waren nicht primär der Polizeigewalt und juristischen Unterdrückung zu verdanken, sondern sind erst möglich geworden durch den Verrat der Gewerkschaften sowie der Annahme einer leicht verwässerten Version von Thatchers Orthodoxie der freien Marktwirtschaft unter Foots Nachfolger Neil Kinnock.
Lloyd vergleicht Thatchers Niedergang und ihr darauffolgendes Schicksal mit König Lear. Sie wird sogar als beinahe krankhaft von Hybris besessen porträtiert, als sie schließlich in einem Führungskampf im November 1990 aus der Führung gedrängt wird. In Wirklichkeit war Thatcher zu diesem Zeitpunkt schon so weitgehend unbeliebt, dass die Tories eine Wahlniederlage fürchteten. Sie wurde zur Zielscheibe ihrer proeuropäischen Gegner und von zahlreichen ehemaligen Anhängern fallengelassen. Die Partei war angesichts der Frage einer gemeinsamen europäischen Währung tief gespalten. Ein Jahrzehnt später, als Thatcher 75 war, traten bei ihr erste Zeichen von Demenz auf.
Nichts davon eignet sich als Stoff für eine große Tragödie. Thatcher ist nicht Lear. Ihre Kinder Mark und Carol sind nicht Goneril und Regan. Ebenso wenig taugen hierzu die Tory-Politiker Geoffrey Howe (Anthony Head) und Michael Heseltine (Richard E. Grant).
Und hier zeigt sich der wesentliche Mangel der Eisernen Lady. Kein Drehbuchautor oder Regisseur ist verpflichtet, eine ausführliche politische Betrachtung der Thatcherjahre anzustellen. Auch ist es nicht nötig oder gar ratsam für einen Künstler, Thatcher zu dämonisieren. Regisseurin und Drehbuchautorin erklärten, sie hätten dies vermeiden wollen. Allerdings muss eine ernstzunehmende Behandlung zumindest ehrlich und schlüssig sein. Sie sollte auf einem Mindestmaß an historischer Wahrhaftigkeit gründen. Nur dies macht es möglich, echte emotionale und psychologische Einsichten zu gewinnen. Was aber wird uns stattdessen geboten? Eine Schilderung von Thatchers Lebensabend, immer noch von Luxus und ihrem sie bedienenden Personal umgeben. Trotz mühsamer Anstrengungen Streeps bleibt dieses Personal unbeteiligt und unbeweglich.
Thatcher ist unauslöschlich verknüpft mit dem Übergang der herrschenden Klasse von einer im Klassenkompromiss wurzelnden Politik und begrenzten Reformen hin zu Klassenkonfrontation und hemmungsloser Finanzspekulation. Diese dauerten unter der nachfolgenden Labourregierung im Jahr 1997 unvermindert fort. Sowohl Tony Blair als auch Gordon Brown nannten Thatcher ihre Inspiration.
Das Resultat unter dem Strich war eine historisch beispiellose Überführung des gesellschaftlichen Reichtums in die Hände der Finanzoligarchie.
Die Eiserne Lady kommt zu einem Zeitpunkt in die Kinos, in dem David Camerons konservativ-liberaldemokratische Koalition brutale Sparmaßnahmen einführt, um die Arbeiter für den Zusammenbruch zahlen zu lassen, den die Rezepte des freien Marktes verursacht haben, auf denen Thatchers historische Reputation beruht. Unter solchen Umständen ist es nicht einfach nur eine künstlerische Entscheidung, eine unparteiliche Haltung bei der Darstellung ihres Lebens einzunehmen. Dies deutet auf einen Wunsch hin, etwas zu produzieren, das generell von der herrschenden Elite akzeptiert wird. Diese beabsichtigt, Thatcher ein Staatsbegräbnis auszurichten und wünscht unter solch angespannten politischen und sozialen Gegebenheiten keine Infragestellung ihrer Erbschaft.
[1] ARA = Armada República Argentina (argentinische Marine)
