Schlecker: „So unsozial wurde ich noch nie behandelt“

An dieser Stelle veröffentlichen wir regelmäßig Beiträge und Briefe von Schlecker-Mitarbeiterinnen, die sich an die World Socialist Web Site gewandt haben. Wir wollen auf diese Weise die Verständigung zwischen den Kolleginnen über die Konzernleitung, die Insolvenzverwaltung und die Gewerkschaft ermöglichen und die Erfahrungen zugleich anderen Arbeitern auf der ganzen Welt zugänglich machen. 

Wir rufen alle Schlecker-Mitarbeiterinnen auf, sich unter „wsws [at] gleichheit [punkt] de“ an die Redaktion zu wenden, um eigene Beiträge einzureichen. Außerdem wollen wir helfen, von Verdi unabhängige Strukturen in Form von Aktionskomitees aufzubauen. In solchen Aktionskomitees können sich Kollegen treffen, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen, die politischen Zusammenhänge zu diskutieren und schließlich eigene Arbeitskampfmaßnahmen vorbereiten. 

Weil wir die betreffenden Mitarbeiter vor Entlassung und Repression schützen wollen, veröffentlichen wir die Beiträge anonymisiert. Die Namen sind der Redaktion bekannt. Heute veröffentlichen wir den Beitrag einer Mitarbeiterin, die selbst einmal Betriebsratsmitglied war und über die unsoziale Verdi-Politik berichtet.

„Damals, als die ersten Betriebsratswahlen stattfanden, ließ ich mich aufstellen. Ich wollte eigentlich nur Kolleginnen helfen, die sich selbst nicht zu helfen wussten, und die Firma auf eventuelle Verstöße aufmerksam machen. War ich blauäugig, aus der heutigen Sicht! Ich ahnte damals nicht, dass alles durch Betriebsratswahlen so aus dem Ruder laufen würde. Ich stellte schnell fest, dass die Betriebsräte in erster Linie für ihre eigenen Belange kämpften. Es wurden Klagen eingereicht, wo ich nur den Kopf schütteln konnte.

Es war mir alles zu korrupt. Wirklich wichtige Dinge wurden übergangen. Ich machte den Vorschlag, gegen bestimmte Putzarbeiten anzugehen, da es weder in das Berufsbild einer Verkaufsstellenverwaltung noch in das einer Verkäuferin/Kassiererin reinfällt. Nein, da ist doch das ergonomische Sitzen im Betriebsratsbüro als wichtiger eingestuft worden.

So ging es vier Jahre lang. Ich wollte kein Betriebsrat mehr sein. Mein Gewissen sagte mir, dass ich ohne Betriebsräte besser bedient bin. Es wurde nach Problemen gesucht, wo keine waren, und richtige Probleme wurden ignoriert.

Die letzten Betriebsratswahlen bei Schlecker wurden sogar von Seiten meiner Bezirksleiterin beeinflusst. Sie riet den Mitarbeitern, die in die Sozialauswahl fallen würden, aber zu ihren „Lieblingen“ zählten, sich aufstellen zu lassen, um den gesonderten Kündigungsschutz zu genießen.

Wir wussten zu diesem Zeitpunkt alle, dass etliche Schließungen anstehen und eine Sozialauswahl stattfinden wird. Ich fühlte mich sicher, 18 Jahre im Unternehmen und Leiterin einer umsatzstarken Filiale. Ich wurde trotzdem Ver.di Mitglied wegen des Sozialsicherungstarifvertrags. Ich habe nie viel von Ver.di gehalten. Die Firma war nicht immer fair zu mir, aber so unsozial, wie ich von Seiten des Gesamtbetriebsrats, Ver.di und dem Insolvenzverwalter behandelt wurde, als ich meine Kündigung im Briefkasten hatte oder als ich vorher alles aus den Medien erfahren musste, wurde ich im Betrieb selten behandelt.

Kurz vor unserer Kündigung wurden wir zu einer Veranstaltung der Transfergesellschaft eingeladen.

Nacheinander wurden Reden gehalten von Ver.di, Arbeitsamt und dem Veranstalter. Ich bat um das Mikrofon und klärte die „ehemaligen“ Schlecker-Mitarbeiterinnen auf, dass die Leute, die die Kündigungslisten erstellt haben, die gleichen Leute sind, die die Aufhebungsverträge ausgearbeitet haben, und dass sie kein Interesse daran haben, uns zu vertreten. Ich wollte die Kolleginnen wachrütteln, erklärte, dass uns Verdi, Gesamtbetriebsrat und die Insolvenzverwaltung verraten und verkauft haben.

Schlecker hat laut eines Vertreters der Insolvenzverwaltung 1.200 Betriebsräte im Unternehmen behalten, die bei einer normalen Sozialauswahl fast alle weg gewesen wären, und hat langjährige Arbeitnehmer sowie auch Behinderten gekündigt. Soweit ich es sehen kann, hat keine richtige Sozialauswahl stattgefunden. Es wurden zum Beispiel alle Verkaufsstellenverwaltungen eines Betriebsratsbezirks auf eine Liste gesetzt. In meinem Bezirk standen 21 Frauen auf dieser Liste. Durch die ganzen Schließungen wurden noch 5 Damen benötigt. Es hätten also 16 Kündigungen ausgesprochen werden müssen. 7 der Kolleginnen fungierten allerdings als Betriebsräte. So wurden dann die 14 restlichen entlassen. Ich hätte an Stelle 4 gestanden, wegen Betriebszugehörigkeit und Alter. Nein, auch ich wurde wegrationalisiert.

Der ganze Vertrag bzgl. der Transfergesellschaft war eine Farce, und es wurden von GBR und Ver.di nur unvollständige Informationen herausgegeben. Wir sollten auf alle Rechte gegen Schlecker verzichten, um ein halbes Jahr länger arbeitslos sein zu können und 80% des Gehaltes zu beziehen. Es handelte sich hierbei um Kurzarbeitergeld, bei dem Lohnsteuer nachgezahlt werden muss, das erwähnte keiner. Bei der Arbeitslosigkeit werden die letzten 12 Monate Verdienst berechnet und davon gibt es dann ALG1.

Ich bat alle, zum Anwalt zu gehen und den Vertrag prüfen zu lassen. Alle waren begeistert von meiner Ansprache. Trotzdem unterschrieben fast alle den Vertrag. Ich war glücklich, dass die Transfergesellschaft nicht zustande kam. Die Leute wären ins offene Messer gelaufen.

Danke an Ver.di, Ironie pur, die den Leuten rieten, nicht zu klagen. Was seid Ihr nur für ein Haufen. Ihr wart es doch, die immer mobil gemacht habt zu klagen. Jetzt, da geht es um Eure Leute, da sollte man dann lieber friedlich sein. Solche Wendehälse sind mir selten untergekommen. Wer braucht so was. Jede gute Rechtsschutzversicherung ist billiger und besser. Ein Anwalt für Arbeitsrecht hat noch nicht versucht, mich über den Tisch zu ziehen.“

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