Verdi bereitet weitere Angriffe auf die Schlecker-Mitarbeiter vor

Nachdem Verdi die Kündigung von 11.000 Schlecker-Mitarbeitern und die Schließung von 2200 Filialen organisiert hat, setzt sich die Dienstleistungsgewerkschaft nun erneut mit Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz zusammen. Bei den Gesprächen soll es um die Arbeitsbedingungen und Löhne der verbliebenen 13.500 Mitarbeiter sowie die Zukunft des insolventen Schlecker-Konzerns gehen. Angesichts der Rolle, die Verdi bisher gespielt hat, müssen sich die Beschäftigten auf massive Angriffe gefasst machen.

Bisher haben Verdi und der von ihr dominierte Gesamtbetriebsrat (GBR) alles getan, die Last der Insolvenz auf die Mitarbeiter abzuwälzen. Sie akzeptierte nicht nur die Massenentlassungen ohne jede Arbeitskampfmaßnahme, sie übernahm sogar selbst die Organisation der Kündigungen und setzte die Betroffenen unter Druck, auf rechtliche Mittel zu verzichten.

Im Rahmen einer Betriebsversammlung in Mannheim verkündete Verdi-Funktionär Stephan Weis-Will nun, dass die entlassenen Frauen bis zum offiziellen Kündigungstermin am 30. Juni keinen Lohn erhalten würden. Laut „Sozialtarifvertrag“, erklärte er, könnten die betreffenden Mitarbeiter möglicherweise in einigen Jahren Ansprüche geltend machen. Generell könne man aber maximal zweieinhalb Bruttomonatslöhne erwarten.

Den Tausenden betroffenen Frauen, die sich deshalb seit Montag arbeitslos melden mussten, empfahl er gegen diesen Diebstahl keinen Einspruch einzulegen, sondern sich schnellstmöglich nach neuer Arbeit umzusehen, um einen Aufhebungsvertrag abschließen zu können, der den Konzern von allen Verpflichtungen entbinden würde.

Die verbliebenen Angestellten bereitete Weis-Will auf die anstehenden Kürzungen vor. Es werde, sagte er, „eine Ecke weniger Geld geben“. Auch Verdi-Verhandlungsführer Bernhard Franke sagte gegenüber der Südwest Presse, zur Sanierung sei nun auch ein Beitrag jener Mitarbeiter erforderlich, die nicht gekündigt werden. Insolvenzverwalter Geiwitz könnte etwa den Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld fordern.

Die Gewerkschaft zeigte sich sogleich grundsätzlich gesprächsbereit. Die Garantie, „dass für den betreffenden Zeitraum betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen werden“, sei als Gegenleistung für den Lohnverzicht denkbar, wurde Verdi zitiert. Alternativ schlug Verdi vor, den finanziellen Anspruch der Mitarbeiter auf Sonderzahlungen in Kapitalbeteiligungen am Unternehmen umzuwandeln.

Dieser Vorschlag zielt vor allem darauf ab, das insolvente Unternehmen für mögliche Investoren attraktiv zu halten. Während finanzielle Zusatzleistungen als Belastung gelten, sind Kapitalbeteiligungen ein willkommenes Mittel, um dieser Last aus dem Weg zu gehen, ohne dass den Angestellten ein wirklicher Einfluss auf die Unternehmenspolitik zukäme. Für den Fall einer vollständigen Insolvenz würden die Angestellten mit dem Vorschlag der Gewerkschaft komplett leer ausgehen.

Um solche Pläne durchzusetzen verwendet die Gewerkschaft in zynischer Art und Weise den Umstand als Druckmittel, dass die verbliebenen Arbeiter noch nicht wissen, ob sie für die im April bereits geleistete Arbeit überhaupt Lohn erhalten werden. Die Zahlung von Insolvenzgeld ist gesetzlich nämlich auf drei Monate beschränkt und endete somit im März. Das potentielle Vermögen der Schlecker-Familie, deren Kinder Lars und Meike selbst als Investoren im Gespräch sind, bleibt derweil völlig unangetastet.

Der Wut der Schlecker-Beschäftigten über eine solche Politik sind sich Verdi und GBR offenbar bewusst. „Es ist jetzt wichtig, dass die Kollegen draußen zur Ruhe kommen.“, betonte die GBR-Vorsitzende Christel Hoffmann mit Blick auf die anstehenden Verhandlungen. Um massenhafte Klagen auf Abfindung zu verhindern hat die Gewerkschaft jetzt in einigen Städten spezielle Sprechstunden angeboten.

Es ist dabei offensichtlich, dass auch das gegen die Betroffenen gerichtet ist, die sich in wachsendem Maße von Verdi abwenden. Vieles deutet darauf hin, dass die Gewerkschaft bei den Entlassungen selbst rechtswidrig gehandelt hat. Auf „schlecker-blog.com“ schreibt etwa „Anja“ zu den Sozialplänen der Betriebsräte: „Habe gerade lange mit einer Freundin telefoniert, die bei Schlecker bleiben darf. Sie sagte mir dass in betriebsratslosen Bezirken mit dem Rasenmäher gekürzt wurde ohne Überprüfung der Sozialpunkte, weil die Zeit dafür nicht ausreichte. Ganz interessant oder?? Mein Anwalt wird sich freuen ...“

Als Antwort auf den WSWS-Artikel vom vergangenen Mittwoch schreibt „Martina“: „Diesen Artikel – den Inhalt – können alle glauben! Am meisten haben Ver.di und BR’s verheimlicht.“ Sie berichtet über Unterlagen, die sie als Ersatzmitglied im Betriebsrat habe einsehen können: „Diese Unterlagen sind mit 07. Oktober 2009 datiert und beinhalten ,Entwürfe vom Sozialplan im Falle der Insolvenzanmeldung‘. Also wussten die Vereine schon damals, was auf uns zukommt [...] Ein Jahr danach saßen alle schon an einem Tisch und haben AS [Anton Schlecker] bis zum Himmel gelobt! Wie schön die Zusammenarbeit Ver.di/BR/AS wäre ... Alles Heuchlerei! [...] Was haben Ver.di und BR’s gemacht? Nichts, Insolvenz geplant, zusammen am Tisch gesessen ...“

Auch im direkten Gespräch machen die Frauen ihrer Wut und Verärgerung Luft. Reporter der WSWS sprachen vorgestern am Rande der Mannheimer Betriebsversammlung mit einigen Betroffenen. Warum die Versammlung einberufen worden war, wusste zunächst kaum jemand. „Das ist typisch, wie in den ganzen letzten Monaten“, sagte eine Verkäuferin über die Informationspolitik von Verdi. „Wir erfahren immer erst alles aus den Medien.“

Eine inzwischen gekündigte Verkäuferin aus Heidelberg berichtete über ihre verzweifelte Lage. Sie sei zu 80 Prozent schwerbehindert und nun trotzdem nach 17 Jahren entlassen worden. Sie habe bei Schlecker gut verdient, doch jetzt, mit 52 Jahren und alleinstehend, plagen sie Existenzängste. Für die Pressemeldungen, es seien ja im Einzelhandel so viele Stellen offen, hat sie nur ein Kopfschütteln übrig. „Ich war in Heidelberg auf der Hauptstraße: alles nur 400-Euro-Jobs. Vollzeitstellen finden sie heute gar keine mehr.“ Auf die Arbeit von Verdi angesprochen, sagte sie: „Ich fühle mich einfach im Stich gelassen, ganz ehrlich.“

Eine Mitarbeiterin aus Ludwigshafen, sprach über die Angst derer, denen noch nicht gekündigt wurde: „Was passiert jetzt? Wird Schlecker verkauft? Was macht der Investor mit uns? Läuft das überhaupt weiter?“ Mit der Entlassung von 11.000 Kolleginnen sei ja noch nichts gesichert: „Wird der April bezahlt? Wir leisten zwar jetzt die Arbeit, aber ob wir die bezahlt kriegen, wissen wir nicht. Und der psychische Druck ist auch immens.“

Über einen möglichen Investor äußerte sie sich skeptisch: „Meine Meinung ist: es kommt nochmal eine Kündigungswelle.“ Der Investor müsse ja nicht einfach alles aufkaufen, sondern könne sich aussuchen, welche Filialen und Mitarbeiter er übernehme. „Nach Pfingsten wissen wir mehr, aber bis dahin? Gute Nacht!“

Es ist höchste Zeit, dass sich alle entlassenen und noch beschäftigten Mitarbeiter unabhängig von Verdi organisieren und dem Insolvenzdiktat entgegentreten. Massenklagen und ernsthafte Arbeitskämpfe müssen vorbereitet werden. Die WSWS ruft alle Schlecker-Mitarbeiter auf, mit der Redaktion in Kontakt zu treten, um solche Aktivitäten zu koordinieren.

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