Schlecker: „Ich komme mir vor wie ein Sklave der Politik“

An dieser Stelle veröffentlichen wir regelmäßig Beiträge und Briefe von Schlecker-Mitarbeiterinnen, die sich an die World Socialist Web Site gewandt haben. Wir wollen auf diese Weise die Verständigung zwischen den Kolleginnen über die Konzernleitung, die Insolvenzverwaltung und die Gewerkschaft ermöglichen und die Erfahrungen zugleich anderen Arbeitern auf der ganzen Welt zugänglich machen.

Wir rufen alle Schlecker-Mitarbeiterinnen auf, sich unter „wsws [at] gleichheit [punkt] de“ an die Redaktion zu wenden, um eigene Beiträge einzureichen. Außerdem wollen wir helfen, von Verdi unabhängige Strukturen in Form von Aktionskomitees aufzubauen. In solchen Aktionskomitees können sich Kollegen treffen, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen, die politischen Zusammenhänge zu diskutieren und schließlich eigene Arbeitskampfmaßnahmen vorbereiten.

Weil wir die betreffenden Mitarbeiter vor Entlassung und Repression schützen wollen, veröffentlichen wir die Beiträge anonymisiert. Die Namen sind der Redaktion bekannt. Heute veröffentlichen wir den Beitrag einer Mitarbeiterin, die zu den Entlassenen gehört und ihre Erfahrungen mit dem Arbeitsamt beschreibt.

„Vielleicht hat die Öffentlichkeit Interesse daran, zu erfahren wie mit uns ‚Schleckerfrauen’ auf dem Arbeitsamt verfahren wird. Es wird versucht, einen schnellstmöglich als vermittelt gelten zu lassen, damit man aus der Statistik rausfällt. Natürlich ohne Rücksicht auf Verluste.

Anscheinend kommt es dabei aber auch auf den jeweiligen Sachbearbeiter an. Folgendes durfte ich erleben und habe es teilweise auch von anderen Ex-Kolleginnen gehört.

Zur Info: wir befinden uns noch bis zum 30. Juni in der Freistellungsphase ohne Bezahlung. Das bedeutet, dass wenn von der Insolvenz noch Geld da ist, sich das Arbeitsamt dieses vom Insolvenzverwalter zurück holt und wir eventuell die Differenz erhalten.

Nun befinden wir uns in der dritten Woche der Freistellung/Arbeitslosigkeit und die Agentur für Arbeit Kassel hat angefangen, die ersten Termine für die Erstgespräche zu vergeben. Meinen Antrag für das ALG 1 konnte ich bisher nicht stellen, da Unterlagen seitens Schlecker fehlen.

Die erste Kollegin bekam den Hinweis, sich vor Zeitarbeitsfirmen in Acht zu nehmen, die nächste einfach nur drei Stellenangebote ausgedruckt, wieder eine andere wurde gefragt, ob sie in eine Maßnahme für die Dauer von 14 Tagen möchte, in der es auch um Bewerbungstraining geht und in der PC-Kenntnisse vermittelt werden.

Wer aber wie ich das zweifelhafte Vergnügen hatte, zu einer bestimmten Sachbearbeiterin zu kommen, muss am Montag eine Maßnahme antreten, die über eine externe Stelle geführt wird und sicherlich eine dementsprechende Quote zu erfüllen hat, damit die Gelder weiter fließen.

Diese Maßnahme führt mich in Jobs vielleicht sogar Zeitarbeit, die ich nicht anstrebe. Aber ich werde ja unter Androhung von Sperre dazu gezwungen, alles anzuschreiben und anzunehmen. Die Kosten für diese Maßnahme sind sicherlich nicht gering, und meines Erachtens dient so etwas lediglich dazu, uns aus der Statistik zu bekommen und hinterher ‚Hurra’ zu schreien, ‚was eine Transfergesellschaft hätte tun können, machen wir auch’.

Die Dame des Arbeitsamtes teilte mir mit, dass ich, obwohl ich 17 Jahre Erfahrung im Einzelhandel habe, nur eine Verkaufshilfe sei und mich mit Zeitarbeitsfirmen anfreunden soll – für 7,80 brutto in der Stunde. Außerdem schlug sie mir vor, mich als Blumenverkäuferin zu bewerben!

Bei Schlecker wäre ja jeder untergekommen und meine zehn Jahre dort, davon sieben als Verkaufsstellenverwaltung, seien somit wohl nichts wert. Ich begebe mich, absolut schuldlos gekündigt, in die Hände des Staates, dem ich immerhin jahrelang brav meine Abgaben gezahlt habe, und werde völlig entmündigt.

Ich hätte in der Transfergesellschaft die Freiheit gehabt, mir eine Stelle zu suchen, die ich gerne annehme, und nicht in irgendetwas gedrängt zu werden. Ich dachte, ich wäre ein freier Bürger, aber nur bis ich das Zimmer der besagten Dame betreten habe, ab da war ich nur noch ein dummer Schlecker-Mitarbeiter, der froh sein kann, als Verkaufshilfe in einer Zeitarbeitsfirma unterzukommen.

Mein Wunsch nach Teilzeit wird auch nicht berücksichtigt, denn dann bekomme ich ab sofort auch nur noch Geld für Teilzeit. Es kann doch wohl nicht sein, dass ich jahrelang Vollzeit gearbeitet und dementsprechend Abgaben bezahlt habe und mich nun ausschließlich auf Vollzeitstellen im Handel bewerben darf.

Schlimm genug, dass wir seit dem 23. Januar nur mit neuen Hiobsbotschaften konfrontiert wurden, seitens Schlecker, aber was ich jetzt erlebt habe, ist mehr als ein I-Tüpfelchen. Ich komme mir vor wie ein Sklave der Politik. Denn laut Aussage der Sachbearbeiterin sei diese Maßnahmen speziell für Schleckerfrauen angeordnet worden, wenn wohl auch nicht für alle.“

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