Die Angst nimmt zu

Während sich die G-8-Führer an diesem Wochenende treffen, ziehen angesichts der Verschlimmerung der Eurokrise bedrohliche Wolken einer Weltfinanzkrise über ihren Köpfen auf.

Jeder Tag bringt den Bankrott Griechenlands und seinen Ausschluss aus der Eurozone ein Stück näher. Beides hätte unabsehbare Folgen für das europäische und das weltweite Finanzsystem und führt dazu, dass die Angst um das Überleben der Bankensysteme in einigen Ländern zunimmt.

Das Ausmaß der Krise zeigt sich darin, dass dreieinhalb Jahre, nachdem der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers die Weltwirtschaft an den Rand einer Katastrophe brachte, nun ein ganzes Land vor dem Bankrott steht. Erneut gerät das globale Finanzsystem ins Wanken und das trotz der Injektion von Milliarden von Dollar an Rettungspaketen und der Einspeisung einer Unmenge billiger Kredite seit 2008.

Die Aktienmärkte gaben in den vergangenen Tagen weltweit nach. Die Rating-Agentur Moodys stufte 16 spanische Banken herab, wobei die drei größten Kreditinstitute gleich um drei Stufen heruntergesetzt wurden. Der Entscheidung war in der vergangenen Woche die Herabstufung von 26 italienischen Banken vorausgegangen. Moodys sagte, es habe seine letzte Entscheidung auf Grund der Verschlechterung der Lage der spanischen Wirtschaft und wegen der nachlassenden Kreditwürdigkeit der Regierung getroffen.

Die zunehmende Krisenstimmung in Spanien zeigte sich auch in einer Regierungserklärung, in der es hieß, es bestehe keine Gefahr eines Runs auf den Bankia-Konzern. Bankia wurde vergangene Woche praktisch verstaatlicht, als die spanische Regierung ihre Beteiligung an dem Konzern in Eigenkapital umwandelte, um sich selbst zu schützen. Bankia war 2010 durch die Zusammenlegung von sieben Banken mit einem hohen Anteil „toxischer“ Papiere entstanden. Der Hintergrund war der Zusammenbruch des Immobilienmarktes nach 2008.

Die Regierung eilte Bankia mit ihrer Erklärung zu Hilfe, nachdem die spanische Zeitung El Mundo berichtet hatte, dass Kunden der Bank seit der Verstaatlichung letzte Woche Einlagen in Höhe von einer Milliarde Euro abgezogen hätten.

Jose Goirigolzarri, der letzte Woche als Bankia-Chef eingesetzt wurde, versicherte, dass es keine außergewöhnlichen Abhebungen gegeben hätte. „Wir durchleben gerade eine Periode extremer wirtschaftlicher Turbulenzen und in diesen schwierigen letzten Tage war Bankia in der Lage, die Geschäfte praktisch normal abzuwickeln. Ich möchte das ebenso betonen wie die Tatsache, dass unsere Kunden Bankia vertrauen und sich sicher fühlen sollten, denn bei Bankia handelt es sich um eine extrem solide Organisation. Das sagen wir nicht nur als Angestellte der Bank, sondern auch als Bank von Spanien und als Regierung.“

Die bloße Tatsache, dass Goirigolzarri sich gedrängt fühlte, eine solche Erklärung abzugeben, deutet auf zunehmende Schwierigkeiten hin. Ob derartige Versicherungen den gewünschten Effekt haben, bleibt abzuwarten. Niemand hat die Erklärungen vergessen, mit denen Bankia im vergangenen Juli an die Börse gebracht wurde. Damals hieß es, all ihre Probleme seien gelöst. Zum Zeitpunkt der Übernahme durch die Regierung waren die Aktien der Bank um 45 Prozent gefallen, weil ausländische Investoren ihre Gelder abzogen.

Das Ausmaß der Krise im griechischen Bankensystem, das im Fall eines erzwungenen Austritts des Landes aus der Eurozone und einer Rückkehr zur Drachme sehr wohl implodieren könnte, wurde durch eine Ankündigung der Europäischen Zentralbank unterstrichen. Sie gab bekannt, dass sie vier nicht näher bezeichnete griechische Banken nicht länger refinanzieren werde. Die EZB sagte, die Banken müssten nun mit von der EZB zu genehmigenden „Notkrediten“ der griechischen Zentralbank versorgt werden. Ein Sprecher sagte, die EZB „werde auch weiterhin griechische Banken unterstützen.“

Der griechische Präsident Karolos Papoulias warnte, die Banken des Landes drohten auszutrocknen, was „unsere nationale Existenz bedroht“. Er zitierte Regierungsdokumente, die belegten, dass die Griechen 100 Millionen Euro an Einlagen pro Tag aus den Banken abzögen. Seit den Wahlen am 6. Mai sei eine Milliarde Euro abgezogen worden.

Zur gleichen Zeit besteht die Europäische Kommission weiter darauf, dass Griechenland die Sparmaßnahmen umsetzt, denen die griechische Regierung vergangene Woche zugestimmt hat und dass es keine Neuverhandlung der Bedingungen gebe. „Wir wollen, dass Griechenland Teil unserer Familie, der Europäischen Union, bleibt“, sagte der Präsident der Europäischen Kommission, José Barroso auf einer Pressekonferenz. „Davon abgesehen muss der Entschluss, im Euro zu bleiben, schlussendlich von Griechenland selbst kommen.“

In anderen Worten: Egal, wie das griechische Volk bei den für den 17. Juni angesetzten Wahlen abstimmt – jede neue Regierung muss das Diktat der „Troika“ – der EZB, des IWF und der EU – erfüllen, oder die Finanzierung wird ausgesetzt.

Im Gespräch mit Reportern nach einem Treffen der EU-Finanzminister zu Beginn dieser Woche sagte der deutsche Finanzminister Schäuble, Griechenland müsse eine Regierung wählen, die sich auch weiterhin dem internationalen Rettungsprogramm verpflichte.

“Wenn Griechenland… im Euro bleiben will, dann muss es die Bedingungen akzeptieren”, sagte Schäuble. „Anders geht es nicht. Kein verantwortungsvoller Kandidat kann sich vor der Wählerschaft verstecken". “Die Ankündigung von Neuwahlen „ändert nichts an der Situation“, fügte er hinzu.

In einem Grundsatzartikel Artikel unter der Überschrift “Griechenland kann den Austritt aus der Eurozone nicht länger hinauszögern“ wies Der Spiegel auf Ängste innerhalb der deutschen Regierung angesichts der Folgen hin, die ein Zurückweichen von ihrem Beharren auf dem Sparprogramm haben könnte.

“Wenn die Eurozonenländer nachgeben, wird der Reformdruck auch in anderen von der Krise betroffenen Ländern nachlassen. Sollte das passieren, werden ihre Schulden weiter steigen. Investoren werden aus dem Euro fliehen und die ganze Währung könnte auseinanderfallen“, schrieb das Magazin. Ein solcher Zerfall würde das deutsche Bankensystem unvermeidlich mit in den Abgrund reißen.

Auf der anderen Seite des Atlantiks macht sich die US-Bundesbank Federal Reserve zunehmend Sorgen über die Situation in Europa. Ein Protokoll des Treffens des Offenmarktausschusses, das diese Woche veröffentlicht wurde, deutet an, dass die Federal Reserve „bis wenigstens 2014“ mit ihrer Niedrigzins-Politik fortfahren wird.

“Belastungen der globalen Finanzmärkte wegen der staatlichen Schuldenkrise und der Bankensituation in Europa stellen auch weiterhin ein erhebliches Risiko für wirtschaftliche Aktivitäten, sowohl in den USA, als auch im Ausland, dar“, heißt es in dem Protokoll.

Während offiziell noch immer beteuert wird, Griechenland müsse in der Eurozone bleiben, werden bereits andere Vorbereitungen getroffen. IWF-Chefin Christine Lagarde sprach diese Woche über die Möglichkeit eines griechischen Austritts, als sie sagte, sie müsse „technisch“ auf jeden Fall vorbereitet sein und sicher stellen, dass ein möglicher Austritt geordnet vollzogen werde.

“Das käme uns extrem teuer zu stehen und brächte große Risiken mit sich, aber es gehört zu den Optionen, die wir technisch berücksichtigen müssen“, sagte Lagarde.

Doch niemand weiß, wie ein griechischer Austritt aus dem Euro von statten gehen und welches finanzielle Chaos er für die europäischen und die globalen Märkte mit sich bringen würde. Offizielle Schätzungen gehen davon aus, dass globale Banken in Griechenland 536 Milliarden Dollar verlieren könnten, aber das Institute for International Finance beziffert das Risiko auf 1,2 Billionen Dollar.

Man schätzt, dass bei einer Rückkehr Griechenlands zur Drachme diese gegenüber dem Euro um 50 Prozent abgewertet würde. Das ist allerdings nur eine Schätzung und die Drachme könnte auch in einen wesentlich schlimmeren Abwärtsstrudel geraten.

Ein griechischer Austritt könnte das gesamte europäische Bankensystem lahmlegen. Die Banken weigern sich, einander Geld zu leihen, da keine Bank weiß, wie stark die andere in Griechenland engagiert ist. Wie der amerikanische Finanzinvestor Warren Buffet einst sagte: „Niemand weiß, wer nackt schwimmt, bis die Ebbe einsetzt“. Es scheint, dass es im Bankenbereich eine ganze Reihe von Nacktschwimmern gibt.

Der australische Kolumnist Robert Gottliebsen schreibt diese Woche im Business Spectator, dass „nur knapp unter der Oberfläche eine tiefe Angst herrscht, dass eine Anzahl von europäischen und amerikanischen Banken dumm genug waren, sich auf wahnwitzige Wetten im Bereich der Derivate oder andere Investitionsspielchen einzulassen. Da das weltweite Bankensystem derart verwoben ist, weiß niemand, wer pleite und wer zahlungsfähig ist. Das einzige, was wir wissen, ist, dass die meisten europäischen Banken kein Kapital haben, wenn man sich die Marktwerte ihrer Anleihen und anderen Darlehen ansieht.“

Diese Ängste sind zweifellos durch die Bekanntmachung angefacht worden, dass die Großbank JP Morgan Chase, die bisher als eine der sichersten Investmentbanken galt, im Derivate-Handel einen Verlust von zwei Milliarden Dollar hinnehmen musste.

Andere Sorgen gibt es angesichts der politischen Folgen eines Beharrens auf den Sparprogrammen. Der John-Maynard-Keynes-Biograf Robert Skidelsky schrieb diese Woche in der Financial Times, dass Keynes1923 davor gewarnt hatte, dass „die absoluten Verfechter der Einhaltung von Verträgen die wahren Eltern der Revolution“ seien. Keynes war mit seiner Verurteilung der harschen wirtschaftlichen Bedingungen, die Deutschland durch den Versailler Vertrag auferlegt wurden, berühmt geworden.

“Es ist eine Ironie der Geschichte”, schrieb er, “dass die europäischen Länder, die eine Wiederholung der Großen Depression nach der Bankenkrise vermieden, jetzt blind in eine Sackgasse treiben, die in der damaligen Krise zum Extremismus geführt hat. Das deutsche Geschichtsbewusstsein erinnert sich noch lebendig an die Hyperinflation von 1920 – 23. Aber es ist möglich zu vergessen, dass es die Deflation und die Große Depression waren, die Hitler 1933 an die Macht brachten. Eine der großen Lehren der Geschichte besteht darin, dass Staatsschulden so verwaltet werden müssen, dass sie weder die Wirtschaft noch die politische Mitte zerstören.“

 

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