Heftige Differenzen vor dem EU-Gipfel

Am Mittwoch treffen sich die europäischen Regierungschefs, um über die Verschärfung der Eurokrise zu sprechen. Vor dem Gipfel veröffentlichte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einen Bericht, der einen zunehmenden Trend zur Rezession bestätigt.

In dem Bericht wird davor gewarnt, dass „die zerbrechliche, extrem ungleiche“ internationale wirtschaftliche Erholung „durch die Krise in der Eurozone vom Weg abkommen“ könnte.

Die OECD hat ihre Prognose für das Wachstum ihrer 34 Mitgliedstaaten von jährlich 1,8 Prozent im Jahr 2011 auf 1,6 Prozent für 2012 nach unten korrigiert. Der Bericht zeigt, dass Europa der Hauptsündenbock für die Verlangsamung des weltweiten Wachstums ist. „Die Krise in der Eurozone bleibt das größte Einzelrisiko für die Aussichten der Weltwirtschaft“, sagte OECD-Chefökonom Pier Carlo Padoan am Dienstag.

Der Bericht beleuchtet das Risiko einer erneuten Bankenkrise auf dem gesamten Kontinent. Sein Inhalt kommt einer Anklage gegen die von der Troika (EZB, EU, IWF) durchgesetzte Sparpolitik gleich.

In dem Bericht heißt es: „Zurzeit kommt es in der Eurozone zu Anpassungen bei langsamem oder negativem Wachstum und gleichzeitigem Schuldenabbau. Das erzeugt Risiken eines Teufelskreises, der hohe und ansteigende Staatsverschuldung, schwache Bankensysteme, exzessive Haushaltskonsolidierung und geringeres Wachstum mit sich bringt.“

Der Bericht bestätigt den von Eurostat zu Beginn des Monats festgestellten Trend einer zunehmenden Rezession in großen Teilen Europas. Eurostat teilte mit, dass sieben der siebzehn Länder der Eurozone offiziell in einer Rezession steckten. Der einzige Grund, warum Europa als Ganzes bisher nicht betroffen sei, sei das stärkere Wachstum der deutschen Wirtschaft. Sie war in der Lage, die Schwäche der Märkte in Europa durch eine Ausweitung ihrer Exporte in andere Teile der Welt, insbesondere China, die USA und Asien, auszugleichen.

Parallel zum wachsenden wirtschaftlichen Graben zwischen einzelnen europäischen Ländern nehmen auch politische Differenzen darüber zu, wie mit einer zunehmend außer Kontrolle geratenden Wirtschaftskrise umzugehen ist.

Im Verlauf des G-8-Gipfels vergangene Woche in Camp David verbündete sich US-Präsident Obama mit Frankreich gegen Deutschland. Am Ende des Nato-Gipfels in Chicago am Montag kam Obama noch einmal auf das Thema der europäischen Krise zurück und unterstützte explizit eine Reihe von Vorschlägen der französischen Regierung. Sie sollen verhindern, dass ein Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft und des griechischen Bankensektors auf Spanien und Italien übergreift.

Zu den französischen Vorschlägen zählen eine kräftige Erhöhung der EU-Rettungsgelder, vor allem durch die Einführung eines neuen pan-europäischen Finanzinstruments (die sogenannten Eurobonds), niedrigere Zinsen, eine EU-„Wachstumsstrategie“ und weitere massive Geldinjektionen in das Bankensystem.

Obwohl er Deutschland nicht beim Namen nannte, wurden Obamas Anmerkungen weithin als Versuch interpretiert, den Druck auf Europas größte Wirtschaft und die viertgrößte Wirtschaft der Welt zu erhöhen. Deutschland soll erheblich mehr Geld zur Verfügung stellen, um die Rekapitalisierung der Banken und ausgewählte Infrastrukturprogramme zu finanzieren. Der französische Plan hat auch die Unterstützung der britischen Regierung und des italienischen Premierministers Mario Monti.

Aus Sorge um einen Run auf die Banken seines Landes beschwerte sich der spanische Premierminster Mariano Rajoy, die Einführung von Eurobands dauere zu lange. Er machte klar, dass er schnellere finanzielle Unterstützung brauche.

Am Montag sagte der französische Finanzminister Pierre Moscovici vor Journalisten, dass die französische Regierung beabsichtige, Eurobonds zusammen mit einer Reihe anderer Maßnahmen auf die Tagesordnung des Gipfels am Mittwoch zu setzen.

Die Antwort aus Berlin kam noch am selben Tag und war unverblümt. Im Namen des deutschen Finanzministeriums sagte Steffen Kampeter im öffentlich-rechtlichen Radio: „Wir haben immer klar gemacht, dass wir eine gemeinsame Finanzierung mittels Eurobonds grundsätzlich ablehnen, so lange es keine integrierte europäische Fiskalpolitik gibt.“

Einflussreiche Teile der deutschen Wirtschaft betonten ihre Unterstützung für die Haltung der deutschen Regierung und des Finanzministeriums. Die Dienstagsausgabe des Handelsblatts war mit Beiträgen führender deutscher Geschäftsleute und Ökonomen gefüllt, die sich vehement gegen Eurobonds oder jegliche weitere deutsche Geldspritzen zur Rettung schwächelnder europäischer Wirtschaften aussprachen.

Einen weiteren bedeutenden Beitrag zur Debatte vor dem Gipfel lieferte Jörg Asmussen, der Deutschland im Direktorium der Europäischen Zentralbank vertritt. In einer Rede am Montag in Frankfurt am Main, dem Sitz der EZB, forderte Asmussen ein festeres Fiskalregime für die Eurozone und betonte, es werde keine Nachverhandlungen für den bestehenden Fiskalpakt geben. Er machte klar, dass „eine Wachstumskomponente“ nicht ohne Arbeitsmarkt-„Reformen“ auskommen könne.

Asmussen schloss ebenfalls eine Eurobond-Lösung aus und schlug vor, sein Plan für ein zweigeteiltes Europa solle durch Gelder aus dem europäischen Haushalt und eine Finanztransaktions- oder Tobin-Steuer finanziert werden.

Während es in Europa erhebliche Differenzen darüber gibt, woraus eine Wachstumskomponente bestehen und wer sie bezahlen sollte, sind sich die Regierungen aller europäischen Länder, der USA und der OECD weitgehend darin einig, dass die Sparmaßnahmen fortgesetzt werden und durch Arbeitsmarktreformen begleitet werden sollen, die sich auf das deutsche Modell stützen und darauf abzielen, einen gewaltigen Niedriglohnsektor in jedem Land zu schaffen.

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