JP Morgan Chase:

Zwei Milliarden Dollar Spekulationsverlust im Derivate-Bereich

Die Spekulationen eines Derivate-Händlers in London haben dem US-Finanzgiganten JP Morgan Chase einen Handelsverlust in Höhe von zwei Milliarden Dollar beschert, wie die Bank am vergangenen Donnerstag bekannt gab. Die Summe ist einer der größten Verluste seit dem Finanzkollaps von 2008, als der Bankrott zweier großer Wall-Street-Institute, Bear Stearns und Lehman Brothers, eine globale Finanzpanik auslöste.

Die Bankaktien stürzten nach der ersten Bekanntgabe durch JP Morgan Chase ab, konnten sich aber am Freitag wieder leicht erholen. Der Aktienkurs der Bank fiel um 9,3 Prozent und vernichtete damit Kapitalwerte von mehr als zwölf Milliarden Dollar, mehr als das Sechsfache des eigentlichen Handelsverlustes.

JP Morgan Chase ist als Finanzinstitution von entscheidender Bedeutung , da die Bank nicht nur über eine gewaltige Bilanzsumme verfügt, sondern auch noch zusammen mit der Bank of New York Mellon als eine der beiden wichtigsten Verrechnungsbanken in New York arbeitet und die Finanztransaktionen für alle anderen Banken ausführt. Jeder Zweifel an ihrer Zahlungsfähigkeit stellt augenblicklich das gesamte Finanzsystem infrage.

Der gewaltige Verlust zeigt, dass sich an der Wall Street seit dem Crash von 2008 nichts geändert hat, trotz aller Hyperventilation durch Banker und Broker wegen des vom demokratisch kontrollierten Kongress 2010 verabschiedeten und von Obama unterzeichneten Dodd-Frank-Gesetzes. Das Gesetz hat die Finanzverbrecher nicht viel härter getroffen als ein freundschaftlicher Klaps.

Angeblich war ein einziger Angestellter bei JP Morgan Chase, Bruno Iksil vom Londoner Büro, für die Handelspositionen verantwortlich, die zu dem Zwei-Milliarden-Verlust führten. Der in Frankreich geborene Händler, der wegen seines Standortes und seines Markteinflusses den Spitznamen „Londoner Wal“ erhielt, arbeitete in einem Zweigbüro, das als Chief Investment Office bekannt war.

Iksil wettete offensichtlich auf die Erholung der US-Wirtschaft und akkumulierte Derivate im Werte von 100 Milliarden Dollar, die Verluste aufzuweisen begannen, als die US-Wirtschaft sich verlangsamte. Iksil war kein verbrecherischer Händler, sondern arbeitete eng mit Vorgesetzten zusammen, um Strategien auszuführen, die mit dem Risikomodell der Bank übereinstimmten, heißt es in Presseberichten. Seine Manager „zeichneten seine Handelsgeschäfte gern ab“, so die Bank.

Das von Iksil eingesetzte Finanzinstrument war eine CDS oder Kreditausfallversicherung – dieselbe Art von Transaktion, die die Weltwirtschaft im September 2008 zum Absturz brachte. Iksil verkaufte CDS-Kontrakte, die an einen Firmenkorb gebunden waren.

Als die einseitige Wette auf das Wachstum der US-Wirtschaft letzten Monat zum ersten Mal durch Bloomberg News und das Wall Street Journal bekannt wurde, wiesen Vertreter von JP Morgan Chase Vermutungen zurück, dies stelle ein unkalkulierbares Risiko dar. Der Chef Jamie Dimon nannte die Kritik „einen Sturm im Wasserglas“.

Am Donnerstag gab Dimon nach Handelsschluss an der New Yorker Börse eine Erklärung heraus, in der er die Handelsaktivitäten des Chief Investment Office „fehlerhaft, kompliziert, schlecht überprüft und schlecht beaufsichtigt“ nannte. Dimon behauptete jedoch, es handle sich nur um „unerhörte selbstverschuldete“ Fehler und nicht um kriminelles Verhalten.

Dimon sagte, die Bank habe trotz des gewaltigen einmaligen Verlustes immer noch vier Milliarden Dollar nach Steuern verdient. Bankunterlagen zufolge war das Chief Investment Office zum Jahresende für 350 Milliarden Dollar an Anlagepapieren verantwortlich, in etwa 15 Prozent der Bilanzsumme von JP Morgan Chase.

Der “Risikowert” der Bank, eine zahlenmäßige Einschätzung der Gesamtverluste, die sie an einem gegebenen Tag verkraften könnte, hat sich von 88 Millionen Dollar pro Tag im Jahr 2011 auf derzeit 170 Millionen Dollar pro Tag fast verdoppelt, wobei der höchste Teil des hinzugekommenen Risikos in den Bereich des Chief Investment Office fällt.

Dimon war unter den Bankenchefs einer der lautstärksten Gegner jeglicher zusätzlicher Regulierung der Wall Street nach dem Crash von 2008 und widersetzte sich sogar den wirkungslosen Maßnahmen der Obama-Regierung. Er führte am 2. Mai bei einem Treffen mit der Federal Reserve eine Gruppe von Wall-Street-Bossen an und sprach sich gegen jegliche Beschränkungen des Eigenhandels der Banken aus, da diese die Profite schmälern könnten.

Die Krise bei JP Morgan Chase zeigt den verlogenen Charakter der derzeitigen Regulierungsbemühungen der amerikanischen Zentralbank Federal Reserve und der Obama-Regierung. Vor nur zwei Monaten beendete die Federal Reserve einen „Stresstest“ der neunzehn größten US-Banken, der ihnen allen gute Zahlungsfähigkeit bescheinigte und fünfzehn der neunzehn Banken grünes Licht für erhöhte Dividenden oder den Rückkauf von Aktien gab.

JP Morgan Chase kündigte daraufhin eine Dividende von 30 Cent pro Aktie an, 5 Cent mehr als im Vorjahr, und einen Aktienrückkauf in Höhe von 15 Milliarden Dollar, der den Aktienkurs der Bank an einem einzigen Tag um 7 Cent ansteigen ließ.

Die Gesamtauszahlung an Aktionäre und Investoren auf der Grundlage der Ankündigungen aller fünfzehn Banken belief sich auf eine Summe von 32 Milliarden Dollar für das kommende Jahr.

Weit davon entfernt, die Krise des amerikanischen Finanzsystems zu lösen, haben die unter George W. Bush begonnenen und unter Barack Obama beschleunigten Rettungsmaßnahmen zu einer weiteren Zentralisierung von Finanzvermögen in einer Handvoll gigantischer Institute geführt, die die amerikanische Gesellschaft beherrschen. Fünf US-Banken - JP Morgan Chase, Bank of America, Citigroup, Wells Fargo und Goldman Sachs – verfügten Ende 2011 über eine Bilanzsumme von 8,5 Billionen US-Dollar.

Die „großen Fünf“ haben ihren eisernen Zugriff auf die US-Wirtschaft in den vergangenen fünf Jahren noch verstärkt: 2006 entsprach ihr Finanzvolumen 43 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandproduktes. Ende 2011 war es auf 56 Prozent angewachsen.

In der Zwischenzeit, so belegt eine Studie der Universität von Syracuse, ist die staatliche Verfolgung von Finanzbetrügereien unter der Obama-Regierung auf ein Zwanzig-Jahres-Tief gefallen und liegt jetzt um 39 Prozent unter dem Wert von 2003, als die Bush-Regierung noch im Amt war. Die Anzahl der verfolgten Betrügereien liegt bei nur noch einem Drittel der Zahl unter Präsident Clinton.

Während die großen Banken ungestraft auf das Geld der Steuerzahler zugreifen dürfen, um leichtsinnig mit Derivaten, Öl-Futures und anderen hochriskanten Anlagen zu spekulieren, gehen sie gnadenlos gegen Hausbesitzer und Kreditkartenschuldner vor.

So führte der Oberste Gerichtshof in Florida am Donnerstag eine Anhörung in einem Gerichtsfall durch, der Hunderttausende von Zwangsversteigerungen durch die Großbanken infrage stellt, bei dem das sogenannte „robo-signing“ angewandt wurde, bei dem Büroangestellte anstelle von Bankangestellten angeworben wurden, um Zehntausende von Zwangsräumungen auszufertigen, ohne deren Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

Das Verfahren Roman Pino gegen die Bank of New York Mellon, das auch die Bank of America betrifft, könnte zur Aussetzung von Zwangsräumungen von fast 400.000 Hausbesitzern in Florida führen.

 

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