Perspektive

Griechenland: Neuwahl unter der Drohkulisse der EU

Die griechische Parlamentswahl vom 6. Mai wird im Juni wiederholt, weil die Vertreter der Europäischen Union und der deutschen Regierung kein Wahlergebnis akzeptieren, das dem Diktat des Finanzkapitals widerspricht.

Die griechischen Wähler hatten vor zehn Tagen den Parteien, die das Spardiktat der EU durchgesetzt haben, eine klare Absage erteilt. Zwei Drittel stimmten für Parteien, die sich für den sofortigen Stopp oder die Neuverhandlung der Kürzungsmaßnahmen aussprachen, die das Land in den Ruin treiben.

Brüssel und Berlin stellten noch am Wahlabend klar, dass sie nicht bereit sind, den demokratischen Willen der griechischen Wähler zu akzeptieren. Im arroganten Befehlston von Despoten verlangten sie, dass alle griechischen Parteien ihre Ablehnung des Spardiktats sofort aufgeben. Sie drohten, ansonsten die Gelder aus dem Eurorettungsfonds zu sperren und das Land in den Bankrott zu treiben.

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble erklärte, eine Neuverhandlung der Bedingungen für die Finanzpakete komme nicht infrage. Wahlen, so der Minister, änderten nichts an den verhandelten Vorgaben. Die jetzigen Vereinbarungen seien bereits „das Äußerste, was überhaupt noch vertretbar ist“. Es gehe darum, „die Märkte zu überzeugen“.

Die Kälte und Arroganz, mit der Schäuble seine Belehrungen vortrug, erinnerte ältere Griechen an die dunkelsten Kapitel der europäischen Geschichte, als deutsche Offiziere in Wehrmachtsuniform und Hakenkreuzbinde den Griechen ebenfalls in schnarrendem Ton Befehle erteilten.

Auch der Chef der Eurogruppe Jean-Claude Juncker erklärte den Willen der griechischen Wähler für bedeutungslos: „Man wird die Substanz des Fiskalpakts nicht ändern können“, sagte er. EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen drohte mit dem Ausschluss des Landes aus der Eurozone: „Griechenland muss klar sein, dass es zu diesem vereinbarten Sanierungsprogramm keine Alternative gibt, wenn es Mitglied der Euro-Zone bleiben will.“

Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle warnte, die zugesicherten Gelder aus dem Stabilitätsfonds EFSF würden nicht ausbezahlt, falls eine neue Regierung von den vereinbarten Sparmaßnahmen Abstand nehme. Ein solcher Stopp der Kreditzahlungen würde für Griechenland noch im Juni die Insolvenz bedeuten. Löhne, Renten und Sozialausgaben könnten nicht mehr ausgezahlt werden und stünden vollständig zur Disposition.

Unter dem Druck dieser Erpressungen wurde in Athen zehn Tage lang über die Bildung einer neuen Regierung verhandelt. Die konservative Nea Dimokratia (ND) und die sozialdemokratische PASOK, die die Sparmaßnahmen unterstützen, hätten zwar gemeinsam mit der Kleinpartei Demokratische Linke (DIMAR) genügend Mandate für eine Regierungsmehrheit gehabt, da das griechische Wahlgesetz der stärksten Partei (in diesem Fall ND) fünfzig zusätzliche Sitze zubilligt. Doch sie wagten es nicht, das unpopuläre Sparprogramm weiterzuführen, ohne auch die Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA) mit in die Regierung einzubinden.

SYRIZA hatte ihre Stimmenzahl verdreifacht und war mit 17 Prozent zweitstärkste Partei geworden, weil sie sich im Wahlkampf gegen die Kürzungsmaßnahmen ausgesprochen hatte. Mit ihrer Unterstützung hofften die anderen Parteien nun, die Wut der Bevölkerung unterdrücken zu können. SYRIZA sah sich allerdings nicht in der Lage, ihre Wahlversprechen derart offen zu brechen, und verweigerte sich einer Koalition.

Der erneute Wahlgang, der spätestens bis zum 17. Juni erfolgen muss, findet unter der Drohkulisse der EU statt. Die Wähler werden mit der Alternative erpresst, den Rausschmiss aus der Eurozone und eine Rückkehr zur Drachme zu riskieren, was unter den gegebenen Bedingungen zu Hyperinflation und Massenarmut führen würde, oder den Sparkurs fortzusetzen, was das Land etwas langsamer, dafür aber umso sicherer in den Ruin treibt.

Die von Berlin und Brüssel verordnete Politik hat die offizielle Arbeitslosenrate schon jetzt auf 22 Prozent getrieben, die Jugendarbeitslosigkeit sogar über 50 Prozent. Die Industrieproduktion fiel im März dieses Jahres um 8,5 Prozent. Für das ganze Jahr wird ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung um 5,2 Prozent prognostiziert.

Bisherige Umfragen deuten darauf hin, dass sich die griechischen Wähler nicht erpressen lassen und SYRIZA zur stärksten Partei machen werden. Dieser käme dann bei der Regierungsbildung eine Schlüsselrolle zu.

Es ist allerdings weniger als wahrscheinlich, dass SYRIZA dem Druck gewachsen ist, dem sie dann ausgesetzt wäre. Das Bündnis aus neun Parteien und unzähligen Tendenzen wiegt sich in der Illusion, dass die EU das Sparpaket neu mit sich verhandeln lässt. Einen Bruch mit der EU und mit dem Euro will sie unter allen Umständen vermeiden. Das macht sie in hohem Maße erpressbar.

Vor allem hat SYRIZA nicht die geringste Absicht, die energischen Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig wären, um der EU und den hinter ihr stehenden Banken entgegenzutreten: Eine systematische Mobilisierung der Arbeiterklasse in Griechenland und ganz Europa gegen die EU und die jeweiligen Regierungen; die Beschlagnahmung der großen Vermögen und Bankguthaben, um zu verhindern, dass sie sich ins Ausland flüchten; die Reorganisation des Wirtschaftslebens auf sozialistischer Grundlage.

Die europäische und vor allem die deutsche Arbeiterklasse muss die griechische Bevölkerung gegen das Diktat der EU verteidigen. Das gebietet nicht nur das Prinzip der elementaren Solidarität, sondern auch das ureigene Interesse. Die Angriffe der EU richten sich nicht nur gegen die griechische Bevölkerung, sondern gegen die Arbeiter in ganz Europa.

Seit Beginn der Wirtschaftskrise dient das Land als Experimentierfeld, wie der gesellschaftliche Reichtum am effektivsten von den Arbeitern zu den Banken umverteilt werden kann, um deren unersättlichen Profithunger zu decken. Auch ein Bankrott des Landes oder ein Ausschluss aus der Eurozone würde diesem Zwecke dienen und den Druck auf andere Länder wie Spanien, Portugal oder auch Frankreich erhöhen, ihrerseits die Kürzungspolitik zu verschärfen.

„Wenn die Euro-Länder nachgeben, wird auch in anderen Krisenstaaten der Reformdruck nachlassen“, erklärt das deutsche Nachrichtenmagazin der Spiegel in seiner jüngsten Titelstory. Ein Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone wäre hingegen „ein starkes Signal an die anderen Pleite-Länder“.

Die Arroganz, mit der sich europäische und deutsche Spitzenpolitiker über das Votum der griechischen Wähler hinwegsetzen, hat einen starken Beigeschmack von Diktatur. Es wäre naiv zu glauben, dass sie bei verbalen Drohungen stehen bleiben. Vor 45 Jahren hatten die Obristen in Griechenland schon einmal mit voller Unterstützung der Nato eine blutige Diktatur errichtet. Man muss davon ausgehen, dass in den Führungszirkeln der Nato ähnliche Szenarien für den Fall diskutiert werden, dass der Widerstand der griechischen Bevölkerung der Kontrolle der etablierten Parteien entgleitet.

Die Arbeiter aller europäischen Länder müssen die Verteidigung der demokratischen und sozialen Rechte ihrer griechischen Kollegen deshalb zu ihrem eigenen Kampf machen. Sie müssen sich gegen die Kürzungspolitik der EU zusammenschließen. Sie müssen mit der EU, einem Werkzeug der Konzerne und Banken, brechen und für den Aufbau Vereinigter Sozialistischer Staaten von Europa eintreten.

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