Tschechische Regierung übersteht Misstrauensvotum

Die konservative tschechische Regierung unter Premier Petr Necas (ODS) hat am vergangenen Freitag die Vertrauensabstimmung im Parlament knapp überstanden und damit ihren vorzeitigen Zusammenbruch vorläufig verhindert. 105 Mitglieder des 200-köpfigen Abgeordnetenhauses stimmten für die Regierung, 93 dagegen.

Necas stützt sich nun auf eine Koalition, die aus seiner Bürgerpartei ODS, der liberalkonservativen TOP 09 von Außenminister Karel Schwarzenberg und einer neu entstandenen Gruppierung um die stellvertretende Regierungschefin Karolina Peake besteht. Die aus acht Parlamentariern bestehende Gruppe Paekes hat sich vor zwei Wochen von der bisher mitregierenden Partei Öffentliche Angelegenheiten (VV) abgespalten.

Das Zerwürfnis von ODS und TOP 09 mit der VV, dem kleinsten Regierungspartner, hat an der Moldau eine seit Wochen schwelende Regierungskrise ausgelöst.

Die 2001 gegründete VV, die bisher nur lokale Bedeutung hatte, gelangte 2009 zu nationaler Prominenz, als der ehemalige Fernsehmoderator Radek John ihre Führung übernahm. Sie vermischt marktradikale Ansichten mit rechts-populistischen Positionen.

Bei der Wahl 2010 zog die VV mit 24 Abgeordneten ins Parlament ein und übernahm in der Koalitionsregierung drei Ministerposten. Nach Korruptionsvorwürfen traten Radek John und ein weiterer VV-Politiker, Vit Barta, aber bereits im April 2011 wieder von ihren Ministerämtern zurück. Barta wurde ein Jahr später wegen Bestechung zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Vor dem Hintergrund massiven Drucks auf die Regierung lösten die Vorwürfe gegen Barta in der VV heftige Konflikte aus und brachten die Partei an den Rand des Zusammenbruchs. Hinzu kommt, dass ein großer Teil der VV die Steuererhöhungspläne der Regierung Necas ablehnt. Vor zwei Wochen erklärte dann Karolina Peake überraschend ihren Austritt aus der Partei und kündigte die Bildung einer neuen Plattform an, die die Arbeit in der Regierung fortführen wolle.

Die Regierung Necas will den tschechischen Haushalt mit einem rabiaten Sparkurs sanieren. Gegen diese Pläne haben Mitte April fast 100.000 Menschen in Prag demonstriert. Es war eine der größten Demonstrationen in Tschechien seit der politischen Wende 1989. Zu der Demonstration aufgerufen hatten Gewerkschaften, politische Organisationen sowie Umwelt- und Studentengruppen.

Der Protest richtete sich gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer, gegen Einschnitte im öffentlichen Dienst, im Gesundheits- und Bildungsbereich sowie gegen das Einfrieren der Rentenbezüge. Der Vorsitzende des größten Gewerkschaftsverbands, CMKOS, Jaroslav Zavadil, forderte bei der Kundgebung den Rücktritt der Regierung.

Die bisher verwirklichten Sparmaßnahmen, darunter eine fast zehnprozentige Lohnsenkung im öffentlichen Dienst und die Streichung vieler staatlicher Investitionen, haben Tschechien bereits an den Rand einer Rezession gebracht. Selbst Wirtschaftsverbände im Land haben die Regierung gemahnt, den Sparkurs abzubremsen.

Trotzdem erklärte Necas unmittelbar nach der Vertrauensabstimmung, die Regierung werde an dem Ziel, das Haushaltsdefizit unter drei Prozent zu senken, festhalten und weitere Sparmaßnahmen beschließen.

Verteidigungsminister Alexander Vondra (ODS) zeigte sich ebenfalls unbeeindruckt von den Protesten gegen die Sparpolitik. „Mich haben die Demonstrationen nicht überrascht. Man kann dasselbe in ganz Europa sehen – in Spanien, in Griechenland, in Italien, überall”, erklärte er der Financial Times. „Trotzdem glaube ich nicht, dass sich die Gesellschaft am Rande eines Zusammenbruchs befindet, und wir werden unsere Politik fortsetzen.“

Für die Bevölkerung verschärft sich die soziale Lage dramatisch. Lebten 2004 noch rund 400.000 Tschechen am Existenzminimum, so sind es heute bereits mehr als 500.000. Die Jugendarbeitslosigkeit ist mit über 18 Prozent extrem hoch. In Regionen in Nordböhmen oder Nordmähren liegt sie über 30 Prozent. Unter der Roma-Minderheit sind Arbeitslosigkeit und Armut besonders ausgeprägt. Die Arbeitslosigkeit liegt über 50 Prozent.

Angesichts der prekären sozialen Lage nehmen ethnische Spannungen zu. Im vergangenen Jahr kam es in Tschechien zu heftigen Angriffen auf die Minderheit der Roma. Unmittelbarer Anlass waren gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Roma und jungen Tschechen. Wie in Ungarn und anderen europäischen Ländern nutzen bürgerliche und rechtsextreme Parteien die diskriminierte und sozial benachteiligte Minderheit, um soziale Spannungen in rassistische Kanäle zu lenken.

In Tschechien gibt es mittlerweile rund 4.000 militante Neonazis, 400 davon zählen zum „harten Kern“, wie eine Studie der Masaryk-Universität in Brünn jüngst feststellte. Die Autoren des Dokuments befürchten, dass die Gewalt der Neonazis, vor allem gegen die Roma-Minderheit, in den kommenden Jahren schrittweise steigen werde.

Jüngsten Umfragen zufolge würden die Regierungsparteien bei vorgezogenen Wahlen eine vernichtende Niederlage erleiden. Die oppositionellen Sozialdemokraten (CSSD) würden mit 37 Prozent der Stimmen rund 20 Prozentpunkte vor der ODS liegen. Selbst die Kommunistische Partei (KSCM) liegt nur knapp hinter den Konservativen.

Von Sozialdemokraten und Kommunisten ist keine grundlegende Opposition gegen die Austeritätspolitik der ODS zu erwarten. Nach 1989 hatte die sozialdemokratische CSSD über mehrere Legislaturperioden hinweg eine Koalition mit der ODS gebildet und Kürzungen in allen Bereichen durchgesetzt.

Die beiden großen Gewerkschaftsverbände CMKOS (Tschechisch-Mährische Konföderation der Gewerkschaftsverbände) und ASO (Assoziation selbstständiger Gewerkschaften der Tschechischen Republik) beschränken sich, wie schon in früheren Jahren, auf Proteste und Streiks, die im Wesentlichen als Ventil zum Dampfablassen dienen. Während Anfang der neunziger Jahre rund 90 Prozent der Arbeiter gewerkschaftlich organisiert waren, sind es heute nicht einmal mehr 30 Prozent.

Die Kommunistische Partei treibt angesichts der Regierungskrise ihre Anpassung an die Sozialdemokraten weiter voran. Laut einem Bericht von Noviny.cz sprach der KSCM-Vorsitzende Vojtech Filip am 1. Mai in Chomutov zum ersten Mal auf einer Veranstaltung der CSSD. Offensichtlich sehen auch zahlreiche Sozialdemokraten eine Koalition mit KSCM als Option an, um mit Hilfe der Stalinisten die Opposition in der Bevölkerung zu unterdrücken. In letzter Zeit wurde innerhalb der CSSD die Forderung nach der Aufhebung des Koalitionsverbotes mit der KSCM, das sich die Partei in den neunziger Jahren auferlegt hatte, immer lauter.

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