Perspektive

Das G-20-Debakel in Mexiko

Als die G-20 nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im September 2008 zum weltweit führenden Wirtschaftsforum wurden, keimte die Hoffnung auf, sie könnten einen Mechanismus zur Überwindung der Finanzkrise entwickeln und die Weltwirtschaft wieder ins Gleichgewicht bringen.

Schließlich, so argumentierte man, gehörten der Organisation alle alten Mächte wie auch die aufstrebenden neuen wie China, Indien und Brasilien an. Auf dem G-20-Gipfel in London im April 2009 war man sich weitgehend einig, dass „stimulierende“ Maßnahmen, großenteils in Form niedriger Zinsen und Stützungszahlungen für die Großbanken, notwendig seien. Am Ende des Jahres gab es erste Sorgen wegen der griechischen Schulden und innerhalb weniger Monate nahm die Krise der Eurozone Form an.

Im Juni 2010 machten sich erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den Großmächten bemerkbar. Während die gegensätzlichen Standpunkte als „Sparmaßnahmen“ gegen „Stimulierungsmaßnahmen“ charakterisiert wurden, drehten sie sich in Wirklichkeit um die Rolle, die Regierungen und Zentralbanken bei der Aufrechterhaltung der Finanzinstitutionen spielen sollten.

Die USA; die sich um die Auswirkungen eines Zusammenbruchs der Eurozone auf ihre Banken und Finanzhäuser sorgen, drängen Deutschland und die anderen europäischen Großmächte, mehr zu tun, um das europäische Finanzsystem zu stabilisieren und die Schuldenkrise von Staaten und Banken zu beenden. Deutschland andererseits fürchtet, dass seine Banken in den Strudel hineingezogen werden und hat sich daher bisher widersetzt.

In der Zwischenzeit vertiefen sich die Spannungen weiter. Während alles unternommen wird, um sie vor der Öffentlichkeit zu verschleiern, brachen sie auf dem zweitägigen G-20-Gipfel, der am Montag und Dienstag in Los Cabos in Mexiko abgehalten wurde, offen hervor.

Als der Präsident der Europäischen Kommission, Juan Manuel Barroso, bei seiner Ankunft von einem kanadischen Reporter gefragt wurde, warum die Nordamerikaner für die europäische Krise mitbezahlen sollten, giftete er: „Wir sind nicht hergekommen, um uns Lektionen in Demokratie oder Wirtschaftsführung erteilen zu lassen. Diese Krise hat ihren Ursprung nicht in Europa. Diese Krise begann in Nordamerika. Viele in unserem Finanzsektor wurden von den unorthodoxen Praktiken von einigen Sektoren des Finanzmarktes angesteckt.“

Das Wall Street Journal bestand zwar darauf, dass die Finanzpraktiken in den USA entgegen allem Augenschein nicht für die europäische Krise verantwortlich gemacht werden könnten, hielt aber fest, dass „Barrosos kurzzeitig von Ärger gezeichnete Ausdrucksweise zeige, dass die Spannungen überkochen, währen die Krise in eine noch gefährlichere Phase eintritt.“

Anzeichen dieser „noch gefährlicheren“ Phase sind in den letzten Tagen nicht zu übersehen. Der Zinssatz für kurzfristige spanische Schulden stieg am Dienstag auf 5 Prozent, verglichen mit weniger als 3 Prozent im vergangenen Monat. Und der Zinssatz auf zehnjährige spanische Anleihen ist mittlerweile wegen des Abzugs internationaler Investoren auf mehr als sieben Prozent angestiegen.

Die Kapitalflucht aus Spanien bedeutet, dass Regierungsgelder gebraucht werden, um die entstandene Lücke zu füllen. Das wiederum verstärkt die Angst, dass die kürzliche Bereitstellung von 100 Milliarden Euro für die spanischen Banken durch Eurozonenregierungen sich als viel zu gering erweisen und eine Summe um die 500 Milliarden Euro benötigt werden könnte.

Ein weiteres Anzeichen der Verschärfung der Krise ist die Tatsache, dass Ankurbelungen der Finanzmärkte sich als zunehmend kurzlebig erweisen. Der Anschub der Märkte durch die Bereitstellung der Gelder für Spanien zu Beginn des Monats dauerte einen halben Tag an, bis spanische und italienische Zinsen wieder zu steigen begannen. Der Aufschwung nach der Wahl in Griechenland war sogar noch kürzer.

Das Institute for International Finance, eine Gruppe, die einige der weltgrößten Banken umfasst, rief den G-20-Gipfel auf, angesichts des „sehr realen“ Risikos einer weltweiten Rezession, dringend etwas zu unternehmen. „Es gibt besorgniserregende Anzeichen der Fragmentierung, einschließlich eines Rückgangs im internationalen Banking, eines Nachlassens der Gewährung von internationalen Krediten und immer größerer Probleme, Märkte zu erschließen“, heißt es in einem Brief des IIF. Viele Investoren hielten sich zurück, was „zusätzliche Marktspannungen“ erzeuge.

Einem durchgesickerten Entwurf des Kommuniqués zufolge, das schon vor dem Ende der Diskussionen das Licht der Welt erblickte, verpflichten sich die Eurozonenmitglieder der G-20, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“ um die Gemeinschaftswährung zu erhalten, während sich die G-20 insgesamt verpflichten, für mehr Wachstum zu sorgen und Vertrauen wieder herzustellen.

Aber solche Phrasen sind praktisch bedeutungslos und sind schon bei zahlreichen Gelegenheiten in den letzten drei Jahren ausgestoßen worden. Sie waren jeweils mit der Einschränkung versehen, dass das Vorgehen von den „landesspezifischen Umständen abhängig“ sei. Mit anderen Worten, die nationalen Regierungen können tun und lassen, was sie wollen, und es gibt keine global koordinierte Wirtschaftspolitik und auch keine Vorstellung davon, wie eine solche aussehen könnte.

Das Kommuniqué soll neben Stabilitätsmaßnahmen auch eine Klausel beinhaltet haben, dass die G-20-Mitglieder auch die „Endlosschleife zwischen den Staatshaushalten und den Banken durchbrechen“ würden.

Das bezieht sich auf die Situation, dass das Geld, das den Ländern mit den größten Staatsschulden zur Verfügung gestellt wird, an die Banken dieser Länder geht, die diese Gelder wiederum in die Anleihen ihrer eigenen Regierung investieren. Mit anderen Worten sind die am meisten verschuldeten Länder und die schwächsten Banken immer mehr voneinander abhängig. Das wird mit einer Situation verglichen, in der zwei Betrunkene sich gegenseitig Halt zu geben versuchen.

Wie bei anderen Vorschlägen auch, machten die G-20 keine Vorschläge, wie diese “negative Endlosschleife” wohl durchbrochen werden könnte.

Das Fehlen konkreter Maßnahmen ist Ausdruck der zugrundeliegenden Ursache der Krise der Eurozone und des Weltfinanzsystems insgesamt.

Die komplexen Wechselbeziehungen des Weltfinanzsystems sind ein deutlicher Ausdruck der Prozesse der Globalisierung, die sich in den vergangenen drei Jahrzehnten entwickelt haben. Sie haben die Widersprüche zwischen der Weltwirtschaft und dem System rivalisierender Nationalstaaten, in denen das kapitalistische System wurzelt, explosiv verschärft.

Diese Widersprüche führten 1914 zum Zusammenbruch des kapitalistischen Systems und zum Kriegsausbruch. Alles, was darauf folgte – Weltkrieg, Depression, Faschismus und Massenarbeitslosigkeit – wird wieder eintreten, wenn die Krise nicht durch das Eingreifen der Arbeiterklasse, durch den Sturz der bankrotten kapitalistischen Ordnung und die Schaffung der Grundlagen für eine sozialistische Weltwirtschaft gelöst wird.

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