Griechische Krise schürt geopolitische Konflikte

Die wirtschaftliche und soziale Katastrophe, die sich in Griechenland abspielt, rückt lang anhaltende geopolitische Konflikte in den Vordergrund.

Die regionalen Auseinandersetzungen zwischen Athen und Ankara Seite an Seite mit dem wachsenden Wettbewerb der Großmächte im östlichen Mittelmeerraum könnten bei einer Verschärfung der wirtschaftlichen Unsicherheit in eine Konfrontation umschlagen.

In den vergangenen Wochen mehrten sich derartige Bedenken, als ein Austritt Griechenlands aus dem Euro offen diskutiert wurde. Neben dem wirtschaftlichen Chaos, das die Folge für ganz Europa wäre, stellt sich auch die Frage nach Griechenlands künftiger politischer Ausrichtung.

Robert Kaplan, führender Analytiker beim amerikanischen Geheimdienstunternehmen Stratfor, schrieb am Vorabend der griechischen Wahlen am 12. Juni: „Das westliche Eigeninteresse gebietet jetzt, dass Griechenland selbst dann, wenn es die Eurozone verlassen sollte – und dies ist ein großes ‚wenn‘ –, es nichtsdestoweniger in der Europäischen Union und der Nato verankert bleibt. Ob Griechenland den Euro aufgibt oder nicht - ihm stehen Jahre harter wirtschaftlicher Mühsal bevor. Das bedeutet, dass Griechenlands politische Orientierung angesichts seiner geographischen Lage niemals als gewiss gelten kann.“

Die wachsende Präsenz Russlands und Chinas in dieser Region mehrt die Befürchtungen, Athen könnte sich von seiner traditionellen Orientierung an den westlichen Mächten und den Vereinigten Staaten lösen.

Chinas ökonomische Einflussnahme in Griechenland wuchs seit Ausbruch der Wirtschaftskrise bedeutend an. Im Jahr 2010 investierte Peking große Summen in die Sanierung des Hafens von Piräus bei Athen.

Bei einem kürzlichen Treffen anlässlich des 40. Jahrestages der Aufnahme von Beziehungen zwischen Athen und Peking bemerkte der griechische Präsident Karolos Papoulias, dass der jährliche Handel zwischen Griechenland und China auf drei Milliarden Dollar angewachsen sei. Indem er sich auf eine ‚Umfassende Strategische Partnerschaft‘ bezog, auf die sich beide Länder 2006 geeinigt hatten, und die Kooperationen in zahlreichen entscheidenden Wirtschaftszweigen vorsieht, kommentierte Papoulias: „Ich glaube, dass die vergangenen Jahre auf eine vielgestaltige Entwicklung unserer Beziehungen in den kommenden Jahren hinweisen.“

In der Zwischenzeit stärkte Russland seine regionale Rolle durch Vereinbarungen mit Zypern. Im Jahr 2011 rettete ein Kredit über 2,5 Milliarden Euro Nikosia vor dem Ersuchen eines EU-Notprogramms. In Anbetracht der fortgesetzten Belastung durch die griechische Krise deuteten jüngste Berichte an, dass Zypern Gespräche mit Moskau führe, um einen weiteren Kredit über fünf Milliarden Euro zu erhalten. Dies entspricht einem Viertel des Bruttosozialprodukts des Inselstaats.

Das russische Öl- und Gasunternehmen Gazprom verfügt über eine entscheidende Präsenz im griechischen Energiesektor. Athen muss gegenwärtig darum kämpfen, seine hohen Schulden bei dem Unternehmen zu begleichen.

Kaplan machte auf ein nach seiner Meinung großes Potenzial für wachsenden russischen Einfluss aufmerksam. Er schreibt: „In den Medien wurde darüber spekuliert, dass Griechenland aus Geldnot einem mit Überschüssen ausgestatteten Russland, das in der Folge eines Regimewechsels in Syrien aus den dortigen Häfen vertrieben würde, griechische Marineeinrichtungen zu Verfügung stellen könnte.“

Diese wirtschaftlichen Spannungen werden durch Griechenlands strategische Lage im östlichen Mittelmeerraum und seine Nähe zum Nahen Osten verschärft.

Vassilis Fouskas, Professor für Internationale Beziehungen an der Richmond-Universität in London, schrieb in einer kürzlich erschienenen Analyse: „Griechenland beispielsweise hat dank seiner Lage in der Ägäis die Macht, das Ägäische Meer zu blockieren (Handel, Verkehrswege, Schifffahrtsstraßen, Fluginformationsgebiete und so weiter). Damit würde es Chaos im globalen Seehandel anrichten können, der durch die türkische Meerenge verläuft; Öl- und Gaspipelineprojekte würden unterbrochen, die Sicherheit der Nato und Europas in der Region wäre unterminiert. (…) Begehen Sie keinen Fehler: sollte Griechenland aus der Fassung gebracht werden, sprich: sollten die griechische Gesellschaft und Innenpolitik von äußeren Kräften, d. h. der ‚Troika‘, zu Verzweiflungsakten getrieben werden, dann ist diese Möglichkeit nicht so unwahrscheinlich.“

Es gibt zahlreiche Unruheherde, welche die Region destabilisieren könnten. Die wirtschaftlichen Probleme Zyperns könnten zu einem Wiederauflodern der Spannungen zwischen Griechenland und Ankara führen, die zwischen diesen Ländern hinsichtlich des Inselstaats herrschen. Diese würden die Großmächte mit hineinziehen. Die Entscheidung der Türkei, den Namen der nördlichen Inselhälfte von Türkischer Republik Nordzypern in Türkische Republik Zypern zu ändern, wurde als eine Bestätigung ihrer Absicht wahrgenommen, die gesamte Insel unter türkische Kontrolle zu bringen.

Diese lang anhaltenden territorialen Streitigkeiten zwischen Griechenland und der Türkei wurden aufs Neue verstärkt, als umfangreiche Öl- und Gasvorkommen im östlichen Mittelmeerraum entdeckt wurden. Ende 2010 investierte die Regierung in Athen erstmals in Ölerkundungen. Die jüngsten Schätzungen gehen von vier Milliarden Barrel Öl im nördlichen Ägäischen Meer aus und mindestens 22 Milliarden Barrel im Ionischen Meer in der Nähe der griechischen Westküste. Weitere Funde werden in der südlichen Ägäis erwartet, die noch erkundet werden muss.

Der zu erwartende Goldregen, den eine vollständige Ausbeutung solcher Ressourcen mit sich bringen würde, soll nicht unbemerkt an den Großmächten vorbeigehen. Teil der Bedingungen, welche die EU und der IWF dem griechischen Staat für den Rettungsschirm aufzwangen, ist die Privatisierung des verbliebenen Staatseigentums, darunter der staatlichen Häfen und Ölfirmen. Auf diese Weise würde die hochprofitable Industrie für auswärtige Investitionen geöffnet, allen voran für amerikanische Unternehmen.

Darin bestand der Zweck des Besuches, den die US-amerikanische Außenministerin Hillary Clinton vergangenen Juli Athen abstattete. Sie besprach mit Regierungsvertreten die künftige Energieausbeutung. Im Anschluss an diese Gespräche enthüllte die griechische Regierung die Bildung einer Regierungsbehörde, die Ausschreibungen für Erkundungen sowie Förderrechte an internationale Konzerne vergibt.

Gemäß dem Analysten William Engdahl setzten Clinton und ihre Berater die griechischen Politiker unter Druck, jegliche Pläne aufzugeben, mit der russischen Gazprom beim Bau der Southstream Pipeline zusammenzuarbeiten, die durch das östliche Mittelmeergebiet verlaufen und den europäischen Markt versorgen soll. Im Jahr 2007 schloss Athen eine Vereinbarung mit Bulgarien und Russland, um diese Pipeline zu bauen, mit der die Türkei umgangen würde. Der gegenwärtige Zeitplan sieht den Baubeginn für Dezember 2012 vor.

Washington unterstützt seit langem eine eigene Alternative: den Gastransport von Baku über Georgien und den türkischen Hafen von Ceyhan, womit die Lieferungen russisches Gebiet meiden. Berichten zufolge drängte Clinton bei dem Treffen im vergangenen Juli die griechischen Politiker dazu, eine Vereinbarung mit der Türkei über eine gemeinsame Nutzung der Gasreserven dieser Region auszuhandeln.

Dieser Vorschlag ist mit dem Problem der belasteten griechisch-türkischen Beziehungen konfrontiert. Die Kontrolle über das Ägäische Meer ist seit langem Anlass für Auseinandersetzungen zwischen Athen und Ankara. Griechische Pläne, eine Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) zu errichten, die Athen gemäß der Verträge der Vereinten Nationen beansprucht, wurden von der Türkei zurückgewiesen. Ankaras Beamte erklärten, dass jeder Versuch Athens, seine Kontrolle über die Ägäis mittels einer AWZ auszudehnen als ein Kriegsakt verstanden würde.

Im April kam erstmals zum Vorschein, dass die Türkei am 16. März entschieden hatte, zur Erkundung von Öl- und Gasvorkommen südlich der Inseln Rhodos und Kastelorizo Bewilligungen zu erteilen. Griechenland betrachtet diese Gewässer als seine Territorien.

Im gesamten politischen Establishment Griechenlands gibt es wachsende Stimmungen, trotz der türkischen Drohungen, vorzupreschen. Während des Wahlkampfes sprach Alexis Tsipras, der Führer der Koalition der Radikalen Linken Syriza, seine volle Unterstützung für die Bildung einer AWZ in der Ägäis aus. Bei einem Treffen mit Botschaftern der G-20-Staaten erklärte er, dass Griechenland ein „unveräußerliches Recht“ besäße, die AWZ im Ägäischen Meer zu errichten und mit der „Ausbeutung der Unterwasserschätze in dieser Zone“ zu beginnen.

Evangelos Kouloumbis, ein ehemaliger Industrieminister, erklärte explizit die Türkei zu einem Haupthindernis. Er kommentierte zu Beginn des Jahres, dass Griechenland „fünfzig Prozent seines Bedarfs an Rohöl mit dem in den küstennahen Feldern des Ägäischen Meeres gefundenen Öl“ decken könne. „Das einzige Hindernis ist der türkische Widerstand gegen eine mögliche griechische Nutzung.“

Ein solcher Schritt würde nicht nur enorme ökonomische Vorteile bringen. Das Aufpeitschen nationalistischer Spannungen gegen die Türkei dient auch einem lebensnotwendigen politischen Ziel der griechischen herrschenden Klasse. Unter den Bedingungen des gesellschaftlichen Zusammenbruchs dienen die Angriffe gegen die Türkei und das Schwenken der griechischen Fahne als bequeme Ablenkung von den verheerenden Sparmaßnahmen, die gegen die Arbeiterklasse zur Anwendung kommen.

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