Syrizas Wahlabschluss in Athen

Am vergangenen Donnerstag fand in Athen die zentrale Abschlussveranstaltung der Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA) für die Wahlen am kommenden Sonntag statt. Die Veranstaltung war von einem tiefen Widerspruch geprägt. Während viele der Anwesenden hofften, mit SYRIZA den desaströsen Sparkurs beenden zu können, bereitet sich die Partei darauf vor, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen, um eben diesen Kurs durchzusetzen.

Teilnehmer der Wahlveranstaltung

Auf dem Omonia-Platz hatten sich Tausende Unterstützer SYRIZAs eingefunden. Wenn auch Mittelschichten überrepräsentiert waren, befanden sich auf der Kundgebung Menschen aller Schichten und Altersklassen. Neben Jugendlichen und Studenten waren Arbeiter, Arbeitslose und auch Rentner anwesend.

Auf der Bühne prangte der Hauptslogan SYRIZAs, den viele Teilnehmer aufgriffen: „Wir machen das Memorandum zur Geschichte – Wir bereiten der Hoffnung den Weg.“ Die Teilnehmer verbanden damit die Erwartung, dass die von der Europäischen Union in den letzten Jahren diktierten sozialen Angriffe beendet werden. Sie haben zu Reallohnkürzungen um bis zu zwei Dritteln, einem Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit über 50 Prozent und zu blankem Massenelend geführt.

Grigori glaubt, eine Neuverhandlung des Memorandums könnte in ganz Europa einen Widerhall finden. Er ist pensionierter Physik-Professor und hat seit zwei Jahren seine Rente nicht ausbezahlt bekommen. Er hat schon immer SYRIZA gewählt, während seine Frau, die ebenfalls zur Veranstaltung gekommen ist, bisher für die konservative Nea Dimokratia (ND) gestimmt hatte. Auch ihre Rente wird seit Jahren immer weiter gekürzt. Nun hoffe sie, dass Alexis Tsipras als junge Kraft neu über das Memorandum verhandeln könne.

Auch Vangelis weiß kaum noch, wie er sein Leben bestreiten soll. Er ist 28 Jahre alt und arbeitet als Informatiker. Sein Lohn ist um 30 Prozent gekürzt worden, während sich die Steuern und Ausgaben massiv erhöht haben. Er glaubt, dass Syriza die einzige Hoffnung für die Zukunft ist. „Die Troika und das Memorandum haben unser Leben schlechter gemacht. Wir können so nicht weiter machen.“ Seine Freundin Areti stimmt ihm zu. Sie arbeitet als Lehrerin und bekommt nach den Kürzungen nur noch 500 Euro Lohn im Monat.

Paris und Sana sind arbeitslos. Sie hatten einen Laden, den sie im Zuge der Krise schließen mussten. Sie haben schon immer Syriza unterstützt. Sana betont, dass Syriza den Leuten Hoffnung bringe. „SYRIZA stellt das Leben und die Würde des Menschen wieder an die erste Stelle.“ Die Krise sei zwar international, in Griechenland aber durch die Korruption der Politik verstärkt worden. Paris wendet ein, dass es keine wirkliche Demokratie mehr gebe. „Wenn Tsipras nach der Wahl Probleme hat, das Memorandum zu verhandeln, müssen wir ihn unterstützen. Alle Menschen müssen auf die Straße gehen, in ganz Europa.“

Ioannis hofft einfach nur darauf, dass SYRIZA mit der EU und den Kreditgebern bessere Konditionen aushandeln könne, als die anderen Parteien. Er ist ein 25-jähriger, studierter Ingenieur, der zufällig auf den Platz gekommen ist. Nachdem sein Gehalt zunächst um 15 Prozent gekürzt worden war, verlor er seinen Job und wurde in einer anderen Firma für nur 500 Euro im Monat neu eingestellt. „Das ist heute üblich bei Neueinstellungen“, sagt er.

Der EU-Perspektive SYRIZAs kann Ioannis nicht vollständig zustimmen. Griechenland solle nicht um jeden Preis in der Eurozone bleiben, sagt er. „Ich will Löhne von 500 Euro nicht akzeptieren. Ich habe nichts vom Euro, wenn ich einen solchen Lohn bekomme.“

Alexis Tsipras griff in seiner Rede die Hoffnungen der Teilnehmer auf. Immer wieder behauptete er, falls er die Wahl gewinne, werde das Memorandum Geschichte sein. Er klagte die Lohnkürzungen der letzten Jahre an, die gestiegene Arbeitslosigkeit, die Senkung der Renten, die Erhöhung der Massensteuern und die Privatisierung von Staatsbetrieben. „Griechenland war ein europäisches und internationales Experiment, und die griechischen Menschen waren die Meerschweinchen“, sagte er. „In den letzten zwei Jahren haben wir eine soziale Katastrophe erlitten.“

Tsipras spricht

Doch verglichen mit anderen Rednern hielt sich Tsipras mit konkreten Forderungen weitgehend zurück. Das lag daran, dass neben seinem Publikum auch über hundert Journalisten aus aller Welt zu der Kundgebung gekommen waren.

SYRIZA hatte dafür alles sorgsam inszeniert. Zwei Kamerakräne, drei Pressetribünen und unzählige Scheinwerfer sollten Tsipras der internationalen Presse gegenüber ins beste Licht rücken. Direkt vor der Bühne hatten sich die verschiedenen Gruppen innerhalb SYRIZAs mit ihren roten, lilafarbenen und weißen Fahnen postiert. Vereinzelt wurden auch griechische Flaggen geschwenkt.

Vor dieser Kulisse bestand Tsipras Aufgabe darin, zu beteuern, was er bereits in unzähligen Interviews mit internationalen Medien sowie auf Pressekonferenzen in Paris und Berlin beteuert hatte: dass von SYRIZA keine Gefahr für die Europäischen Institutionen und die internationale Kürzungspolitik ausgehe und seine Partei bereit sei, die Staatsschulden anzuerkennen, in der EU zu bleiben und die dafür nötigen „Strukturreformen“ fortzusetzen.

Immer wieder betonte er, Griechenland werde unter seiner Führung die EU nicht verlassen, sondern darin besser und sicherer funktionieren. „Wir übernehmen die Verantwortung für die Regierung unseres Landes und wir garantieren einen stabilen, sicheren und gerechten Weg des Volkes und des Landes in der Eurozone“, sagte er. Auf dieser Grundlage wolle er mit der EU verhandeln. „Wir ersetzen das ineffektive Memorandum mit einem nationalen Plan zum Wiederaufbau. Ein Plan für einen sozialen, gerechten Ausweg des Landes aus der Krise. Und so garantieren wir die Mitgliedschaft Griechenlands in der Eurozone.“

Noch deutlicher richtete er sich an die internationalen Märkte: „Wir senden eine klare Botschaft an die Spekulanten auf der ganzen Welt, dass sie am Montag nicht mit ihrem Geld auf den Austritt Griechenlands aus der Eurozone wetten. Ihr werdet verlieren.“

Den EU-Vertretern versprach er, dass nur mit SYRIZA vernünftige Verhandlungen über die Konditionen der Kreditvereinbarung möglich seien, weil nur SYRIZA für die Bevölkerung spreche, das alte Memorandum nicht unterschrieben habe und vor allem unabhängig von den korrupten Strukturen im Land agieren könne. Er bot sich damit an, die anstehenden Kürzungen mit einigen kosmetischen Änderungen gegen den Widerstand der Bevölkerung durchzusetzen, denn diverse Vertreter der EU haben längst klar gemacht, dass sie das Land eher aus der Eurozone ausschließen werden, als substantielle Änderungen an der Kürzungspolitik zu akzeptieren.

Die Verlogenheit von Tsipras Behauptung, der soziale Niedergang könne im Rahmen der EU gestoppt werden, wurde deutlich, als er auf die Kreditvereinbarungen mit Spanien zu sprechen kam. „Am Sonntag wählen wir auch mit dem Blick auf Spanien“, sagt er in seiner Rede. „Spanien hat verhandelt und es hatte Erfolg. Es hat ökonomische Unterstützung aus Europa bekommen, ohne ein Memorandum umzusetzen. Trotz der Drohungen und der Erpressungen der Gläubiger. Es bleibt ohne Memorandum im Euro.“

Tatsächlich haben spanische Regierungen in den vergangenen Jahren auf Anweisung der EU einen sozialen Kahlschlag sondergleichen vollzogen. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 25 Prozent, unter Jugendlichen sogar über 50 Prozent. Die Regierung will in diesem Jahr 27 Milliarden Euro einsparen und im nächsten Jahr noch einmal dieselbe Summe. Das ist Tsipras Plan für Griechenland.

In seiner Rede bemühte sich Tsipras, die Logik seiner EU-freundlichen Politik mit populistischen Forderungen zu verkleiden und es so sowohl den Banken und EU-Vertretern wie seinem Publikum recht zu machen. Es steht außer Frage, dass sich dieses fragile Gerüst nach den Wahlen rasch nach rechts neigen wird. Das ist die unausweichliche Konsequenz daraus, die bürgerliche Ordnung und die EU zu unterstützen.

Tsipras ist sich darüber völlig bewusst. Er weiß auch, dass die Fortsetzung der Sparpolitik durch SYRIZA zu scharfen sozialen Kämpfen führen wird. Deshalb schlug er in seiner Rede auch rechte, nationalistische Töne an. Er betonte mehrfach, SYRIZA sei die eigentlich patriotische Kraft und seine Regierung werde der deutschen Kanzlerin Angela Merkel die griechische Flagge wieder aus der Hand nehmen. Außerdem versprach er, wie auch schon früher, die Polizeipräsenz in den Stadtvierteln zu erhöhen.

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