Deutschland nimmt vor EU-Gipfel harte Haltung ein

Kanzlerin Angela Merkel hat am Vorabend des zweitägigen EU-Gipfels in Brüssel, der am Donnerstag begonnen hat, Europa und Washington den Fehdehandschuh hingeworfen. Presseberichten zufolge erklärte Merkel auf einem internen Treffen ihrer Regierungskoalition am Dienstag, dass es keine Vergemeinschaftung der Schulden in der EU geben werde, solange sie lebe.

Am Mittwoch kritisierte sie im Bundestag in aller Schärfe einen Plan, den der Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, am Tag zuvor vorgestellt hatte. Der Plan schlägt eine Umstrukturierung der Europäischen Union vor, um den Euro zu retten. Der Plan, der auch im Namen von Kommissionspräsident Manuel Barroso, Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker und des Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, vorgelegt wurde, wird ein wichtiger Tagesordnungspunkt auf dem Gipfel sein.

“Ich widerspreche entschieden der Tendenz des Berichts, in dem die Vergemeinschaftung [der Schulden] eindeutig Vorrang vor Kontrollen und durchsetzbaren Verpflichtungen hat, die noch dazu sehr ungenau beschrieben sind“, sagte sie

Sie fügte hinzu, dass Eurobonds und Vorschläge für einen gemeinschaftlichen Schuldentilgungsfond „wirtschaftlich falsch, kontraproduktiv“ und verfassungswidrig seien.

Diese Erklärungen schließen eine Übereinkunft auf dem Brüsseler Treffen über den Umgang mit der sich schnell ausbreitenden Eurokrise praktisch aus.

Die Einführung von Eurobonds und die gemeinschaftliche Schuldentilgung sind Schlüsselforderungen, die in Brüssel diskutiert werden. Eurobonds werden in den letzten Monaten zunehmend hartnäckig von Frankreich, Italien und Spanien sowie von der Europäischen Kommission, dem Internationalen Währungsfonds und der amerikanischen Regierung gefordert.

Anfang dieser Woche riet Präsident Obama dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti, den Druck auf die deutsche Regierung zu erhöhen, damit sie Eurobonds und kurzfristigen Maßnahmen zur Stützung notleidender europäischer Banken zustimmt.

Der Gipfel findet vor dem Hintergrund einer zunehmenden Wirtschaftskrise und finanzieller Instabilität in mehreren europäischen Ländern statt. Trotz der Zusage der europäischen Führer vor zwei Wochen, 100 Mrd. Euro für das krisengeschüttelte spanische Bankensystem zur Verfügung zu stellen, nähert sich der Zinssatz für zehnjährige spanische Staatsanleihen erneut der kritischen sieben Prozent Marke. Die Zinsen für italienische Anleihen sind auf den höchsten Stand seit einem Jahr gestiegen. Zypern kündigte diese Woche an, als fünftes europäisches Land ein Rettungsprogramm der EU zu beantragen.

Monti warnte vor der Reaktion der Bevölkerung, falls der Gipfel keine konkreten Maßnahmen bringen werde. Er erklärte vor Reportern, dass Enttäuschung über die Regierungen und über die europäische Politik „politische Kräfte entfesseln könnten, die sagen ‚lasst die europäische Integration, lasst den Euro, lasst dieses oder jenes große Land zum Teufel gehen’“. Eine solche Entwicklung „wäre eine Katastrophe für die gesamte Europäische Union“. Die Tageszeitung Die Welt verglich Europa mit der Titanic, die auf den Eisberg zurast.

Angesichts des konzertierten Drucks der Finanzinstitutionen und europäischen Regierungen, kurzfristigen Maßnahmen zur Bereitstellung neuer Mittel für die Banken zuzustimmen, erklärte Merkel erneut, dass es “keine schnellen, keine leichten” Lösungen und kein “Zaubermittel” für die Lösung der Krise gebe.

Bisher hatte Merkel erklärt, sie könne sich die Einführung von Eurobonds höchstens unter der Bedingung klarer Regelungen für eine Fiskal- und politische Union in Europa vorstellen. D.h. die einzelnen Länder müssten sich bereit erklären, die Kontrolle über ihre Steuer- und Haushaltspolitik an Brüssel zu übertragen.

Merkels Bemerkungen in dieser Woche scheinen darauf hinzudeuten, dass sich die Haltung der deutschen Regierung noch verhärtet hat, und dass sie jetzt unter keinen Umständen der Einführung von Eurobonds zustimmen will. Sie hat dabei auch Schützenhilfe von den Sozialdemokraten erhalten, die dieses Thema in den letzten Wochen fallengelassen haben, nachdem sie vorher entschiedene Anhänger dieses Instrumentes gewesen waren.

Weil wesentliche Vereinbarungen praktisch ausgeschlossen sind, versuchen die europäischen Führer schon jetzt, die Erwartungen zu dämpfen. Kommissionspräsident Barroso erklärte, es wäre schon ein Erfolg, wenn der Gipfel eine „Orientierung und eine Richtung“ weisen würde. Er erklärte: „Es wäre ein Fehler zu glauben, dass ein Gipfel die Märkte beruhigen kann.“

Barrosos Äußerungen sind nur für die Öffentlichkeit bestimmt. Hinter den Kulissen arbeiten die EU-Diplomaten verzweifelt daran, die Banken zu beruhigen. Die Diskussionen drehen sich vor allem um den Punkt, den europäischen Rettungsfonds zu erlauben, direkt Staatsanleihen von den Banken aufzukaufen. Gegenwärtig können die Rettungsfonds Kredite nur an Staaten vergeben. Italien und Spanien üben starken Druck aus, die Möglichkeiten der Rettungsfonds zu erweitern, um ihre Banken zu stützen. Merkel wies die Forderungen des italienischen Ministerpräsidenten brüsk zurück.

Medienkommentatoren stimmen darin überein, dass ein bestimmtes Maß an Übereinstimmung zwischen den beiden größten Ländern des Kontinents, Deutschland und Frankreich, unerlässlich für ein Abkommen zur Rettung des Euros sei. Am Mittwochabend flog Merkel nur wenige Stunden vor Beginn des Gipfels nach Paris, um mit Präsident François Hollande Gespräche zu führen. Details wurden nicht bekannt. Aber Merkels kategorische Ablehnung zentraler Punkte der Gipfelagenda lässt darauf schließen, dass es zwischen den beiden Führern keine Übereinstimmung gab.

Einige Kommentatoren stellten die politischen Differenzen zwischen Paris und Berlin als Konflikt zwischen Wachstums- und Sparpolitik dar. Aber nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.

Ohne Zweifel wird Frankreich den “Wachstumspakt” als einen “Erfolg” des Gipfels verkaufen. Dieser Pakt war schon am letzten Freitag bei einem Sondertreffen zwischen den Regierungschefs Frankreichs, Deutschlands, Italiens und Spaniens vereinbart worden. Das 120-Mrd.-Euro-Paket wurde in der Presse als bedeutsame Initiative verkauft, um den negativen Effekten der Sparprogramme und Sozialkürzungen mit einer „Wachstumskomponente“ entgegenzuwirken, die Arbeitsplätze schaffen und kriselnde Volkswirtschaften beleben soll.

Tatsache ist aber, dass der Pakt, wie Der Spiegel kürzlich in einem Artikel aufzeigte, hauptsächlich aus leeren Versprechungen, heißer Luft und Buchhaltertricks besteht, die die Wähler beeindrucken sollen, aber keine positiven Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum haben. Eine interne europäische Analyse kommt zu dem Schluss, dass der Pakt nichts Neues enthält und vor allem den Zweck hat, dem französischen Präsidenten zu erlauben, das Gesicht zu wahren.

Hollande und Merkel sind beide entschlossen, den Forderungen der Finanzelite nachzukommen und die Sparpolitik auf dem ganzen Kontinent zu verankern. Aber Frankreich mit seiner schwächeren Wirtschaft und seinem stärkeren Finanzengagement in Südeuropa versucht Deutschland dazu zu bringen, die Geldschleusen zu öffnen, um die europäischen Banken zu retten.

Deutschland hingegen besteht darauf, dass Frankreich und die anderen europäischen Länder die Souveränität über ihre Wirtschaft als Gegenleistung für finanzielle Unterstützung abgeben. Das ist für Frankreich unakzeptabel, das das Recht verlangt, ohne Einmischung Deutschlands seine eigene Sparpolitik durchzusetzen.

Die EU-Führer werden nach dem Gipfel wahrscheinlich eine Erklärung abgeben, die ihre Entschlossenheit betont, die Krise zu bekämpfen, aber die Spannungen in der EU und zwischen Europa und Amerika erreichen langsam ein kritisches Stadium.

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