Perspektive

Der Bildungsstreik in Quebec und die Notwendigkeit eines sozialistischen Programms

Der Bildungsstreik in Quebec, der nun schon seit sechzehn Wochen andauert, ist zum Symbol und zum Sammelpunkt für den Widerstand gegen Sparmaßnahmen geworden, die auf allen Regierungsebenen und von allen etablierten Parteien in Nordamerika umgesetzt werden.

Der jüngste Versuch der liberalen Provinzregierung, die Studenten mit betrügerischen Verhandlungen in die Knie zu zwingen, ist gescheitert. Dies und der massive Widerstand gegen Bill 78, das drakonische Gesetz gegen Demonstrationen, sind positive Entwicklungen.

Die entscheidende Frage ist jetzt: Wie geht es weiter?

Die liberale Regierung wird von Kanadas Wirtschaftselite unter Druck gesetzt und ist entschlossen, die Erhöhung der Studiengebühren gegen massiven Widerstand durchzusetzen. Dazu hat sie sich über demokratische Grundrechte hinweggesetzt, den Bildungsstreik kriminalisiert, umfassende Einschnitte am Demonstrationsrecht vorgenommen und setzt in beispiellosem Umfang auf Polizeigewalt.

Die Perspektive des Ein-Themen-Protestes, die die Studentenvereinigungen vertreten, und die den Kampf der Studenten gegen die Erhöhung der Studiengebühren vom größeren Kampf gegen Sparprogramme der liberalen Provinzregierung und der konservativen Landesregierung abhalten, ist nicht nur gescheitert, sondern hat sie auch in offenen Konflikt mit den von ihnen vertretenen Studenten gebracht.

Anfang letzten Monats unterzeichneten die Studenten eine Vereinbarung – die seither von den Studenten mit überwiegender Mehrheit abgelehnt wurde –, durch die die Erhöhung der Studiengebühren in voller Höhe durchgesetzt wurde und durch die sie zur Hilfspolizei bei der Kürzung der Universitätshaushalte gemacht wurden. Bei den Verhandlungen diese Woche ließen sie ihre Forderungen nach der Rücknahme von Bill 78 fallen, obwohl dieses Gesetz einen gefährlichen Präzedenzfall für die Einschränkung demokratischer Rechte in Kanada und anderen Ländern schafft. Außerdem akzeptierten sie die Haushaltslimits der liberalen Regierung.

Sie sind sich letzten Endes mit der Regierung nur darin uneinig, wie sie die Erhöhung der Studiengebühren verkaufen sollen. Die Regierung ist entschlossen, ihr reaktionäres Prinzip „Der Nutzer zahlt“ zur neuen Norm für den öffentlichen Dienst in Quebec zu machen und fordert eine jährliche Erhöhung der Studiengebühren über sieben Jahre. Die Studentenvereinigungen schlugen dagegen ein zweijähriges Moratorium vor, das durch die Abschaffung von Steuervergünstigungen für Studiengebühren gegenfinanziert werden soll. Außerdem erklärten sie sich damit einverstanden, dass es in den restlichen fünf Jahren, also ab September 2014, jährlich Erhöhungen von 254 kanadischen Dollar geben solle.

Die Studentenorganisationen sind der Meinung, die Jugendlichen seien daran interessiert, dass die Liberalen bei der nächsten Wahl von der Parti Quebecois (PQ) abgelöst werden – dies wird von der FECQ und der FEUQ offen, von CLASSE implizit ausgesprochen. Tatsächlich ist die PQ eine Wirtschaftspartei und hat genauso viel Erfahrung als Instrument der bürgerlichen Herrschaft wie der Premierminister von Quebec, Jean Charest von den Liberalen, und der kanadische Premier Harper von den Konservativen. Gerade wegen ihrer Beziehungen zu den Gewerkschaften und der Illusion, näher am Volk zu sein, hat sich die PQ oft als besseres Werkzeug zur Durchsetzung der rechten Agenda der herrschenden Klasse erwiesen.

Der Kampf gegen die Erhöhung der Studiengebühren und zur Verteidigung des Bildungswesens erfordert eine Wende hin zur Arbeiterklasse – der einzigen gesellschaftlichen Kraft, die die Macht dazu hat, und deren Interesse als Klasse in der Umgestaltung der Wirtschaft zur Deckung sozialer Bedürfnisse statt privatem Profitstreben besteht.

Die Studenten werden ihre stärksten Verbündeten unter den Arbeitern im französisch- und englischsprachigen Kanada, in den USA und auf der ganzen Welt finden. Die Sparmaßnahmen, die von der liberalen Provinzregierung unter Charest durchgeführt werden – Kürzungen, Privatisierungen, reaktionäre Steuern und Gebührenerhöhungen – sind Teil eines weltweiten Angriffs auf die Arbeiterklasse, durch den alle Überreste der sozialen Errungenschaften zerstört werden sollen, die in den Massenerhebungen im letzten Jahrhundert erstritten wurden. Gesundheitswesen, Renten und Tarifrechte stehen allesamt unter Beschuss.

Die Staatsregierung und die liberale Regierung von Ontario setzen ihre eigenen umfassenden Sparprogramme um, darunter massive Sozialkürzungen, Erhöhungen des Renteneintrittsalters und Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe. In Griechenland, Spanien und ganz Europa bauen die Regierungen Sozialleistungen ab, kürzen die Mindestlöhne und schaffen alle Beschränkungen für Entlassungen und Mehrarbeit ab. In den USA brüstet sich Präsident Obama damit, die Autoindustrie „gerettet“, d.h. sie wieder für Investoren attraktiv gemacht zu haben, indem er Löhne und Zusatzleistungen drastisch gesenkt hat. Unter anderem wurden die Anfangsgehälter bei Neueinstellungen um die Hälfte gesenkt.

Ziel dieses weltweiten Angriffs ist es, die Arbeiterklasse für die größte Krise des Weltkapitalismus seit der Großen Depression in den 1930er Jahren zur Kasse zu bitten. Und wie in den 1930ern greift die kapitalistische Elite zu autoritären Herrschaftsformen, um ihren Spar- und Kriegskurs durchzusetzen. Im letzten Jahr hat die konservative Regierung Kanadas mehrfach mittels Notstandsgesetzen Streiks gegen Zugeständnisse gebrochen, unter anderem bei Air Canada, Canada Post, und letzte Woche bei dem Eisenbahnunternehmen Canadian Pacific.

Durch eine Hinwendung zur Arbeiterklasse würde der Bildungsstreik zum Ausgangspunkt für die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse in Quebec und in ganz Kanada gegen Sozialabbau, Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen im Rahmen eines wachsenden Kampfes der Arbeiterklasse in der ganzen Welt gegen den Kapitalismus werden.

Das bedeutet, den Arbeitern dabei zu helfen, sich aus dem politischen und organisatorischen Würgegriff der pro-kapitalistischen Gewerkschaften zu befreien. Diese Organisationen sprechen nicht für die Arbeiterklasse und repräsentieren sie auch nicht. Seit Jahrzehnten haben sie den Klassenkampf unterdrückt und Zugeständnisse bei Arbeitsplätzen und Verträgen erzwungen. Als die Präsidenten der drei wichtigsten Gewerkschaften von Quebec Charest dabei unterstützten, die Studentenführung durch Einschüchterung und Drohungen dazu zu bringen, das verräterische Abkommen vom letzten Monat anzunehmen, taten sie nur das, was sie seit 25 Jahren immer wieder tun.

Die NDP, die Partei der Gewerkschaften im englischsprachigen Kanada, hat offen auf die Niederlage der Studenten hingearbeitet, um die herrschende Elite Kanadas davon zu überzeugen, dass sie die Liberalen in der Landesregierung als „linke“ Regierungspartei ersetzen kann. Sie hat sich geweigert, den Bildungsstreik zu unterstützen und die Bill 78 zu kritisieren. Sie erklärte sich zwar „neutral“ im Kampf zwischen den Studenten und der liberalen Regierung, beteiligte sich aber an der Verabschiedung des Sparhaushaltes der Minderheitsregierung in Ontario, indem sie sich bei den Abstimmungen enthielt.

Der Bildungsstreik hat gezeigt, dass jeder Kampf um ein wichtiges soziales Anliegen oder demokratisches Grundrecht die Jugend und die Arbeiterklasse in Konflikt mit der Regierung, dem Staat, seiner Polizei und seinen Gerichten und der ganzen kapitalistischen Gesellschaftsordnung bringt. Die Arbeiterklasse steht vor einem politischen Kampf und muss zu seiner Führung eine revolutionäre, sozialistische Massenpartei aufbauen.

Die Socialist Equality Party kämpft für die Bildung unabhängiger Komitees von Studenten und Arbeitern, um den systematischen Widerstand gegen die Bill 78 zu organisieren. Sie kämpft für eine Gegenoffensive der Arbeiterklasse in Kanada und weltweit gegen die Forderungen der Arbeitgeber nach Lohnkürzungen und die der Regierungen nach Sparmaßnahmen. Die SEP bereitet so die Arbeiterklasse auf den Sturz der Provinz- und der Staatsregierung vor.

Einzelne Aktionen sind zwar wichtig, können aber nur dann die Einigkeit, Kampfbereitschaft und Stärke der Arbeiterklasse fördern, wenn sie im Rahmen eines Kampfes für die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse zum Kampf für eine Arbeiterregierung und die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft geplant und organisiert werden.

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