Vor den Wahlen

SYRIZA-Chef Tsipras legt rechte Politik für Griechenland-Krise dar

Am 31. Mai gab SYRIZA-Chef Alexis Tsipras dem US-Magazin Time ein ausführliches Interview, in dem er das Programm seiner Partei für die Wahl am 17. Juni skizzierte.

SYRIZA liegt wegen seiner Kritik an den unpopulären Sparmaßnahmen, die Griechenland seit 2009 von der Europäischen Union (EU) aufdiktiert werden, in den Umfragen mit dreißig Prozent vorne. Durch die Sparmaßnahmen ist die griechische Wirtschaft zusammengebrochen und der Lebensstandard der griechischen Arbeiter ist drastisch gesunken. Löhne wurden um 30 Prozent und mehr gekürzt, die Arbeitslosigkeit ist auf 22 Prozent gestiegen, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 50 Prozent.

Die Wut in der Bevölkerung wächst und viele Menschen wenden sich SYRIZA zu. Sie wollen damit zeigen, dass sie die EU und die Kürzungen ablehnen, die von den beiden großen Wirtschaftsparteien, der sozialdemokratischen PASOK und der konservativen Nea Dimokratia (ND) durchgesetzt wurden.

Dennoch ist SYRIZA keine radikale Organisation, sondern eine Partei der begüterten Mittelschicht. Ihre Politik wird bestimmt von Gewerkschaftsbürokraten, Akademikern, Selbständigen und Parlamentsfunktionären, die ihre Privilegien verteidigen wollen, indem sie die soziale Ordnung bewahren. Tsipras will die Bedingungen für die EU-Rettungspakete zwar neu verhandeln. Sein Ziel ist es jedoch nicht, die Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung zu beenden, sondern die Banken weiterhin bezahlen zu können. Mit seinem Time-Interview will er der herrschenden Klasse Amerikas signalisieren, dass sie auf ihn setzen kann.

Auf die Frage, ob er gewillt sei, „die nötigen Strukturreformen durchzuführen“ antwortete Tsipras: „Wir müssen Strukturreformen durchführen, damit der öffentliche Dienst zuverlässiger wird, ein effektives und gerechtes Steuersystem schaffen und die Schattenwirtschaft bekämpfen kann, die zum Geschwür der griechischen Wirtschaft geworden ist.“

Tsipras lässt wissen, dass er vorhat, Griechenlands Zahlungen an die Banken mit Steuererhöhungen, Entlassungen und Lohnkürzungen zu finanzieren. Er greift den öffentlichen Dienst an und kritisiert Griechenlands „ineffizienten öffentlichen Sektor“, der „irrational strukturiert“ sei. Er behauptet, PASOK und ND hätten die Arbeiter im öffentlichen Dienst als Wahlklientel eingestellt, um ihre Stimmen zu erhalten. Er warnt jedoch, Entlassungen seien kontraproduktiv, wenn sie nicht „gezielt“ durchgeführt würden.

Obwohl tausende von Griechen angesichts steigender Steuern und sinkender Löhne ihre Häuser verlieren, kündigt Tsipras an, SYRIZA werde „mit vollem Einsatz“ Steuern eintreiben. Er erklärt, Steuern werden nicht nur „von den Menschen mit geringem Einkommen, sondern auch von denen mit hohem Einkommen aus der Oberschicht kommen.“ Wenn der griechische Bürger „seinen Beitrag“ leisten solle, müsse er glauben, dass die Einschnitte „nicht nur Geringverdiener, sondern auch Spitzenverdiener betreffen.“

Diese Kritik an Steuerhinterziehung und Ineffizienz des öffentlichen Sektors zeigt deutlich die zynische Verlogenheit der kleinbürgerlichen „Linken“ in Europa. Mit ihrer Kritik an der Staatspolitik will sie ihre eigenen arbeiterfeindlichen Standpunkte verbergen.

Tsipras Pläne für ein staatliches Vorgehen gegen Steuerflucht würden die routinemäßige Steuerhinterziehung der Reichen nicht wesentlich einschränken, die in allen kapitalistischen Ländern existiert. Sie dient nur dazu, die Arbeiter zu beschwichtigen, damit sie sich der Plünderung Griechenlands durch die Banken fügen. Was den öffentlichen Sektor und seine angeblich irrationale Struktur angeht, so sagt Tsipras nichts darüber, wie er ihn ändern würde. Der Schluss liegt allerdings nahe, dass er die Teile der Belegschaft, die er für ineffizient hält, entlassen oder ihnen Mehrarbeit verordnen würde.

Tsipras ergänzt seine bankenfreundliche Haltung in der Time um Lob für die Politik von US-Präsident Barack Obama. Tsipras hat bereits bei seiner Europa-Tournee klargestellt, dass er der Ansicht ist, Europa sollte dem Beispiel Amerikas folgen.

Damit enthüllt sich der Klassencharakter von Tsipras‘ Politik. Obama verteilte Billionen von Dollar aus Steuergeld an die Banken, lehnte aber jede Form von staatlichen Arbeitsbeschaffungsprogrammen ab, weigerte sich, den Arbeitslosen und denjenigen, deren Häuser zwangsversteigert werden, ernsthaft Hilfe zukommen zu lassen und setzte in der Autoindustrie im Rahmen seiner „Rettungsaktion“ eine Lohnkürzung von 50 Prozent für alle neu Eingestellten durch.

In dem Time-Interview geht Tsipras sogar noch weiter und erklärt: „Wenn in den USA der Staat Privatbanken rekapitalisieren musste, erhielt er für das Geld, das er ausgab, Aktien. Kein Banker sagte: ‚Meine Bank ist pleite gegangen, aber ich will auf meinem Posten bleiben, selbst wenn er mit staatlichem Geld gerettet wird.‘“

Man muss sich fragen, ob Tsipras keine Ahnung von der amerikanischen Politik hat, oder ob er einfach lügt. In beiden Fällen ist seine Aussage falsch. Die Obama-Regierung hat die Banken keinesfalls zur Verantwortung gezogen. Sie durften ihre Billionen an staatlichen Geldern und Subventionen einstecken, während ihre Vorstände ihre Posten behielten und Boni in Rekordhöhe kassierten.

Die europäische Bourgeoisie, vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel, reagierte mit scharfem Widerstand auf SYRIZAs Forderung nach neuen Verhandlungen. Sie drohte, Griechenland den Kredithahn zuzudrehen, sodass das Land pleitegehen und eine eigene nationale Währung einführen müsste.

Es wird damit gerechnet, dass die Banken gegen eine neue griechische Währung spekulieren, was schnell zu deren Zusammenbruch auf den internationalen Finanzmärkten führen und die griechische Bevölkerung praktisch über Nacht durch Hyperinflation ins Elend stürzen würde. Die griechische Regierung plant angeblich, in einem derartigen Fall das Militär zu mobilisieren, um Bankenstürme zu verhindern und Proteste gewaltsam zu unterdrücken.

Tsipras betonte, ein Austritt aus der Eurozone sei „keine Option“ für SYRIZA. Das Time-Magazin fragte daraufhin: „Und wenn die Europäer sagen, ‚Tut uns leid, Ihr Plan gefällt uns nicht?‘“

Laut Tsipras plant SYRIZA tatsächlich für den Fall, dass Griechenland aus dem Euro ausgeschlossen wird. Er antwortete: „Wenn Europa so reagiert, dann wären wir in der Tat in einer sehr schwierigen Lage. Wir haben einen anderen Plan, der sich darauf konzentriert, die empfindlichsten und verletzlichsten sozialen Gruppen zu unterstützen, den würden wir in dieser schwierigen Lage umsetzen.“

Diese unklare Antwort, die darauf anzuspielen scheint, dass SYRIZA im Fall eines Zusammenbruchs des griechischen Staatshaushaltes die Sozialausgaben zusammenstreichen würde, um sich auf die ärmsten Schichten der Gesellschaft zu konzentrieren, stellte das Time-Magazin nicht zufrieden. Es bohrte weiter nach Tsipras’ Plänen für ein „Worst-Case-Szenario.“

Tsipras antwortete: „Wir haben einen Plan: Wir haben ein Team von Ökonomen, das die Pläne vorbereitet, aktualisiert und sie kommunizieren wird... Ich möchte aber nicht darüber reden.“

Er erklärte: „Ich halte es nicht für sinnvoll, detailliert über diesen Plan zu sprechen. Wenn wir das täten, hieße das, wir tendierten dazu, ihn auszuführen. Wir wollen ihn allerdings vermeiden. Wir sind uns der Konsequenzen voll bewusst, die es für das Land und für ganz Europa haben würde.“

Solche Kommentare zeigen die Kluft zwischen der zynischen, kleinbürgerlichen Politik von SYRIZA und einer proletarischen Perspektive, die die Arbeiterklasse vor den Gefahren warnt, die ihr bevorstehen und sie für den Kampf dagegen mobilisiert. Die Banken und die Großmächte entwickeln Notfallpläne für beispiellose Akte imperialistischer Plünderung – die Arbeiter ganzer Kontinente werden als Geiseln gehalten und sollen durch die Finanzmärkte angegriffen werden. Die Lage zeigt den völligen Bankrott des Kapitalismus.

Tsipras protestiert jedoch nicht gegen den Kapitalismus – das Wort taucht in dem Time-Interview gar nicht auf – weil er und seine Partei nicht die „radikale Linke“ sind, sondern wichtige Teile des politischen Establishments. Selbst unter den besten Voraussetzungen handelt es sich bei der Politik, die SYRIZA umsetzen will, nur um gewöhnliche rechte Maßnahmen, durch die sich das Leid von Millionen von Arbeitern vergrößern wird.

SYRIZA weiß genau, dass Griechenland und Europa am Abgrund stehen und diskutiert auch über Geheimpläne für Katastrophenszenarios, die vor der Öffentlichkeit geheim gehalten werden. Auch spricht SYRIZA nicht nur mit namenlosen Ökonomen. Zwei Tage vor dem Time-Interview traf sich Tsipras zu einem ausführlichen dreistündigen Gespräch mit dem Oberkommando des Militärs im griechischen Verteidigungsministerium.

SYRIZA ist keine Alternative für die Arbeiterklasse. SYRIZA dient nur dazu, den wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse gegen das politische Establishment aufzufangen und zu kanalisieren. Die Arbeiter sollen dazu gebracht werden, für eine Partei des kapitalistischen Staates zu stimmen, die die Entwicklung eines revolutionären Kampfes gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus blockiert.

Eine wirkliche Arbeiterbewegung kann sich nur durch einen Kampf gegen die politische Autorität und den falschen „linken“ Anstrich von Gruppen wie SYRIZA entwickeln. Diese stehen nicht auf der gleichen Seite der Barrikade wie die Arbeiterklasse.

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